Interview mit Dr. Klaus Reinhardt

„Raus aus dem Sektoren-Denken!“

Dr. Klaus Reinhardt, Vize- Chef der Kammer Westfalen-Lippe bewirbt sich um das höchste Amt in der Ärzteschaft. Zusammen mit zwei Kolleginnen setzt er auf den Strukturwandel an der Spitze der Bundesärztekammer. Sein Team repräsentiere die unterschiedlichen Handlungsfelder.

Wolfgang van den BerghVon Wolfgang van den Bergh Veröffentlicht:
Maß aller Dinge ist integratives Handeln: Dr. Klaus Reinhardt (re.) im Gespräch mit Wolfgang van den Bergh. Hartmannbund

Maß aller Dinge ist integratives Handeln: Dr. Klaus Reinhardt (re.) im Gespräch mit Wolfgang van den Bergh. Hartmannbund

© Hartmannbund

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Reinhardt, ein Hausarzt an der Spitze der Bundesärztekammer - da muss man über 60 Jahre zurückdenken. Warum ist jetzt die Zeit reif dafür?

Dr. Reinhardt: Man könnte spaßeshalber sagen, wenn das schon so lange her ist, dann ist es wirklich an der Zeit, einen Hausarzt an die Spitze der Bundesärztekammer zu wählen. Im Ernst: Ich glaube, ein Hausarzt oder überhaupt ein niedergelassener Kollege an der Spitze der Ärzteschaft ist in Zeiten, in denen die Attraktivität der wirtschaftlichen Selbstständigkeit nachzulassen scheint, kein unwichtiges Signal.

Ich glaube aber sehr nachdrücklich, dass wir insgesamt für die Kolleginnen und Kollegen auf Dauer nur dann erfolgreiche „Ärztepolitik“ werden machen können, wenn wir uns nicht nur mit Blick auf die Versorgung, sondern auch politisch aus dem „Sektoren-Denken“ verabschieden.

Noch einmal nachgehakt: Ist die Zeit vielleicht auch deshalb reif, weil Hausärzte oft als erste Ansprechpartner und Koordinatoren für Patienten immer wichtiger werden?

Dr. Reinhardt: Ja, ich glaube, dass Hausärzte in unserem hochkomplexen Versorgungssystem schon immer eine wichtige Funktion einnehmen. Ich würde dies allerdings nicht nur auf die Rolle als Koordinator reduzieren wollen. Es stimmt, der Hausarzt ist in der Regel der erste Ansprechpartner. Das beginnt bereits oft in der Jugend und setzt sich ins Erwachsenenalter fort. Dies entspricht im Grundsatz auch den Bedürfnissen der Patienten.

Nun treten Sie bei Ihrer Kandidatur um die BÄK-Spitze mit einem Dreierteam an. Neben Ihnen Frau Dr. Lundershausen als niedergelassene HNO-Ärztin aus Thüringen und Frau Dr. Gitter als Kinderchirurgin aus Bremen als Ihre Stellvertreterinnen. Ist das Kalkül?

Dr. Reinhardt: Wir kennen uns seit Jahren aus der Arbeit im Vorstand der Bundesärztekammer, wissen um unsere gemeinsamen Positionen und Überzeugungen, haben ähnliche Vorstellungen von der Rolle der BÄK und repräsentieren bei allen grundsätzlichen Gemeinsamkeiten gleichzeitig quasi die gesamte Bandbreite der unterschiedlichen Handlungsfelder unserer Kolleginnen und Kollegen – stehen also dafür, dass wir ärztliches und berufspolitisches Handeln als gemeinsames und integratives Handeln begreifen. Wir werden gut miteinander arbeiten können.

Soll damit auch eine neue Führungsstruktur an der Spitze der Bundesärztekammer etabliert werden?

Dr. Reinhardt: Ja, aber ich würde das nicht nur auf den Präsidenten und die beiden Vize-Präsidentinnen reduzieren wollen. Das betrifft die Arbeit des gesamten Vorstands als Team. Wir brauchen so etwas wie einen Common Sense – ganz besonders auch zwischen Landesärztekammern und Bundesärztekammer.

Ich wünsche mir, dass die Dinge, die im Vorstand besprochen werden, in den Landesärztekammern weiter diskutiert werden. Ziel muss es doch sein, Brüche zu verhindern und Einigkeit in den wesentlichen Grundpositionen der Ärzteschaft zu zeigen.

Aus der Erfahrung wissen wir, wie wichtig es im Vorfeld ist, Allianzen zu schmieden. Hand aufs Herz: Sie schielen dabei auf die Stimmen des Marburger Bundes . . .

