Menschliche Organe aus Tieren?

Medizinethiker: „Bestimmte Grenzen werden bleiben und müssen bleiben“

Forscher vom Salk Institute in San Diego haben menschliche Zellen in Embryonen von Javaner-Affen injiziert. Die Hoffnung: Eines Tages könnten transplantierfähige menschliche Organe in Tieren heranwachsen. Die „Ärzte Zeitung“ sprach mit Dr. Gerald Neitzke vom Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin an der Medizinischen Hochschule Hannover.

Von Christian Beneker Veröffentlicht:
Javaner-Affen als „Zuchtstation“ menschlicher Organe?

Javaner-Affen als „Zuchtstation“ menschlicher Organe?

© picture alliance / blickwinkel/A

„Ärzte Zeitung“: Herr Dr. Neitzke, spielen Menschen Gott, wenn sie Chimären erschaffen?

Dr. Gerald Neitzke: Die Menschheit hat lange Zeit versucht, der Natur bestimmte Grenzen zu setzen. Das war ein klarer Überlebensvorteil. Für mich ist es heute aber unübersehbar, dass wir uns nicht außerhalb der Natur stellen können, sondern dass wir uns nur mit der Natur ändern können. So, wie wir die Natur zurichten, richten wir uns als Menschen letztlich selbst zu. Bestimmte Grenzen werden also bleiben und werden bleiben müssen. Ob aber mit den erzeugten Chimären eine solche Grenze bereits überschritten wurde, möge jede und jeder selbst entscheiden.

Unser Grundgesetz schützt menschliche Embryonen. Wie lautet die ethische Begründung für den Schutz dieses frühen Lebens?

Ein umfassendes Verständnis von Menschenwürde beinhaltet, dass Würde nicht teilbar sein kann, dass es also keine „90-Prozent-Würde“ geben kann. Daher kann ein bestimmtes Wesen nur ganz oder gar nicht an der Würde teilhaben. Die humanen Embryonen werden also der Gattung Mensch zugerechnet. Es erscheint mir zwingend, dass dann auch die Würdezuschreibung berechtigt ist.

Das Experiment

Eine Forschergruppe um den Wissenschaftler Juan Carlos Izpisua Belmonte vom Salk Institute in San Diego hat 25 pluripotente menschliche Zellen in Embryonen von Javaner-Affen injiziert. Einige der so entstandenen Mischwesen überlebten in der Petrischale 19 Tage lang.

Sie sagen, die ethische Debatte sei nicht vorbereitet auf die ethischen Fragen im Zusammenhang mit dem Einsatz von Chimären.

So ist es. Das Hauptproblem ist, dass der moralische und juristische Status solcher Mischwesen nicht ansatzweise geklärt ist. Wie groß muss der Anteil menschlicher Zellen in einem Lebewesen sein, um ihm die Menschenwürde zuzuerkennen? Und wie hoch kann der tierische Anteil noch sein, um nicht als Tier behandelt zu werden? Und: Ist es rechtens, das Leben eines Tieres so zu verzwecken, dass darin menschliche Organe heranwachsen dürfen? Immerhin erkennen wir weniger bedeutsame Gründe an, Tiere massenhaft zu töten: um sie zu essen. Diese Statusfrage zu klären wäre für mich die Voraussetzung, um überhaupt darüber nachzudenken, Chimären-Versuche auch bei uns zuzulassen. Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte.

Welches ist Ihre persönliche Position zur Statusfrage?

Mischwesen entstehen ja durch menschlichen Eingriff, die Statusfrage kann ich hier nicht abschließend klären. Aber ich glaube, dass es ein Mischungsverhältnis gibt, bei dem man keine ethischen Gründe nennen kann, warum diese Chimären nicht den Status eines Menschen haben können. Ein Mensch, der mit einem Schweineherzen leben würde, bliebe ein Mensch mit allen Zuschreibungen von Rechten und Pflichten, die das Recht vorsieht.

