TV-Kritik

Pflegekrise: Einfach irgendwo anfangen!

Wo soll die Politik ansetzen im Ringen um mehr Pflegekräfte? Bei "Hart aber fair" skizzierte Jens Spahn (CDU), welche Register er ziehen will.

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BERLIN. Die Pflege ist im Zentrum der Innen- und Gesellschaftspolitik angekommen – und kein Spezialfall der Gesundheitspolitik mehr. "Wir haben eine massive Vertrauenskrise – es wird nicht mehr geglaubt, dass die Politik wirksam Lösungen findet", sagt Jens Spahn am Montagabend bei Frank Plasbergs "Hart aber fair".

Nach dem Versichertenentlastungsgesetz verabschiedet das Bundeskabinett am Mittwoch das zweite Gesundheitsgesetz, die Neuordnung der Pflegeausbildung, kurz getaktet werden weitere Gesetze folgen.

Daran gab es auch in der vergangenen Legislaturperiode keinen Mangel – aber Papier ist geduldig. Nicht jedoch der Bürger und erst recht nicht jene vielen hunderttausend Menschen, die in der Pflege professionell arbeiten und die wohl mehr als zwei Millionen pflegenden Angehörigen. Sie haben Schwierigkeiten, Leistungsansprüche bei einer komplexen Rechtslage durchzusetzen, manche Pflegekasse verhält sich sperrig, einen Heimplatz zu finden, wird immer schwieriger, mit aus dem Ausland vermakelten Pflegekräften hat sich eine geduldete, ja sogar erwünschte und auch von Profis praktizierte Pflege-Parallelwelt gebildet.

Jens Spahn muss kämpfen wie Laokoon, das wird auch bei Plasberg deutlich. Sein Sofortprogramm mit 13.000 neuen Stellen – ein Tropfen auf dem heißen Stein. Seine Verteidigung: Irgendwo muss ich anfangen, den ersten Schritt machen, aber dabei soll es nicht bleiben. Er will alle Register ziehen: Tarife verbindlich machen, in Ausbildung investieren, Anreize für Berufsrückkehrer schaffen, Teilzeit zu Vollzeit aufstocken, gezielte Einwanderung ermöglichen.

Geld ist nicht der Engpassfaktor

Obwohl die Pflegeversicherung in den roten Zahlen ist, ist nicht Geld der Engpassfaktor – seine Ankündigung höherer Pflegebeiträge blieb ohne Protest. Spahn steht vor dem Herkulesakt, viele zehntausend Menschen, die frustriert und ausgebrannt in den letzten Jahren ihrem Beruf den Rücken gekehrt haben, davon zu überzeugen, dass dieser Beruf eine Perspektive hat. "Wir müssen die Abwärtsspirale durchbrechen und umkehren", sagt er.

Unterstützt wird er von Thomas Greiner, Präsident des Arbeitgeberverbandes Pflege. Er hält einen "Befreiungsschlag mit dreimal 13.000 zusätzlichen Pflegekräften für möglich. Sein Vorschlag: eine Qualifizierungsoffensive, eine Konzentration der Kräfte, etwa der Fachpflege auf die medizinische Behandlungspflege und gezielte Anwerbung aus dem Ausland – "in den Philippinen sitzen die Menschen auf gepackten Koffern".

Bei den Betroffenen selbst herrscht große Skepsis, ob solche Rezepte die Lösung sind: Greiners Vorschlag, der darauf hinausläuft, eine Pflegehilfskraft mit 186 Stunden höher zu qualifizieren, werde nicht zum Niveau einer Fachkraft mit fünfjähriger Ausbildung führen, wendet Silke Behrendt ein, die seit 20 Jahren als qualifizierte Altenpflegerin arbeitet. Und mehr ausländische Mitarbeiter? Da könnte es auch Sprachbarrieren geben.

So bleiben pflegende Angehörige das Rückgrat der Pflege – drei Viertel aller Alten werden so versorgt. Bei der Betreuung Schwerstpflegebedürftiger nach Pflegegrad 5 bedeutet dies über Jahre hinweg: Verzicht, Dauerstress, hohe körperliche Belastung, Kampf mit Behördenungetümen.

Die Journalistin Ruth Schneeberger, hat zehn Jahre ihre schwerstpflegebedürftige Mutter bis zu ihrem Tod gepflegt, neben einer stark eingeschränkten Berufstätigkeit. Das Risiko, dabei auszubrennen, sei noch höher als bei Profis. Dennoch macht sie Mut, Angehörige zu Hause zu pflegen. Denn so viel Empathie könne keine professionelle Einrichtung aufbringen.

Aber, so schränkt sie ein, viel früher hätte sie mehr professionelle Hilfe holen müssen. Der Anspruch darauf besteht – seine Realisierung steht auf einem anderen Blatt. Auch ein Glaubwürdigkeitsproblem, das Jens Spahn und die Berufspolitik haben. (HL)

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