Giftgas-Angriff in Syrien

So versorgen Ärzte die Opfer

Im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" berichtet der Mainzer Sozialmediziner Gerhard Trabert von der Arbeit seiner syrischen Kollegen vor Ort.

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IDLIB. Nach dem mutmaßlichen Giftgasangriff im syrischen Chan Scheichun am Dienstag mit 72 Toten werden noch Hunderte Verletzte in den Kliniken der Region behandelt. 20 der Opfer liegen im Akra-bat-Hospital in Idlib, für das sich der Mainzer Sozialmediziner Professor Gerhard Trabert engagiert. Erst vergangene Woche kehrte er selbst aus Syrien zurück. Er steht in engem Kontakt zu seinen Kollegen in Idlib.

 Im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" berichtete Trabert. welche Verletzungen seine syrischen Kollegen nach dem mutmaßlichen Giftgasanschlag zu versorgen haben – und warum sie auch selbst in Gefahr sind. „Anhand der Verletzungen würde ich sagen, dass es sich um das Gas Sarin handelt, das zu Atemlähmungen und einer Kontraktion des Zwerchfells führt", so Trabert.

Die Patienten, die Traberts Kontaktmann Dr. Mouheb Kaddor und sein Team aktuell versorgten, litten überwiegend an Atemproblemen und neurotoxischen Folgewirkungen. Verletzte würden mit Wasser abgespritzt im Versuch, das Gas abzuwaschen.

 Allerdings bringen sich Ärzte damit auch selbst in Gefahr: „Substanzen wie Sarin sind sogenannte Kontaktgifte, also Gifte, die auch von der Haut resorbiert werden“, so Trabert. „Jeder Arzt, der mit den Patienten in Kontakt kommt, muss im Vollkörperschutz arbeiten.“

"In vielen Kliniken gibt es nur ein intaktes Beatmungsgerät"

Viele Patienten müssten intubiert werden, allerdings sind die technischen Ressourcen knapp: „Man kann vielleicht eine gewisse Zeit mit manuellen Beatmungsbeuteln überbrücken, aber die meisten müssten künstlich über einen längeren Zeitraum beatmet werden, und dazu gibt es nicht genug Beatmungseinheiten. Weitere Menschen werden wohl sterben.“ Dass Beatmungsgeräte generell knapp sind, hat Trabert auch bei seiner Reise nach Syrien in der vergangenen Woche beobachtet: „In vielen Krankenhäusern gibt es nur ein einigermaßen intaktes Beatmungsgerät.“

Während die Ärzte in Idlib und Umgebung gegen die akuten Verletzungen der Opfer kämpfen, steht der Syrienkrieg einmal mehr auf der Agenda der internationalen Politik. Die USA, Frankreich und Großbritannien legten dem UN-Sicherheitsrat am Mittwoch einen Resolutionsentwurf vor, in dem der mutmaßliche Giftgasangriff verurteilt und rasch aufgeklärt werden soll. Die zweiseitige Resolution sollte bei der Sitzung des Rats am Mittwoch in New York zur Abstimmung kommen. Unklar war bis Redaktionsschluss, wie Russland und China abstimmen würden, die erst im Februar eine Resolution zu Syrien mit ihrem Veto blockiert hatten.

Sanktionen, etwa gegen das syrische Regime von Präsident Baschar al-Assad, sieht der Resolutionsentwurf nicht vor – diese werden ohne die Nennung des syrischen Regimes lediglich angedroht. Für das mit Syrien verbündete Russland wäre die Resolution damit vertretbarer. Der Entwurf fordert aber detaillierte Angaben über die Lufteinsätze des syrischen Militärs, darunter auch Flugpläne und -bücher vom Dienstag, dem Tag des Angriffs.

Auch die Namen der Kommandeure jeglicher Hubschrauberstaffeln des Regimes werden gefordert. Außerdem müsse Syrien Zugang zu relevanten Militärflugplätzen gewähren, von denen laut UN-Untersuchungsteams und der Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) möglicherweise Chemiewaffen abgefeuert wurden. Auch Treffen mit Generälen und anderen Offizieren müssten im Rahmen der Untersuchungen innerhalb von höchstens fünf Tagen ermöglicht werden. Russland wies Berichte über den Einsatz von Giftgas zurück und erklärte, die syrische Luftwaffe habe bei dem Angriff eine Chemiewaffenfabrik getroffen. Es sei ein großes Munitionslager der Terroristen ins Visier genommen worden.

Am Mittwoch berieten Vertreter aus rund 70 Staaten in Brüssel über Hilfsmöglichkeiten für Syrien. Deutschland sagte zu, 1,169 Milliarden Euro für die Opfer des Bürgerkriegs zur Verfügung zu stellen. Trabert sagte am Mittwoch, es frustriert ihn, dass erneut kaum konkrete Ergebnisse zu erwarten seien: „Der kleinste gemeinsame Nenner müsste doch sein, zumindest die Zivilbevölkerung zu schützen – und dafür zu sorgen, dass humanitäre Hilfe wieder möglich ist. In meinen Augen versagt da die große Politik.“

 (aze/dpa)

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