Barmer Arztreport

Reizdarm-Probleme zu wenig im Fokus der Therapie

Rund eine Million Neudiagnosen für ein Reizdarmsyndrom gab es 2017. Nach Angaben der Barmer aber nur die Spitze des Eisbergs. In ihrem Arztreport prangert die Kasse die oft nur schleppende Diagnose an.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Reizdarmsyndrom: Davon betroffen sind immer mehr jüngere Menschen zwischen 20 und 30 Jahren.

Reizdarmsyndrom: Davon betroffen sind immer mehr jüngere Menschen zwischen 20 und 30 Jahren.

© absolutimages / stock.adobe.com

BERLIN. Nahezu elf Millionen Menschen in Deutschland leiden insgseamt an einem Reizdarm-Syndrom. Sie schämen sich aber oft, den Arzt zu konsultieren, versuchen die Symptome selbst zu behandeln und verlängern damit ihr Leiden erheblich. Davon betroffen sind immer mehr jüngere Menschen zwischen 20 und 30 Jahren.

Allein 2017 wurde bei gut 1,1 Millionen Menschen ein Reizdarmsyndrom diagnostiziert, bei Frauen doppelt so häufig wie bei Männern. Die Häufigkeit der Diagnose ist seit 2005 kontinuierlich um rund 30 Prozent gestiegen: von 1,03 Prozent der GKV-Versicherten auf 1,34 Prozent.

Das geht aus dem am Donnerstag veröffentlichten Barmer Arztreport 2019 hervor, dessen Autoren dieses Jahr das Schwerpunktthema „Reizdarm-Syndrom“ (RDS) gewählt haben. Der Report, der zum 13. Mal erscheint, basiert auf Routinedaten der Barmer mit 9,3 Millionen Versicherten, ist repräsentativ für die Gesamtbevölkerung und reicht über einen Zeitraum von 13 Jahren.

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Abschätzungen zur Prävalenz des RDS beruhten meist auf Befragungsangaben, aussagefähige Biomarker gebe es nicht, so Professor Joachim Szecsenyi von der Universität Heidelberg und Geschäftsführer des Göttinger aQua-Instituts. Eine Befragungsstudie in 2011/12 habe eine Prävalenz von 16,6 Prozent in Deutschland ergeben. Als Ursachen für die erhebliche Differenz zur Prävalenz auf der Basis ärztlicher Diagnosen von 1,34 Prozent nennt Szecsenyi: Zum einen scheuten sich Patienten offenbar aus Scham, die Symptome eines RDS mit ihrem Arzt zu besprechen und versuchen es mit Selbstmedikation. Es könne auch sein, dass Ärzte sich nicht auf eine Diagnose festlegen und nur symptombezogene ICD-10-Schlüssel verwenden.

Auffällig in der Longitudinalbetrachtung sei die deutlich stärkere Zunahme der Diagnosehäufigkeit bei jüngeren Erwachsenen im Alter zwischen 23 und 27 Jahren um 70 Prozent in den vergangenen 13 Jahren. Aktuell führe dies bei Frauen zu einem ausgeprägten ersten Altersgipfel im 25. Lebensjahr. Zu diesem Trend könnten veränderte Ernährungsgewohnheiten, aber auch eine veränderte Bereitschaft zur Thematisierung der Beschwerden beigetragen haben.

Problematisch aus der Sicht des Barmer-Vorstandsvorsitzenden Professor Christoph Straub ist der relativ häufige von Leitlinien nicht abgedeckte Einsatz bildgebender Verfahren wie CT und MRT zur Diagnosefindung. In 9,2 Prozent der ambulanten Fälle erhielten Patienten ein CT und 17,1 Prozent ein MRT.

Essenziel für die Diagnosefindung, so der Allgemeinarzt Szecsenyi sei aber eine ausführliche Anamnese, auch der familiären Belastung und der Medikation. Problematisch in der Therapie sei der häufige Einsatz von Protonenpumpen-Inhibitoren (38,6 Prozent) und die Verordnung von opioidhaltigen Schmerzmitteln.

Vielmehr komme es darauf an, gemeinsam mit dem Patienten , gegebenenfalls auch interdisziplinär, einen individuellen Weg der Besserung zu finden. Ein erhebliches Hindernis bei der Umsetzung einer leitliniengerechten Therapie sei die Unterdotierung der sprechenden Medizin, kritisierte Szecsenyi.

Barmer-Vorstand Straub plädierte für eine Stärkung der hausärztlichen Versorgungsbasis, auch für eine systematische Steuerung und Kooperation verschiedener Disziplinen. Mit Blick auf hohe Belastungen der jungen Generation werde die Barmer zielgruppenspezifische Programme etwa für das betriebliche Gesundheitsmanagement entwickeln.

Wir haben diesen Beitrag aktualisiert und ergänzt am 28.2.2019 um 16 Uhr.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Keine Buhmann-Diskussion!

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