Aufarbeitung der Pandemie
KBV-Chef Gassen nennt Enquete-Kommission zu Corona „dringend erforderlich“
Der Bundestag setzt eine Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen ein. KBV, Hausärzteverband und Kinderärzte begrüßen das – sie warnen aber davor, das Gremium für Schuldzuweisungen zu missbrauchen.
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„Vor allem aus rechtlicher und politischer Sicht notwendig“: KBV-Chef Dr. Andreas Gassen zur Corona-Enquete-Kommission.
© Rolf Schulten
Berlin. Die Einsetzung einer Bundestags-Enquete-Kommission zur Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen stößt in der Ärzteschaft auf Zuspruch.
„Eine Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen ist sowohl aus wissenschaftlicher, aber vor allem aus rechtlicher und politischer Sicht dringend erforderlich“, sagte der Vorstandschef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, der Ärzte Zeitung am Donnerstag.
Dabei dürfe es aber nicht um Schuldzuweisungen gehen, so Gassen. Zu erörtern sei vielmehr die Frage: „Was ist gut gelaufen? Welche Maßnahmen haben sich als falsch erwiesen oder wurden vielleicht gar nicht wirklich befolgt?“ Es brauche entsprechende Erkenntnisse, um für die nächste Pandemie gewappnet zu sein.
HÄV-Chef Beier: Praktiker nicht außen vorlassen
Der Co-Bundesvorsitzende beim Hausärztinnen- und Hausärzteverband, Dr. Markus Beier, erklärte, die Enquete-Kommission habe sich allen voran mit der Frage zu beschäftigen, was aus der Pandemie für künftige Gesundheitskrisen zu lernen sei. „Mit Vergangenheitsbewältigung allein wäre wenig gewonnen“, sagte Beier der Ärzte Zeitung.
Wichtig werde auch sein, wie die Kommission zusammengesetzt sei, so der HÄV-Chef. „Es bleibt zu hoffen, dass man nicht immer wieder die gleichen Fehler macht und die Praktiker erneut außen vorlässt.“
Exklusiv BVKJ-Chefs blicken zurück
Pädiater zu Schulschließungen wegen Corona: „Auswirkungen, die bis heute nachhallen“
Der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und JugendärztInnen (BVKJ), Dr. Michael Hubmann, sagte auf Anfrage, es sei höchste Zeit, die Pandemiemaßnahmen „unter die Lupe zu nehmen, um daraus zu lernen und nicht mit dem Finger auf andere zu zeigen“.
Kinderarzt Hubmann: Ohne Impfung kein Erfolg
In der Rückschau sei für ihn klar: „Ohne Impfungen hätten wir die Pandemie nicht in den Griff bekommen.“ Das sei eine medizinisch richtige Erkenntnis, die manche aber „aus Angst vor Kritik aus der falschen Ecke“ nicht aussprechen würden, sagte Hubmann, der in der Corona-Zeit das Impfzentrum in Fürth leitete.
Eine weitere Lehre sei, dass sich Kita- und Schulschließungen nicht wiederholen dürften. Pädiater hätten früh auf die „erheblichen körperlichen und seelischen Nebenwirkungen“ hingewiesen, so Hubmann. Und: „Wir dürfen es nie wieder zulassen, Spielplätze für Kinder im Freien abzusperren.“
Für nächste Pandemie gewappnet sein
Der Bundestag hat am Donnerstagnachmittag die Einsetzung einer Enquete-Kommission beschlossen. Als Ziele werden die „Aufarbeitung der Corona-Pandemie und Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse“ genannt.
Corona-Enquete im Bundestag
Schwarz-Rot will Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung aufarbeiten
Die Pandemie habe tiefe Auswirkungen gehabt – insbesondere auf das Gesundheitswesen, Bildungseinrichtungen und den Sozialstaat und auch zu großen Veränderungen im Familien- und im Lebensalltag junger Menschen geführt, heißt in einem Antrag von Union und SPD.
Gassen betonte, es sei auch einiges gut gelaufen in der Corona-Zeit. Beim schnellen Impfen sei Deutschland „richtig gut“ gewesen – auch wegen des enormen Engagements der Praxen der Haus- und Fachärzte.
Gassen: Absolutheitsanspruch einiger hat genervt
„Massiv gestört“ habe ihn allerdings „der Absolutheitsanspruch einiger auf die einzig richtige Meinung und die fehlende Kritikfähigkeit in der Politik“. Kritische Fragen in der Sache seien fast schon reflexhaft als unangebracht und die Fragesteller als „Querdenker“ diskreditiert worden.
Kolumne „Aufgerollt“ – No. 31
Corona-Aufarbeitung: Hochmut oder Demut?
Inzwischen sei jedem klar, so Gassen: „Wir haben uns an manchen Bevölkerungsgruppen versündigt, an alten Menschen zum Beispiel, die allein im Altenheim gestorben sind. Oder an Kindern und Jugendlichen, die Kita- und Schulschließungen haben nichts nachhaltig Positives bewirkt.“ (hom)