Hausärzte weisen Kassenkritik scharf zurück

BERLIN (sun). Der Hausärzteverband hat dem GKV-Spitzenverband vorgeworfen, dieser wolle Arztpraxen vernichten.

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"Der Spitzenverband will seine realitätsferne Legende der Überversorgung aufrechterhalten, anstatt sich um die dringendsten Versorgungsprobleme zu kümmern", sagte der Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, in Berlin.

Mit dieser Kritik bezog er sich auf ein vom GKV-Spitzenverband in Auftrag gegebenes Prognos-Gutachten. Darin heißt es, dass "nahezu 12.000 Ärzte aus der vertragsärztlichen Versorgung ausscheiden" könnten, ohne dass die Versorgung für Patienten beeinträchtigt werde.

Als Berechnungsgrundlage nannten die Experten einen Versorgungsgrad von 110 Prozent je Planungsbezirk.

Weigeldt: Planungsbezirke willkürlich gezogen

Der GKV-Spitzenverband knüpfte an das Gutachten die Forderung, KVen sollten in überversorgten Gebieten gesetzlich verpflichtet werden, Praxissitze aufzukaufen.

Nach Ansicht Weigeldts hat das Gutachten jedoch nichts mit der Versorgungsrealität zu tun. 1992 sei die Besetzung der Planungsbezirke "willkürlich" mit 100 Prozent festgelegt worden.

Dem stimmte auch die KV Bayerns zu: "Theorie und Wirklichkeit klaffen bei dieser Auftragsarbeit meilenweit auseinander." Längst haben alle gesundheitspolitischen Experten erkannt, dass der zunehmende Ärztemangel sich zu einem massiven Problem auswächst.

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Dr. Thomas Georg Schätzler 11.07.201118:54 Uhr

Hausärzteverband und Prognos-GKV-Gutachten

Eine essenzielle Passage im schweizerischen Prognos-AG-Gutachten, das der GKV-Spitzenverband der Krankenkassen unter Leitung von Doris Pfeiffer in Auftrag gegeben hatte, ist wirklich dummdreist: „Überversorgung in der jeweiligen Arztgruppe liegt vor, wenn die Allgemeine Verhältniszahl um 10% über der Einwohner/Arzt-Relation vor Ort liegt. Dies entspricht dann einem Versorgungsgrad von 110%. Eine Unterversorgung wird dagegen ab einem Versorgungsgrad von 75% (Hausärzte) bzw. 50% (übrige Fachärzte) vermutet.“

Es ist an statistischer Willkür kaum zu überbieten, dass eine Ü b e r versorgung bereits ab plus 10%, aber die U n t e r versorgung erst bei minus 25 % bzw. minus 50 % einsetzen soll. Für H a u s ärzte war das Prognos-Gutachten nicht sehr ergiebig: Wenn der hausärztliche Versorgungsgrad theoretisch auf 130 % eingeschmolzen würde, müssten bundesweit nur 32 Hausarztsitze in den Kreisen München, Starnberg und Freiburg geschlossen werden. Bei einem Versorgungsgrad von 110 % wären theoretisch 765 hausärztliche Sitze in diesen Regionen zu viel. Denn selbst die PROGNOS-AG musste zugeben: Bundesweit liegt der Versorgungsgrad der hausärztlichen Praxen g e n e r e l l nur bei 100% oder deutlich darunter!

Bei den F a c h ärzten möchte Prognos aber einen Vernichtungsfeldzug starten: Ein Versorgungsgrad von 130 % als Höchstgrenze würde bundesweit die Auflösung von 9.902 Facharztsitzen, bei 110 % Versorgung die Aufgabe von 16.196 (über sechzehntausend) fachärztlichen Sitzen bedeuten! Vgl.:

https://www.gkv-spitzenverband.de/upload/Gutachten_Aufkauf_Arztpraxen_110630_16991.pdf

Was bleibt, ist eine beispiellose Verunsicherung, perfide gestartet vom Spitzenverband der Vertragspartner, die am Verhandlungstisch mit KBV und Länder-KVen offensichtlich nur noch vorgeben, gemeinsam die vertragsärztliche Versorgung in Deutschland flächendeckend sicherstellen zu wollen. Die Spitze der GKV-Kassen hat offenkundig nicht die Spur von Interesse, die Versorgungsrealität zu verbessern, Strukturprobleme des ländlichen Raums, der sozialen Brennpunkte und wirtschaftlichen Randgebiete anzugehen bzw. Krankheitsbewältigung und Gesundheitsziele ihrer Versicherten satzungsgemäß wahrzunehmen. Stattdessen beschäftigen sie sich lieber damit, den Selbstverwaltungsorganen ''gute Ratschläge'' zu erteilen, wie sie effizient, unauffällig und leise möglichst viele Facharztpraxen liquidieren können. Und wir Hausärztinnen und Hausärzte sind dann als nächstes dran!

Mf+kG, Dr. med Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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