Geht es nur um die Menge von Körperzellen? Ist nicht viel eher das Hirn entscheidend, das Bewusstsein, das den Menschen zum Menschen macht?

Bei der Frage, ob man sich hier in einem kognitivistischen Ansatz vom zentralen Nervensystem abhängig machen soll, habe ich keine Meinung. Ich persönlich kann mir allerdings nicht vorstellen, in einer Gesellschaft leben zu müssen, in der nur das Hirn und das zentrale Nervensystem als Ausweis des Menschlichen gelten würden. Wenn es technisch möglich wäre, wäre dann ja ein Schweinekörper mit einem transplantierten menschlichen Kopf ein Mensch. Und was wäre dann ein biologischer Mensch, dem als Embryo die Anlage für das Gehirn entfernt wurde? So etwas will ich mir in unserer Gesellschaft gar nicht vorstellen.

Das Experiment

Eine Forschergruppe um den Wissenschaftler Juan Carlos Izpisua Belmonte vom Salk Institute in San Diego hat 25 pluripotente menschliche Zellen in Embryonen von Javaner-Affen injiziert. Einige der so entstandenen Mischwesen überlebten in der Petrischale 19 Tage lang.

Ist eine Begrenzung von Forschung überhaupt auf Dauer möglich?

In der Tat lassen sich die fraglichen Techniken missbrauchen – was ich keinem der Forscher unterstellen will. Aber wenn man menschliche und tierische Stammzellen mischen kann, lässt sich eine Menge fantasieren. Hier brauchen wir eine Forschung, die die Folgen des eigenen Tuns ins Auge fasst und auch immer eine Folgenabschätzung der eigenen Arbeit mitliefert. Forschung selbst muss Verantwortung übernehmen. Der Philosoph Hans Jonas hat geschrieben: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“

Was könnte die Wissenschaft zu so einer Selbstbeschränkung motivieren?

Als Ethiker fällt mir die Antwort leicht: Unser Gewissen verlangt von uns, dass wir unser Handeln moralisch prüfen. Ich erlebe viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich weniger von Vorschriften und Gesetzen leiten lassen, als von dem inneren Bedürfnis, auf „sinnvolle Weise“ an einem „sinnvollen Ziel“ zu arbeiten. Wir sollten in einer Art disziplinären Selbstkontrolle immer wieder den interdisziplinären Diskurs über die Sinnhaftigkeit der Forschung und Forschungsziele einfordern.

Schiebt die Forschung und die menschliche Neugier nicht die Grenze des Verbotenen im Sinne einer Salami-Taktik ganz automatisch immer weiter hinaus?

Nicht, wenn sie verantwortungsvoll im Sinne Jonas‘ handelt. Aber wir dürfen die Augen nicht verschließen. Die Salami-Taktik existiert als ein unbewusstes Ausblenden von Verantwortung, die die Forschung übernehmen müsste. Etwa für die Möglichkeit, bestimmte Werkzeuge der Forschung zu missbrauchen. Wer Techniken entwickelt, muss eben auch mit ihrem Missbrauch rechnen und für diese Möglichkeit die Verantwortung übernehmen. Und solche Folgenbewertung betrifft auch die Statusfrage einer Chimäre: Dass man zumindest eine vage Vorstellung davon hat, als was man eine Chimäre betrachten kann – als einen Zellhaufen oder als ein aufgrund seiner Möglichkeiten schützenswertes, werdendes Mischwesen.

Worüber übrigens noch weniger nachgedacht wird, ist das Verteilungsproblem eventuell in Chimären gezüchteter Organe. Der Gedanke daran ist zwar brillant, geht aber an der sozialen Wirklichkeit vorbei. Denn solche Organe können immer nur ganz individuell verteilt werden und wären wohl nur Patienten in den reichen Ländern zugänglich. Da wird neue Ungerechtigkeit geschaffen.

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