Dr. Reinhardt: . . . ich glaube, jeder Kandidat und jede Kandidatin bewirbt sich völlig nachvollziehbar um jede Delegierten-Stimme. Man wird sich vielleicht zunächst überwiegend an Verbands- oder Gruppenzugehörigkeiten orientieren. Das ist immer so gewesen. Vielleicht aber sollte man sich auch überlegen, was man den Menschen, die sich dort bewerben, zutraut.

Seit vier Jahren bekommen Sie als Mitglied im BÄK-Vorstand die politische Arbeit hautnah mit. Was läuft gut, wo gibt es Optimierungsbedarf?

Dr. Reinhardt: Wir müssen Entwicklungen im Gesundheitswesen früher antizipieren. Voraussetzung dafür ist eine kritische Selbstreflexion, wenn es darauf ankommt, gelegentlich auch mit Unterstützung externer Expertise. Denn die Herausforderungen, die auf uns zukommen, sind enorm.

Dabei denke ich zum Beispiel an die Babyboomer-Jahrgänge unter den Ärzten, die in fünf bis sechs Jahren aus der Versorgung ausscheiden werden. Zudem wird es mehr Ärztinnen oder auch junge Ärzte geben, die ihren berechtigten Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung geltend machen möchten.

Wir müssen uns heute Gedanken darüber machen, wie wir uns die Lösung absehbarer Probleme morgen vorstellen. Das sind Lösungen, die wir dann der Politik anbieten können. Heute ist es leider oft umgekehrt.

Eng mit ihrem Namen verbunden ist die Reform der GOÄ. Kann daraus für Ärzte noch eine Erfolgsgeschichte werden und, wenn ja, wann?

Dr. Reinhardt: Auf jeden Fall. Die vom Minister eingesetzte Kommission, die Vorschläge für eine Reform der Honorarordnung erarbeiten soll, tagt bis Ende des Jahres. Ich habe dort für die Bundesärztekammer vorgetragen.

Auch meine weiteren Kontakte zu Mitgliedern der Kommission haben bei mir nicht den Eindruck hinterlassen, dass man an eine Vereinheitlichung der Gebührenordnung arbeitet. Worüber man allerdings nachdenkt, ist inwiefern gewisse Konstruktionen in den Gebührenordnungen falsche Anreize setzen können. Das halte ich für völlig legitim.

Es braucht in jedem Fall aber eine Gebührenordnung für die freie Berufsausübung jenseits der Verpflichtung als Vertragsarzt. Mitte des Jahres werden wir damit beginnen, dass wir das, was wir mit den 130 Fachverbänden und Gesellschaften zu den Leistungslegenden erarbeitet haben, auch im Hinblick auf die Bewertungen gemeinsam mit den Verbänden analysieren.

Das verlangt Disziplin von allen Beteiligten, die ich auch einfordern werde.

Fühlen Sie sich denn von der Kommission ausgebremst?

Dr. Reinhardt: Politisch für den Moment vielleicht, zumindest etwas aufgehalten. Aber, sehen wir es positiv. Wir werden die Zeit nutzen. Denn die einzelnen betriebswirtschaftlichen Berechnungen zur Bewertung und zum kalkulatorischen Arztlohn mögen noch relativ einfach sein, wenn die Datenbasis valide ist.

Viel schwieriger und zeitaufwändiger wird es aber sein, vorherzusagen, welcher Preiseffekt durch eine neue GOÄ ausgelöst wird. Eine Folgenabschätzung wird hoch kompliziert, spätestens dann, wenn wir Alt-GOÄ-Abrechnungsfälle mit der Neu-GOÄ durchrechnen. Die Zeit, die die Kommission jetzt braucht, werden wir uns nehmen, um die Effekte gründlich zu analysieren.

Also steht 2020?

Dr. Reinhardt: Wir wollen auf jeden Fall bis zum Ende des Jahres eine Konsensversion fertiggestellt haben. Wenn sich die Politik auf der Grundlage des Ergebnisses der Kommission allerdings anders entscheiden sollte, und das duale System infrage steht, müssen wir darauf vorbereitet sein.

Ich will nur so viel sagen: Das würde dann einige Gedankenspiele auslösen, wobei der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind.

Als amtierender Hartmannbund-Vorstand setzen Sie politisch auf unverwechselbare, klare Positionen. Ist das Ihre Vorstellung von einer modernen berufspolitischen Vertretung auch an der Spitze der BÄK?

Dr. Reinhardt: Eine moderne Vertretung der Bundesärztekammer muss einen offenen Umgang innerhalb der Ärzteschaft, aber auch mit den Medien pflegen. Ärztliche Positionen müssen authentisch vertreten werden. Die Wirkungsstärke im öffentlichen Raum entsteht – bei aller Berechtigung und Notwendigkeit, diese Diskussion immer wieder zu führen – weniger durch Honorarforderungen, als vielmehr durch ein hohes Maß an ärztlicher Expertise und an Vertrauen, das wir uns Tag für Tag im Bemühen um unsere Patienten erarbeiten. Mit diesem Pfund können wir wuchern.

