Spanien

Ließ Spanien ältere Menschen bewusst am Coronavirus sterben?

4000 Familien von an COVID-19 verstorbenen Altersheimbewohnern haben gerichtliche Schritte in die Wege geleitet.

Manuel MeyerVon Manuel Meyer Veröffentlicht:
In Spanien keimt zunehmend der Verdacht auf, an COVID-19 erkrankten Altenheimbewohnern sei die Aufnahme in Krankenhäuser auf Regierungsgeheiß verweigert worden.

In Spanien keimt zunehmend der Verdacht auf, an COVID-19 erkrankten Altenheimbewohnern sei die Aufnahme in Krankenhäuser auf Regierungsgeheiß verweigert worden.

© Marta Fernández Jara/EUROPA PRESS/dpa

Madrid. Als Beatriz am 22. März von der Altenheimleitung benachrichtigt wurde, ihre Mutter Enriqueta zeige schwere COVID-19-Symptome, das zuständige Krankenhaus lehne aber ihre Einweisung ab, konnte Beatriz es nicht glauben. Sie rief selber in der Madrider Universitätsklinik Severo Ochoa an.

„Ich war geschockt. Man sagte mir tatsächlich, die Gesundheitsbehörde habe Anweisung erteilt, mit COVID-19 infizierte Personen über 75 Jahre und mit Vorerkrankungen nicht aufzunehmen“, erinnert sich Beatriz. Ihre Mutter war 87 Jahre alt, litt unter leichter Demenz. „Aber sie erkannte mich noch, konnte mit mir reden und auch noch selbstständig laufen“.

Einsamer Tod im Altersheim

Sie könne verstehen, dass zum Höhepunkt der Pandemie mit fehlenden Beatmungsgeräten und Intensivstationsplätzen jüngere Patienten mit größeren Überlebenschancen priorisiert wurden. „Aber sie konnten meiner Mutter doch nicht einfach so die medizinische Behandlung verwehren. Enriqueta starb am 26. März alleine auf ihrem Zimmer im Madrider Altenheim DomusVi. „Ich konnte mich nicht einmal von ihr telefonisch verabschieden, weil sie wegen der Schmerzen sediert war“, sagt Beatriz.

Beatriz stellte wegen unterlassener Hilfeleistung und fahrlässiger Tötung Strafanzeige gegen die Madrider Gesundheitsbehörden und das Krankenhaus. Ihr Fall ist kein Einzelfall. Bereits an die 4000 Familien von an COVID-19 verstorbenen Altersheimbewohnern haben ähnliche gerichtliche Schritte in die Wege geleitet. Denn ein genereller Verdacht keimt auf: Ließ man in Spanien Altersheimbewohner etwa bewusst am Coronavirus sterben?

Anweisungen an Krankenhäuser?

Vor einigen Tagen von der spanischen Presse veröffentlichte Protokolle der Madrider Regionalregierung legen das zumindest nahe. Auch andere spanische Regionalregierungen sollen ähnliche Anweisungen an die Krankenhäuser weitergegeben haben. „Menschen eine medizinische Behandlung zu verweigern, ist in Spanien eine Straftat. Hierfür müssen die Verantwortlichen geradestehen“, erklärt auch Carmen Flores, Vorsitzende des spanischen Patientenschutzverbands. Ihr Verband hat die Staatsanwaltschaft bereits zu Ermittlungen aufgefordert.

„Wir waren vollkommen machtlos. Die Menschen starben und wir konnten nichts tun. Wir sind keine Krankenhäuser, haben keine Ärzte. Die Kliniken weigerten sich auf Anweisung der Gesundheitsbehörden, unsere erkrankten Heimbewohner aufzunehmen. Man gab uns aber auch keine Beatmungsgeräte, Sauerstoff, Tests oder Schutzmaterial, um selber etwas machen zu können. Man ließ uns alleine“, bestätigt Cinta Pascual, Vorsitzende des größten Verbands privater Altersheime CEAPs.

Tatsächlich starben in keinem anderen Land Europas derart viele Menschen in Altersheimen an COVID-19 wie in Spanien. Von den insgesamt 27.100 Corona-Opfern in Spanien fielen über 19.500 dem Virus in Seniorenresidenzen zum Opfer.

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