Nutzenbewertung

Hecken will Pharmaunternehmen bestrafen, die nicht rechtzeitig Evidenz liefern

Die beschleunigte Zulassung von Arzneimitteln ist an Auflagen gebunden. Hersteller müssen fehlende Daten nachliefern. Der GBA-Chef fordert Konsequenzen, wenn das nicht geschieht – und den Aufbau von Patientenregistern.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Papier ist nicht geduldig – jedenfalls, wenn es um die Generierung von Evidenz nach der Zulassung geht, fordert GBA-Chef Hecken.

Papier ist nicht geduldig – jedenfalls, wenn es um die Generierung von Evidenz nach der Zulassung geht, fordert GBA-Chef Hecken.

© lenetsnikolai / Fotolia

MÖNCHENGLADBACH. Der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), Professor Josef Hecken, sieht Handlungsbedarf bei der frühen Nutzenbewertung von Arzneimitteln, die eine beschleunigte Zulassung erhalten haben.

Wenn pharmazeutische Unternehmen nicht in der vorgegebenen Frist die geforderten zusätzlichen Daten liefern, müsste der GBA die Möglichkeit haben, die Nutzenbewertung des entsprechenden Wirkstoffs um eine Stufe zu verschlechtern, forderte Hecken bei einem Seminar des Instituts für patientenorientierte Versorgungsablaufforschung.

Wirtschaftlicher Druck nötig

„Wir müssen wirtschaftlichen Druck erzeugen, um nachgelagerte Evidenz zu generieren“, sagte er. Gerade in der Onkologie gebe es immer mehr beschleunigte Zulassungen. Sie werden von der EU-Arzneimittelbehörde EMA ausgesprochen, wenn die Wirksamkeit eines Wirkstoffs zwar belegt ist, aber die klinischen Studien noch nicht abgeschlossen sind.

Über das Verfahren sollen schwer erkrankte Patienten schnelleren Zugang zu neuen Arzneimitteln erhalten, für die nur wenige Therapieoptionen zur Verfügung stehen. Die beschleunigte Zulassung ist für die pharmazeutischen Unternehmen an Auflagen gebunden. Sie müssen die fehlenden Daten in einer bestimmten Frist nachliefern.

Das beschleunigte Zulassungsverfahren habe Auswirkungen auf die Nutzenbewertung, sagte Hecken. „Zum Zeitpunkt unserer Bewertung fehlen uns die Daten, die wir bräuchten, um den Wirkstoff wirklich bewerten zu können.“ Der GBA übernehme deshalb die von der EMA definierten Auflagen.

Kritik an EMA

Das Problem sei, dass die Hersteller sie häufig nicht in der geforderten Zeit erfüllen. In diesen Fällen will Hecken mit der Verschlechterung der Bewertung reagieren können. Der Gesetzgeber müsse dem GBA dafür die entsprechende Ermächtigung geben, forderte er. Der EMA warf Hecken vor, in dieser Frage nicht konsequent genug zu sein. „Sie lässt sich über Jahre vertrösten.“

Wenn Daten zu patientenrelevanten Endpunkten fehlen, sieht er weiteren Handlungsbedarf. „Bei bestimmten hochpreisigen und maximal-invasiven Therapien muss es dem GBA möglich sein, den Einschluss der Patienten in ein Register zu fordern.“ So ließe sich feststellen, wie sich die Wirkstoffe in der Versorgung bewähren.

Register böten die Möglichkeit zu überprüfen, ob das, was bei Studien unter Laborbedingungen passiert, im Versorgungsalltag bestätigt wird. „Das wäre eine kleine Kompensation dafür, dass es in der Bundesrepublik Deutschland keine pharmaunabhängigen Studien gibt.“

Außer den Studien der Industrie seien ergänzende Studien notwendig, sagte Matthias Mohrmann, Vorstand der AOK Rheinland/Hamburg. „Man kann darüber nachdenken, welchen Beitrag die gesetzliche Krankenversicherung dabei leisten kann.“ Bislang seien entsprechende Initiativen politisch nicht gewollt gewesen. Bei der Industrie gebe es eine wachsende Offenheit gegenüber dem Thema herstellerunabhängiger Studien, sagte er.

Ludwig für Sanktionsmöglichkeiten

Wie der GBA-Chef sieht der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, Professor Wolf-Dieter Ludwig, Verbesserungsbedarf bei der Nutzenbewertung. „Wir brauchen neue Mechanismen.“

Dazu zählen auch für ihn klare Vorgaben für beschleunigte Zulassungen gekoppelt an Sanktionsmöglichkeiten. „Wenn nach einem bestimmten Zeitraum keine Daten vorliegen, muss etwas passieren.“ Register könnten dabei ein sinnvolles Instrument sein. „Aber randomisiert kontrollierte Studien müssen der Goldstandard bleiben“, betonte Ludwig.

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