Konkret nachgefragt: Die Arbeitsgemeinschaft aller Landesärztekammer hat größere Aktionsräume als die Körperschaften des öffentlichen Rechts. Werden Sie die nutzen und wenn ja wie?

Dr. Reinhardt: Unbedingt. Wir waren klug beraten, nichts zu unternehmen, um für die BÄK ebenfalls den Status anzustreben. Wir sind sicherlich nicht so frei, wie ein freier Verband, weil wir eine Arbeitsgemeinschaft von Körperschaften sind. Dennoch bin ich sicher, dass es hier durchaus noch deutlich Luft nach oben gibt, die uns zusätzlichen Spielraum für politische Durchsetzungsfähigkeit eröffnet.

Was sind denn neben der neuen Honorarordnung die drei wichtigsten Themen, die die BÄK besetzen muss?

Dr. Reinhardt: Ein zentrales Thema für mich ist es, dass wir mehr Zeit für unsere Patientinnen und Patienten bekommen. Dafür sind wir Ärzte geworden. Egal, wo wir arbeiten, erleben wir stattdessen einen unglaublichen Turnover, der deutlich zugenommen hat.

Das hat dazu geführt, dass wir der notwendigen Sorgfalt und der Hinwendung zum Patienten in manchen Situationen nur noch mit einem an die Grenzen gehenden Kraftaufwand gerecht werden können. Wir müssen uns also um die Rahmenbedingungen kümmern, um die Schlagzahl zu verringern.

Auch bei meinem zweiten Thema geht es um Zeit. Es geht um die hohe Zahl der Fehlinanspruchnahmen ärztlicher Ressourcen. Das muss durch eine vernünftige Form der Patientensteuerung verhindert werden.

In diese Richtung wird ja auch im Zusammenhang mit der Änderung der Notfall- und Bereitschaftsdienstregelung gedacht. Und schließlich gehört unverzichtbar das Thema Freiberuflichkeit auf die Agenda.

Die Kernmerkmale des freien Berufs wie die persönliche Leistungserbringung, die Freiheit, in eigener Verantwortung ärztliche Entscheidungen zu treffen, die Gemeinwohlorientierung, aber auch das Geheimnisträgertum müssen in Teilen wieder neu entdeckt und als entscheidender Wert gepflegt werden. Nicht zuletzt deshalb, weil die aktuelle Gesetzgebung in Teilen eine Bedrohung des freien Berufs darstellt.

Schreckt das nicht eher junge Menschen ab, als dass es sie motiviert, Arzt zu werden?

Dr. Reinhardt: Entscheidend ist, dass wir junge Mediziner nicht nur ausbilden, sondern auch dazu motivieren müssen, in die Versorgung zu gehen. Wir müssen diesen jungen Menschen vorleben, dass es sich lohnt, für die eigenen Interessen zu streiten. Dazu gehört vielleicht auch, manchmal den „Jammerton“ zu vermeiden und das Freude-machende unseres Berufes ruhig einmal häufiger zu betonen.

Dr. Reinhardt, am Ende noch einmal zurück zu unserem Dauerbrenner-Thema: Bitte vervollständigen Sie den Satz: Am Tag der Einigung über eine neue GOÄ werde ich . . .

Dr. Reinhardt: . . . mir ein Glas Sekt einschenken, weil ich eine ganze Menge Zeit und Arbeit in die GOÄ investiert habe, mit sehr viel Herzblut. Es kann auch ein ganzes Fläschchen sein, um mit denen anzustoßen, die mich auf diesem schon auch recht kräftezehrenden Weg konstruktiv unterstützt und mir geholfen haben. Glauben Sie mir: Ich wäre sehr glücklich!

Dr. Klaus Reinhardt

  • Aktuelle Position: Seit 1993 niedergelassen in Bielefeld; Facharzt für Allgemeinmedizin
  • Werdegang: 1979 Abitur; 1979 – 1980 Bundeswehr; 1980 – 1981 Philosophie- und Jurastudium in Bonn; 1982 – 1989 Medizinstudium in Padua (Italien); 1990 Staatsexamen; 1990 Approbation; 1997 Anerkennung als Facharzt für Allgemeinmedizin
  • Karriere: seit 2001 Mitglied der Ärztekammerversammlung in Westfalen-Lippe (ÄKWL); seit 2005 Vizepräsident der ÄKWL; 2009 – 2011 stellvertretender Bundesvorsitzender des Hartmannbundes; seit 2011 Bundesvorsitzender des Hartmannbundes seit 2015 Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK); seit 2016 Vorsitzender des BÄK-Ausschusses „Gebührenordnung“
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