Koalition lässt Abhören bei Ärzten zu

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Hört jemand mit? Politiker der Opposition fürchten noch mehr verdeckte Abhörmaßnahmen der Ermittler.

Hört jemand mit? Politiker der Opposition fürchten noch mehr verdeckte Abhörmaßnahmen der Ermittler.

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BERLIN (ble). Mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD hat der Bundestag am Freitag der Reform der verdeckten Telefonüberwachung sowie der Speicherung von Verbindungsdaten zugestimmt.

Mit dem Gesetz werden die Voraussetzungen für verdeckte Ermittlungen neu gefasst. So wird der Straftatenkatalog nach Angaben der Koalition auf solche Delikte eingeschränkt, die im Höchstmaß mit fünf Jahren Haft oder mehr bedroht sind. Zudem müssen Telekommunikationsanbieter die Daten von Telefon- und Internetverbindungen für sechs Monate speichern.

Der Staat darf Abgeordnete nicht abhören, Ärzte schon

Heftig umstritten ist das unterschiedliche Schutzniveau von Berufsgeheimnisträgern bei Abhörmaßnahmen. Während Telefonate von Abgeordneten, Seelsorgern und Strafverteidigern vor geheimen Ermittlungen absolut geschützt sind, gilt für Ärzte oder Journalisten eine Einzelfallprüfung. Ärztliche Spitzenverbände hatten daran wiederholt scharfe Kritik geübt. Am Freitag schloss der scheidende Chef des Marburger Bundes, Dr. Frank Ulrich Montgomery, deshalb eine Verfassungsklage seiner Gewerkschaft nicht aus.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries verteidigte ihr Gesetz. So hätten die Ermittler nur beim Verdacht einer schweren Straftat und nach richterlichem Beschluss Zugriff auf die gespeicherten Daten. Deutschland befinde sich mitnichten "auf dem Weg in einen Überwachungsstaat".

Der Unions-Rechtsexperte Siegfried Kauder warf den Kritikern des Gesetzes vor, die Menschen zu verunsichern und die innere Sicherheit zu gefährden. Der große Lauschangriff und das Abhören von Telefonaten seien bereits heute möglich. Zudem würden Ärzte in ihrer Arbeit jetzt sogar besser geschützt als bisher: "Dieser Gesetzentwurf führt zu einer Verbesserung der Rechte der Berufsgeheimnisträger und nicht zu einer Verschlechterung", so Kauder.

In der hitzigen Debatte übte die Opposition hingegen scharfe Kritik an der Koalition. Ab dem kommenden Jahr würden die Kommunikationsdaten von 80 Millionen Bundesbürgern erfasst, "und zwar ohne jeden Verdacht und ohne jeden Anlass", beklagte Jan Korte für die Linke. "Wir haben es hier mit einer Totalregistrierung von menschlichem Kommunikationsverhalten zu tun", so Korte. Bei der Überwachung von Telefonaten werde außerdem der nach dem Bundesverfassungsgericht zu schützende "Kernbereich privater Lebensführung" verletzt.

Menschen teilten ihre Telefonate nicht in private und strafrechtlich relevante Inhalte auf, monierte Korte. Für die Grünen sprach Jerzy Montag von einem "schwarzen Tag für die Bürgerrechte". Der FDP-Rechtsexperte Jörg van Essen warf Zypries vor, alle Bürger unter Generalverdacht zu stellen. Nach Angaben der Liberalen wurden 2005 knapp 35 000 Mobilfunk- und 5400 Festnetzanschlüsse überwacht. Im Vergleich zu 1995 sei das ein Anstieg um über 600 Prozent gewesen.

