Hintergrund

Pädiater auf dem absteigenden Ast

Immer weniger EU-Staaten setzen auf Kinderärzte. Ihr Anteil an der Primärversorgung schrumpft - obwohl bekannt ist, dass von Pädiatern behandelte Kinder besser versorgt sind.

Raimund SchmidVon Raimund Schmid Veröffentlicht:
Ein Pädiater mit einem Kind: In 60 Prozent aller EU-Länder sind die Kinderärzte nicht oder kaum an der medizinischen Grundversorgung von Kindern beteiligt.

Ein Pädiater mit einem Kind: In 60 Prozent aller EU-Länder sind die Kinderärzte nicht oder kaum an der medizinischen Grundversorgung von Kindern beteiligt.

© Kzenon / fotolia.com

Fast in jedem europäischen Land wird die ärztliche Primärversorgung von Kindern unterschiedlich organisiert und geregelt. Darauf weist der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte hin.

In vielen Ländern wird die Behandlung von Kindern zwischen Pädiatern und Allgemeinärzten aufgeteilt. Von den 82.000 Pädiatern sind allerdings nur 33.000 Kinder- und Jugendärzte - statistisch gesehen 40 Prozent - in den EU-Staaten primär in der ärztlichen Grundversorgung tätig.

In vielen EU-Staaten kaum an der medizinischen Grundversorgung der Kinder beteiligt

In 60 Prozent aller EU-Länder sind Pädiater nicht oder kaum an der medizinischen Grundversorgung von Kindern beteiligt.

"Primary Health Care" findet deshalb in vielen EU-Staaten unter Ausschluss der Pädiater statt, stellte Dr. Elke Jäger-Roman, Beauftragte für europäische Zusammenarbeit im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, bei der 107. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin in Bielefeld ernüchtert fest.

Für die EU sind Pädiater "Medizinische Spezialisten"

Auch für die EU-Behörden in Brüssel zählen die Pädiater für die im EU-Raum lebenden 91 Millionen Kinder unter 15 Jahren eher zur Gruppe der "Medizinischen Spezialisten."

So verwundert es auch nicht, dass noch 24 Prozent der EU-Staaten rein auf ein primär ausgerichtetes pädiatrisches System setzen. Im Jahr 2002 lag dieser Anteil noch bei 35 Prozent.

Ein rein primärärztliches System ohne Pädiater in der Grundversorgung gibt es dagegen bereits in 41 Prozent aller EU-Staaten (2002: 18 Prozent).

Während 2002 noch etwa die Hälfte der EU-Staaten auf ein kombiniertes Versorgungssystem von Allgemeinmedizinern und Pädiatern setzten, sind es 2010 noch 35 Prozent.

Weiterbildung ist höchst unterschiedlich geregelt

Entscheidend für die Qualität der Versorgung sind für Elke Jäger-Roman aber vor allem die Bedingungen, unter denen Ärzte in der Primärversorgung pädiatrisch weitergebildet werden. Und auch dies ist EU-weit höchst unterschiedlich geregelt.

Das Spektrum reicht bei den Pädiatern von einer fünfjährigen Weiterbildungszeit wie in Deutschland, über einen dreijährigen "common trunk", bis hin zu einem obligaten "primary Care" Weiterbildungsabschnitt in fünf EU-Staaten, oder einem "primary care" Weiterbildungs-Curriculum in drei EU-Ländern.

In Großbritannien ist ein Pädiater für 53.000 Einwohner zuständig

Bei den Allgemeinärzten werden entweder verpflichtende Weiterbildungsabschnitte über einen Zeitraum von drei bis sechs Monaten oder fakultative pädiatrische Weiterbildungsabschnitte wie in Deutschland erwartet.

Dabei schneiden die Länder, die ein besonders dichtes Netz an Pädiatern aufweisen, etwa Italien mit einem Verhältnis von einem Kinderarzt auf 4000 Einwohner, und die Staaten, die auf ein gemischtes System setzen wie Deutschland und Schweden mit einem Verhältnis von eins zu 8000 gut ab.

Ganz anders dagegen Großbritannien, wo Kinder- und Jugendärzte nur noch mit der Lupe zu finden sind, weil dort ein Pädiater gleich für 53.000 Einwohner zuständig ist.

Durchimpfungsrate im ersten Lebensjahr liegt in Deutschland bei 95 Prozent

So liegt zum Beispiel die Durchimpfungsrate im ersten Lebensjahr in Deutschland und Schweden bei 95 Prozent, in Großbritannien aber lediglich bei 86 Prozent. Die Kindersterblichkeit ist auf der Insel im Vergleich zu Deutschland 1,5-mal höher und im Vergleich zu Schweden fast doppelt so hoch.

Fazit von Jäger-Roman: Bei der Gesundheitsversorgung von Kindern sind fachlich weitergebildete Ärzte vorzuziehen, weil sie weniger Antibiotika verschreiben, Kinder mit chronischen Krankheiten besser behandeln und die kleinen Patienten seltener in Krankenhäuser einweisen.

Sie sollten "in der Praxis abgestuft zusammenarbeiten und nicht - wie bisher - rein kompetitiv", schlägt Jäger-Roman vor.

Immer mehr mobile Teams

In vielen ländlichen EU-Regionen würden Kinder heute von mobilen Teams unter maßgeblichem Einsatz einer Kinderkrankenschwester medizinisch versorgt.

Genau dies werde in Schweden - laut Unicef das Land mit den besten Werten bei der Kindergesundheit - bereits erfolgreich praktiziert.

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