Lebt das Bürokratie-Monster in der GKV?

Bürokratie lähmt das Gesundheitswesen und frisst Kassengelder auf. Zu diesem Ergebnis kommt jetzt eine neue Studie: Danach versinkt jeder vierte Kassen-Euro im Bürokratiesumpf.

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Vor Bürokratie erstickt: Jeder vierte GKV-Euro für Papiekrieg?.

Vor Bürokratie erstickt: Jeder vierte GKV-Euro für Papiekrieg?.

© Gina Sanders / fotolia.com

HAMBURG/BERLIN (nös). Welcher Arzt kennt das nicht: Kaum hat der Patient sich verabschiedet, beginnt die Bürokratie. Kodierungen müssen erfasst, Zeitprofile berücksichtigt und die jüngste Regressandrohung beantwortet werden.

Oft sind es Kleinigkeiten, die bei einzelner Betrachtung sogar ihre Daseinsberechtigung haben. Aber viele Experten sind sich sicher: Bürokratie lähmt das Gesundheitswesen und führt zur Fünf-Minuten-Medizin.

Eine Studie der Unternehmensberatung A.T. Kearney setzt jetzt noch eins drauf: Bürokratie verschlingt beinahe jeden vierten Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung.

So berichtet es zumindest das Nachrichtenmagazin "Spiegel": 23 Prozent aller GKV-Ausgaben seien bürokratischen Abläufen geschuldet.

Bezogen auf die Ausgaben von 175,7 Milliarden Euro im Jahr 2010, würde sich somit ein "Bürokratiedefizit" von 40,4 Milliarden Euro ergeben.

Kosten- und Bürokratietreiber

Offiziell werden für das Jahr 2010 9,48 Milliarden Euro Netto-Verwaltungskosten ausgewiesen.

Der Überhang von gut 30 Milliarden Euro entsteht dem Bericht zufolge denn auch nicht bei den Kassen, sondern bei den Leistungserbringern - verursacht wiederum durch die Krankenkassen.

Krankenhausärzte müssten beispielsweise 37 Prozent ihrer Arbeitszeit Verwaltungstätigkeiten widmen. Allein für die Behandlung im Krankenhaus haben die Krankenkassen 2010 rund 56,3 Milliarden Euro ausgegeben.

Auch die komplizierten Abrechnungsverfahren bei den niedergelassenen Ärzten oder die Praxisgebühr seien Kostentreiber, schreibt der "Spiegel".

Dem Bericht zufolge müssten zu den offiziell angegebenen Verwaltungsausgaben weitere 18 Milliarden Euro hinzugerechnet werden.

Gut 13 Milliarden Euro davon ließen sich durch "schlankere Strukturen" einsparen. Der GKV-Beitragssatz ließe sich so von 15,5 auf 14,2 Prozent senken.

Rechenbeispiele

Allerdings sind diese Zahlen anhand des "Spiegel"-Berichts nur schwer nachvollziehbar. So stellt sich die Frage, warum nur 18 Milliarden Euro zusätzliche Bürokratiekosten zu den offiziellen Zahlen hinzugerechnet werden müssen, wenn dem Bericht zufolge eigentlich fast 30 Milliarden Euro Mehrkosten anfallen.

Die Vermutung liegt nahe, dass es sich bei den Zahlen um ein Rechenmodell handelt. Denn die Studie beruht dem Bericht zufolge auf einer Umfrage unter 6000 Ärzten, Apothekern und Sanitätshäusern.

Aus den Antworten - so zumindest die Spekulation - ließe sich eine Bürokratiequote im Verhältnis zur täglichen Arbeit errechnet. Umgelegt auf die GKV-Gesamtausgabe ergäbe sich dann das enorme "Bürokratiedefizit".

Ein Blick in die Methodik könnte aufschlussreich sein, allerdings liegt die Studie bislang nicht veröffentlicht vor. Von der A.T. Kearney war trotz Nachfrage keine Stellungnahme zu erhalten.

Menschen am Fließband behandeln

Der GKV-Spitzenverband wies den "Pauschalvorwurf von zu viel Bürokratie" am Wochenende zügig zurück.

Beispiel Dokumentation: Dies sei keine "überflüssige Bürokratie, sondern für eine gute medizinische Behandlung notwendig", sagte ein Verbandssprecher.

Laut "Spiegel" hat A.T. Kearney die Verwaltungskosten in der GKV mit denen in der Industrie verglichen: Dort liege der Anteil bei 6,1 Prozent.

Beim GKV-Spitzenverband fragt man sich daher: "Wenn wir Menschen genauso am Fließband behandeln würden, wie die Industrie Autos baut, könnten wir die Kosten für bürokratische Abläufe im Gesundheitswesen sicherlich auch auf 6,1 Prozent drücken - aber wer möchte schon so automatisiert behandelt werden?"

Ein anderes Beispiel sind die Rabattverträge. Dass sie Bürokratie produzieren, ist unbestritten. Für den GKV-Spitzenverband allerdings kein Grund zum Klagen: "Wenn Apotheker ein günstiges Arzneimittel mit Rabattvertrag heraussuchen müssen, dann ist es aus ihrer Sicht vielleicht unnötige Bürokratie - aber viele Patienten sparen dadurch die Zuzahlung."

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