AUSZÜGE AUS DEN REDEN

"Wir haben einen Richtervorbehalt"

Der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion Joachim Stünker verteidigte das Gesetz gegen die "Barrikadenreden" der Opposition. Sie versuche bewusst eine "Massenhysterie" zu schüren. Stünker sprach von einem "guten Tag für den Rechtsstaat in diesem Land". So würden die Voraussetzungen für die Ermittler bei verdeckten Telefonüberwachungen verschärft. So müsse im Einzelfall immer eine schwere Straftat vorliegen. "Wir verschärfen die inhaltlichen Schranken bei der Überwachung, indem wir Verwertungsverbote einführen." Zudem baue die Koalition den Grundrechtsschutz durch Verfahrensgarantien und durch eine umfassende Berichtspflicht aus. "Transparenz ist der wirksamste Schutz vor Missbrauch." Für alle Maßnahmen müsse eine richterliche Erlaubnis vorliegen: "Wir haben einen umfassenden Richtervorbehalt."

"Bürger geraten unter Generalverdacht"

Von Jahr zu Jahr ist die Zahl der Telefonüberwachungen in Deutschland gestiegen, sagte der rechtspolitische Sprecher der FDP-Fraktion Jörg van Essen. "Damit muss sich das Parlament beschäftigen, das ist erklärungsbedürftig." Für die Liberalen seien die Regelungen zu den geschützten Berufsgruppen "nicht nachvollziehbar". "Anwälte und Ärzte haben berechtigte Sorgen. Künftig findet eine Verhältnismäßigkeitsprüfung statt. Keine dieser Berufsgruppen kann mehr sicher sein, dass das Vertrauensverhältnis zwischen einem Arzt (und seinem Patienten) nicht in Gefahr gerät."

Am meisten Sorgen, so van Essen, macht der FDP "die verdachts- und anlasslose Speicherung von Daten von Bürgern. Bürger werden unter Generalverdacht gestellt. Das ist ein Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung."

"Schwarzer Tag für die Bürgerrechte"

"Heute ist ein schwarzer Tag für die Bürgerrechte in der Bundesrepublik Deutschland", sagte der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion Jerzy Montag. Die Bundesrechtsanwaltskammer und die Bundesärztekammer, die sich gegen das Gesetz gewandt hätten, seien keine "Zündler", sagte Montag und griff damit Vorwürfe des CDU-Abgeordneten Siegfried Kauder auf.

Der Katalog von Straftaten in der Strafprozessordnung, bei denen eine Überwachung angeordnet werden könne, werde erweitert, so Montag. Selbst bei Straftaten, bei denen nur eine Geldstrafe in Rede stehe, sei künftig eine Telefonüberwachung möglich. Ein Straftatbestand sei herausgenommen, fünf aber eingefügt worden. Er warf der Koalition vor, sie halte "das Zweiklassenrecht bei Berufsgeheimnisträgern aufrecht und verschlimmert es sogar noch".

 

DAS WIRD GESETZ

Telefonate werden gespeichert

Ab 2008 müssen Telekommunikationsunternehmen für sechs Monate alle Teilnehmer, Zeitpunkt und Dauer von Telefonaten auf Vorrat speichern. Das entspricht ungefähr dem Einzelverbindungsnachweis, den viele Unternehmen zu Abrechnungszwecken schon jetzt bis zu sechs Monate speichern dürfen und auf die Ermittler Zugriff erhalten können. Bei Handytelefonaten muss der Anbieter zusätzlich die Funkzelle speichern, in der das Gerät zu Beginn der Verbindung angemeldet ist. Ab 2009 werden von Internetsurfern der Zeitpunkt von Einwahl und Trennung der Verbindung sowie bei E-Mails der Zeitpunkt des Versendens, die Sender und alle Empfängeradressen gespeichert. Zugriff auf die Daten haben Polizei und Staatsanwaltschaft nur nach richterlichem Beschluss.

Bei der Telefonüberwachung gibt es für Abgeordnete, Seelsorger und Strafverteidiger künftig einen absoluten Schutz vor Ermittlungen. Bei Ärzten, Anwälten und Journalisten wird im Einzelfall abgewogen. Zulässig sind Maßnahmen bei ihnen nur, wenn es sich um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handelt. Ist der "Kernbereich privater Lebensführung" betroffen, darf nicht abgehört oder das Abgehörte nicht verwendet werden. (dpa)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Demokratie lebt von Furchtlosigkeit

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