Richter verschieben Entscheidung über Sterbehilfe

Der Bundesgerichtshof will im Fall eines Medizinrechtlers am 25. Juni ein Grundsatzurteil fällen.

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Rechtlich umstritten ist, ob das Durchschneiden des Schlauchs dem Versuch einer "gezielten aktiven Tötung" gleichkommt. © Stefan Rajewski / fotolia.com

Rechtlich umstritten ist, ob das Durchschneiden des Schlauchs dem Versuch einer "gezielten aktiven Tötung" gleichkommt. © Stefan Rajewski / fotolia.com

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KARLSRUHE (mwo/dpa). Im Prozess um angebliche Sterbehilfe durch den Münchner Medizinrechtler Wolfgang Putz ist noch keine höchstrichterliche Entscheidung gefallen. Nach der Verhandlung am Mittwoch kündigte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe ein Grundsatzurteil für den 25. Juni an.

Der angeklagte Anwalt hatte einer Mandantin geraten, den Schlauch der Magensonde durchzuschneiden, um die Wiederaufnahme der künstlichen Ernährung ihrer im Koma liegenden Mutter zu verhindern. Dem war sie gefolgt. Das Landgericht Fulda wertete dies als "rechtswidrigen versuchten Totschlag". Die Tochter sprach es dennoch frei, weil sie sich auf ihren Anwalt habe verlassen dürfen. Rechtsanwalt Putz verurteilte es dagegen zu einer Bewährungsstrafe von neun Monaten. Vor dem BGH plädierte neben der Verteidigung nun auch die Bundesanwaltschaft auf Freispruch auch für den Anwalt.

Vor der umstrittenen Tat lag die 77-jährige Mutter nach einer Hirnblutung viereinhalb Jahre im Wachkoma. Unumstritten war es ihr Wille, in solch einer Situation zu sterben. Auch ihr Arzt hielt eine künstliche Ernährung nicht mehr für medizinisch indiziert. Das Heim im hessischen Bad Hersfeld stimmte schließlich zu, dass die Tochter die künstliche Ernährung beenden darf, machte auf Anweisung des Heimträgers aber am Folgetag einen Rückzieher. Nach einem Telefonat mit Putz schnitt die Tochter den Schlauch der Magensonde direkt oberhalb der Bauchdecke durch. In einem Krankenhaus wurde noch eine neue Sonde gelegt; die Mutter starb dennoch zwei Wochen später an Herzversagen.

Rechtlich umstritten ist, ob das Durchschneiden des Schlauchs dem Versuch einer "gezielten aktiven Tötung" gleichkommt. Dies sei nicht zu rechtfertigen, auch wenn ein Patient es ausdrücklich und ernsthaft wünsche, betonte die Vorsitzende Richterin des Zweiten BGH-Strafsenats, Ruth Rissing-van Saan. Auch wenn das Patientenverfügungsgesetz vom September dem Patientenwillen einen besonders hohen Stellenwert einräume, bleibe die "Tötung auf Verlangen" verboten.

Verteidiger Gunter Widmaier verneinte eine "Tötungshandlung". Er verglich den Schnitt durch den Schlauch mit dem Abschalten eines Beatmungsgeräts: "Das ist aktives Tun, aber es tötet nicht den Patienten, sondern stellt den Zustand her, der dem natürlichen Sterben des Menschen entsprechen würde." Tochter und Anwalt hätten nur die Wiederaufnahme einer rechtswidrigen Behandlung verhindern und einen "Zustand des würdigen Sterbens" herstellen wollen.

Ähnlich argumentierte Bundesanwalt Lothar Maur, das Durchtrennen des Schlauchs habe dazu gedient, die Behandlung zu beenden. Dies sei nach dem Betreuungsrecht gerechtfertigt. "Entscheidend ist der Wille des Patienten, unabhängig von der Art und dem Stadium der Krankheit." Der angeklagte Patientenanwalt Putz forderte den BGH in seinem Schlusswort auf, "das Sterben zu retten" und ein Urteil zu fällen, das vor allem den Ärzten "die Angst nimmt, mit einem Bein im Gefängnis zu stehen".

Nach bisheriger Rechtsprechung der BGH-Zivilsenate müssen Ärzte und Heime den Willen der Patienten in aller Regel beachten. Zumindest vor Inkrafttreten des Patientenverfügungsgesetzes waren die Strafsenate des BGH dem teilweise aber nur zögerlich gefolgt. Der Zweite Strafsenat will dem Patientenwillen nun offenbar mehr Geltung Verschaffen. Die Fragen der Richter ließen aber erkennen, dass sie sich eine einheitliche Meinung noch nicht gebildet hatten.

Verhandlung des BGH: Az. 2StR 54/09

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