Interview

Lieberknecht: "MVZ sind kaum zu ersetzen"

Trotz der großen Probleme mit dem Hausarztnachwuchs sieht Thüringens Gesundheitsministerin Christine Lieberknecht das Land für die kommenden Herausforderungen gut gerüstet.

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,, An unseren Kliniken arbeiten über 600 Ärzte mehr als 1993. Christine Lieberknecht Thüringische Gesundheitsministerin

Christine Lieberknecht hat zwei theologische Staatsexamen abgelegt und war sechs Jahre als Pastorin tätig, bevor sie etwa zehn Jahre Ministerposten und andere politische Ämter bekleidet hat.

Ärzte Zeitung: Frau Lieberknecht, wie nehmen Sie mit Ihrem Erfahrungshorizont Politik wahr?

Christine Lieberknecht: Mir liegt das Generalistische in der Politik. Ich habe einen ganzheitlichen und theologisch gefassten Ansatz. Die Würde des Menschen bildet die Fundamentalnorm.

Ärzte Zeitung: Was bedeutet diese Norm konkret für das Gesundheitswesen?

Lieberknecht: Im Vergleich zu anderen Ländern sind wir in Deutschland bei der Versorgung der Patienten vorbildlich aufgestellt. Das begrüße ich. Die Menschen bekommen die bestmögliche Versorgung. Für die nächste Zeit sehe ich glücklicherweise nicht, dass sich daran etwas ändern wird.

Ärzte Zeitung: Der Blick auf den Gesundheitsfonds ändert daran nichts?

Lieberknecht: Thüringen hat dem Fonds und auch der umstrittenen Konvergenzklausel grundsätzlich zugestimmt. Es ist eine Reform, die nichts verbaut. Bedingung ist natürlich, dass Thüringen nicht schlechter gestellt wird als jetzt und dass das Geld der Beitragszahler hier bleibt.

Ärzte Zeitung: Also alles im grünen Bereich? Bei der Krankenhausfinanzierung streitet sich Thüringen aber gegenwärtig mit dem Bund.

Lieberknecht: Das ist richtig. Nach 1990 ist Thüringen seinen Verpflichtungen nachgekommen und hat 2,9 Milliarden Euro in die Infrastruktur der Krankenhäuser gesteckt. Wenn man jetzt auf eine monistische Finanzierung drängt - also der Bund das Geld sammelt und verteilt -, fließen jährlich 125 Millionen Euro aus Thüringen in Länder mit Nachholbedarf ab. Man darf Länder nicht bevorzugen, die über Jahre ihre Krankenhäuser vernachlässigt haben. Wir kämpfen hier gemeinsam mit anderen Ländern für die Beibehaltung der Eigenverantwortung der Länder.

Ärzte Zeitung: Die neuen Honorarsätze für Ärzte können den Druck beim Ärztemangel lindern, verlautet aus anderen Bundesländern. Sehen Sie für Thüringen eine ähnliche Entwicklung?

Lieberknecht: Obgleich die unterschiedlichen Honorarsätze nur ein Grund für die Abwanderung thüringischer Ärzte in andere Regionen sind, ist die Forderung nach einheitlichen Honoraren in Ost und West zwingend.

Ärzte Zeitung: Wie wollen Sie dem Ärztemangel in Thüringen begegnen?

Lieberknecht: Zunächst: Bei aller Diskussion über den Ärztemangel haben wir heute beispielsweise an den Thüringer Krankenhäusern über 600 Ärzte mehr als vor 15 Jahren. Das Problem ist also zum einen der gestiegene Bedarf, zum anderen vor allem der Ärztemangel im Hausarztbereich. Hier hilft nur ein Maßnahmenpaket.

Ärzte Zeitung: Wie wirbt Thüringen um Mediziner?

Lieberknecht: Wir haben ein Programm mit finanziellen Hilfen zur Wiederauflage in Vorbereitung. Es ermöglicht die Vergabe zinsgünstiger Darlehen und war bis 2005 schon einmal in Kraft. Der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat Unterstützung für von Unterversorgung bedrohte Gebiete, wie beispielsweise in Dingelstädt, Kraftsdorf oder Schleusingen, beschlossen.

Ärzte Zeitung: Wie wollen Sie Nachwuchsmediziner im Lande halten?

Lieberknecht: Viele Studenten wollen bleiben, ergaben Umfragen. Die anderen beklagen oft die Kleinteiligkeit Thüringens. Die weichen Standortfaktoren werden für junge Ärzte immer wichtiger, aber ein Blick auf die andere Seite der Medaille lohnt. Mit 19 Kur- und 53 Erholungsorten und der ausgeprägten Bäderlandschaft bietet Thüringen Medizinern interessante berufliche Möglichkeiten.

Ärzte Zeitung: Welche Rolle können Medizinische Versorgungszentren (MVZ) in Thüringen spielen?

Lieberknecht: Die landesweit 47 MVZ werden sehr gut angenommen. In MVZ bekommen die Ärzte Unterstützung bei Bürokratie und Abrechnung und können Arbeitsteilung organisieren. Sie können Familie und Beruf leichter vereinbaren. Objektiv sind die MVZ bei der ärztlichen Versorgung künftig kaum zu ersetzen. Ich denke, das wird die Zukunft sein.

Das Gespräch führte Katlen Trautmann.

Zur Person

Christine Lieberknecht (CDU) wurde am 7. Mai 1958 in Weimar geboren. Die evangelische Theologin ist seit 1991 Mitglied des Thüringer Landtags. Von 1990 bis 1992 war sie Kultusministerin, von 1992 bis 1999 als Ministerin für Bundesangelegenheiten Bevollmächtigte des Freistaats beim Bund; von 1999 bis 2004 Präsidentin des Landtags. 2004 wählte sie die CDU-Fraktion zur Vorsitzenden.

Seit dem 8. Mai 2008 ist Lieberknecht Gesundheitsministerin des Freistaates.

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