Thüringen und Sachsen

SAPV schleppt sich langsam voran

Der Ausbau der häuslichen Sterbebegleitung stellt sich auch in Thüringen und Sachsen problematisch dar. Wie in vielen anderen Bundesländern gibt es nicht genug spezialisierte Ärzte und geschulte Pflegekräfte.

Von Robert Büssow Veröffentlicht:

ERFURT. Thüringen ist das einzige Bundesland, in dem würdevolles Sterben Verfassungsrang genießt. Geholfen hat es bisher wenig.

Die Spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) ähnelt in Thüringen, aber auch im Nachbarland Sachsen und in vielen anderen deutschen Regionen eher einem Flickenteppich. Nur etwas mehr als die Hälfte der Sterbenskranken kann derzeit palliativ betreut werden.

"Es ist eine traurige, unbefriedigende Situation. Es gibt nicht genug spezialisierte Ärzte und geschulte Pflegekräfte", sagt Winfried Meißner, Palliativmediziner an der Uniklinik Jena.

Sein SAPV-Team versorgt in Jena und Umgebung im Jahr rund 240 Patienten, die allermeisten mit Krebs. "Bisher konnten wir erreichen, dass 78 Prozent in ihrer vertrauten Umgebung gestorben sind", sagt Meißner.

Problem Geld

Den Hauptgrund für die Misere aber sieht er bei der Finanzierung. Denn die SAPV-Verträge handeln die Krankenkassen für jede Region mit einem Team aus Ärzten und Pflegekräften einzeln aus.

"Die Vergütung liegt bei nur 70 Prozent dessen, was etwa in Hessen gezahlt wird. Die Kassen haben noch nicht kapiert, dass es hier nicht darum geht, Geld zu verdienen", sagt Meißner. Oft sei es sogar ein Zuschussgeschäft.

Besonders problematisch ist die Lage auf dem Land, wo es ohnehin an Ärzten mangelt, die Wege weit sind und die 24-stündige Rufbereitschaft schwer zu gewährleisten ist.

Die AOK Plus, die quasi federführend für die Kassenseite die Verträge aushandelt, weiß das: "Viele niedergelassene Hausärzte sind bereits jetzt an den Kapazitätsgrenzen angelangt."

Zeit für die palliative Zusatzqualifikation fehle. Die Bezahlung erfolge zwar pauschal pro Patient, so die AOK Plus, für Härtefälle gebe es aber einen Bonus.

In Thüringen gibt es derzeit sechs SAPV-Verträge mit 46 Ärzten - sie betreuen 15 von 23 Landkreisen und kreisfreien Städten. In Sachsen bestehen laut AOK Plus zwölf SAPV-Teams, die im Jahr 3600 von 5000 Sterbenskranken im Freistaat erreichen.

Der Mangel an Palliativteams sei auch gewissen Berührungsängsten mit dem Thema Tod geschuldet, sagt Jens Papke, Professor für Palliativmedizin an der Hochschule Zwickau.

"Wenn ein Patient stirbt, sehen das einige noch immer als Zeichen eigenen Versagens, als einen verlorenen Kampf. Diesen Irrtum muss man erst einmal gerade rücken."

Schmerz verstärkt Todeswunsch

Diese Aufgabe sieht er bei den Universitäten, in denen die Palliativausbildung erst seit zwei Jahren Pflicht ist. "Es geht aber nicht um schnelles Sterben, wir machen hier keine Sterbehilfe", betont Meißner.

Dank der Schmerztherapie gäben die meisten ihren Todeswunsch wieder auf. "Schmerzen sind der häufigste Grund, warum jemand nicht mehr leben möchte", erklärt Papke.

Seit Ende Oktober dürfen die Ärzte den Patienten deshalb für Akutsituationen auch Betäubungsmittel überlassen. "Dies ist ein großer Fortschritt in Richtung Mündigkeit", sagt Papke.

Mitverantwortlich für die schleppende Annahme der SAPV ist laut Studie auch die Unkenntnis mancher Hausärzte. Sie müssen die Betreuung ihrer Patienten durch das SAPV-Team anordnen. Auch Betroffene wüssten oft nicht, dass es dieses Angebot gibt, hieß es.

Die Lücken in der häuslichen Sterbebegleitung füllen vor allem Krankenhäuser, Hospize oder spezielle Pflegeheime. Das stationäre Palliativ-Angebot ist in Thüringen mit rund 100 Einrichtungen vergleichsweise gut, so eine Studie des Sozialministeriums.

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