Individualmedizin nur noch gegen Zuzahlung?

HAMBURG (di). Individualmedizin oder Massentherapie - vor diese Frage werden Ärzte täglich in ihrer Praxis gestellt. Wie schwer es Ärzte haben, dem Anspruch einer individuellen Medizin gerecht zu werden, machte der fünfte Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik deutlich.

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Volles Wartezimmer - bleibt da noch Zeit für individuelle Patienten-Bedürfnisse?

Volles Wartezimmer - bleibt da noch Zeit für individuelle Patienten-Bedürfnisse?

© Foto: kpa-royal

"Wer sich Individualmedizin leisten kann, wird sie sich auch kaufen", steht für Hamburgs Ärztekammer-Präsident Dr. Frank Ulrich Montgomery fest. Für ihn bedeutet gute Medizin immer auch Individualmedizin mit einer auf den einzelnen Patienten zugeschnittenen Therapie.

Die, so beobachtet Montgomery, wird aber wegen schwieriger Rahmenbedingungen immer mehr zu einer Frage des Geldes. Müssen sich sozial schwächere Patienten also auf eine Therapie einstellen, bei der das Individuum keine Rolle mehr spielt? Hier sieht Montgomery eine große Herausforderung für die Ärzte: Verhindern, dass nur noch betuchten Patienten der Zugang zur Individualmedizin offen steht.

Verärgert zeigte sich der Vizepräsident der Bundesärztekammer über Kollegen, die Individualmedizin als reines Marketinginstrument missbrauchen und in Werbeauftritten den Begriff überstrapazieren. "Individualmedizin als ökonomisches Konzept ist abzulehnen", stellte Montgomery klar und verwies auf die ärztliche Verpflichtung, das Wohl des Patienten zu achten.

Deutlich wurde auf dem Symposium aber auch, dass Ärzte oft durch Rahmenbedingungen, die sie kaum verändern können, an einer individuellen Medizin behindert werden. Insbesondere der wirtschaftliche Druck im Gesundheitswesen wurde genannt. Gastgeber Professor Matthias Augustin vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf sieht "die medizinische Versorgung von regulativen Rahmenbedingungen geprägt, die aus ökonomischen Gründen standardisierte kollektive Grundsätze postulieren".

Der Konstanzer Laborarzt Dr. Oliver Nolte beschrieb am Beispiel der autogenen Vakzine, wie eine Therapieform mit individuellem Charakter wegen einer geringen Akzeptanz unter Ärzten, Fachgesellschaften und Öffentlichkeit zu einer aus seiner Sicht unbegründeten Unsicherheit über die Wirksamkeit geführt hat - und damit ausschließlich als Selbstzahlerleistung zugänglich ist. Dabei ist die Therapie mit autogenen Vakzinen aus seiner Sicht ein "Paradebeispiel für wirtschaftliche Individualmedizin". Eine Hausärztin berichtete, dass viele Patienten, denen sie die Therapie angeboten hat, diese ausschließlich wegen des selbst zu zahlenden Preises ablehnen.

Auf ganz andere Grenzen ärztlichen Handelns verwies der Münchener Dermato-Onkologe Professor Matthias Volkenandt. Denn die stets individuellen Entscheidungen des Arztes erfolgen nicht nur unter begrenzten finanziellen Ressourcen und unter Zeitdruck. Volkenandt: "Auch unser medizinisches Wissen und Können bleibt begrenzt, und zwar sowohl das individuelle Wissen des einzelnen Arztes, wie auch das kollektive Wissen der Medizin insgesamt."

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