Nach Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Triage-Urteil: Sozialverbände fordern Schutzregeln auch für ältere Menschen

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Triage werden Rufe laut, auch den Schutz von Senioren zu regeln. Eine Benachteiligung allein wegen des Alters sei unbedingt zu vermeiden.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Bei der Ausgestaltung des Triage-Urteils muss es auch um die Rechte älterer Menschen gehen, fordert VdK-Präsidentin Verena Bentele.

Bei der Ausgestaltung des Triage-Urteils muss es auch um die Rechte älterer Menschen gehen, fordert VdK-Präsidentin Verena Bentele.

© Bernd von Jutrczenka / dpa / picture alliance

Berlin. Nach dem Triage-Urteil des Bundesverfassungsgerichts drängen Sozialverbände auf eine Ausdehnung der geplanten Schutzregelungen auf ältere Menschen. Der Vorsitzende des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA), Helmut Kneppe, sagte am Mittwoch in Berlin, das Karlsruher Urteil biete die Möglichkeit, etwas mehr Rechtssicherheit für die Beteiligten zu schaffen.

Lesen sie auch

Gleichzeitig stellten sich über den Schutz der Menschen mit Behinderung vor Benachteiligung hinaus weitere Fragen, sagte Kneppe. So sei etwa zu klären, ob dieser Schutz nicht auch für ältere Menschen geregelt werden müsse. „Denn auch bei älteren Patienten könnte es bei einer Priorisierung in einer Triage-Situation allein aufgrund des Alters zu einer Benachteiligung kommen“, gab Kneppe zu bedenken. Das Alter sei aber bei der Aufzählung möglicher Diskriminierungsmerkmale im Artikel 3 Grundgesetz bisher nicht genannt.

Bentele: Urteil drückt kein Misstrauen gegenüber Ärzten aus

Die Präsidentin des Sozialverbands Deutschland VdK, Verena Bentele, sagte am Mittwoch im „Deutschlandfunk“, das Urteil zwinge den Gesetzgeber, das Thema Triage erneut zu diskutieren und eine Entscheidungsgrundlage für Ärzte zu schaffen. Viele Menschen, gerade jene mit Behinderungen, seien in der Pandemie verunsichert, ob sie bei knappen intensivmedizinischen Behandlungsressourcen noch hinreichende medizinische Unterstützung bekämen.

Lesen sie auch

Verunsichert seien aber auch ältere Menschen, betonte Bentele. Daher müsse es bei der jetzt anstehenden Ausgestaltung des Triage-Urteils auch um die Rechte und Belange älterer Menschen gehen. „Das werden wir als größter Sozialverband in jedem Fall einfordern.“

Das Karlsruher Urteil drücke kein Misstrauen gegenüber Ärztinnen und Ärzten aus, zeigte sich Bentele überzeugt. Vielmehr gehe es darum, die Mediziner bei Entscheidungen zu unterstützen, „die sie auch brauchen in Stresssituationen“, sagte die VdK-Präsidentin.

Lesen sie auch

Die Richter des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hatten am Dienstag entschieden, dass der Gesetzgeber Sorge dafür tragen müsse, dass Menschen mit Behinderung bei der Verteilung pandemiebedingt knapper intensivmedizinischer Behandlungsressourcen nicht benachteiligt werden dürfen. Bundesjustizminister Marco Buschmann hatte daraufhin erklärt, die Ampel-Koalition wolle rasch einen Gesetzesvorschlag auf den Tisch legen.

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Compliance

DSGVO in der Arztpraxis: Wenn der Datenschutz den Daumen senkt

Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Therapie

Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Medizinischer Infusions-Tropf mit buntem Hintergrund

© Trsakaoe / stock.adobe.com

Hochdosis-Therapie

Vitamin C bei Infektionen und Long-COVID

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Internationaler Vitamin-C-Kongress im Juni

© Spinger Medizin Verlag

Vitamin C als hochdosierte Infusionstherapie

Internationaler Vitamin-C-Kongress im Juni

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 29.12.202117:40 Uhr

Beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) fordern Behinderte Menschen bei Notfall-Triage/COVID-19-Intensiv (ICU)-Therapiepflichtigkeit/Versorgungs-Engpässen ihre Sicherstellung substanzieller/institutioneller/ideeller Hilfen ein. Ebenso gilt das für Multimodbide, Ältere PatientInnen. Es unterstellt zugleich Behandlungsinsuffizienz/Nachteile zu Lasten Betroffener: Widerspricht als unärztliches Verhalten dem Genfer Arztgelöbnis.

Die BVerfG-Entscheidungsfindung: Juristisch medizin-/versorgungs-bildungsfern/ohne Kenntnis/Erfahrung intensivmedizinischer Hintergründe/Vorgehensweisen/4+-Augenprinzip/Entscheidungshorizonte. Motivations-/Gestaltungslagen von Personal/PatientInnen auf ICUs sind bei Behinderungen/Alter aber nur vorwissenschaflich-empirisch vermutet/hochgeschätzt/juristisch nicht verifizier-/falsifizierbar.

Niemand sollte aber bei Behinderung/Alter/Komorbidität/Triage benachteiligt oder bevorzugt werden.

Das ist das Dilemma: „Kriterium der klinischen Erfolgsaussichten“ (DIVI) konterkariert das BVerfG mit der Vermutung, eine Behinderung werde pauschal mit schlechteren Genesungsaussichten assoziiert. Überlebenswahrscheinlichkeit als Triage-Kriterium sei „eindeutig nur auf die aktuelle Krankheit“ bezogen, vergisst u.U. morbiditäts-/ altersbedingte Ausgangssituation. BVerfG irrt mit, DIVI-Empfehlung könne „zum Einfallstor für eine Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen werden“. Eine Priorisierung aufgrund von Grunderkrankungen/Behinderungen/Alter ist unabdingbar klare ICU-Realität wegen therapeutischer Erfolgsquoten. Die Behauptung, Lebenssituation von Menschen mit Teilhabe-Defiziten sei „unbewusste[r] Stereotypisierung“ ist nicht nur m.E. rein spekulativ.

Die bewundernswert kluge, überzeugende Präsidentin Verena Bentele des Sozialverbands Deutschland (VdK) sagte, das Urteil zwinge das Thema Triage breit zu diskutieren und eine Entscheidungsgrundlage für Ärzte zu schaffen. Viele Menschen, besonders mit Behinderungen, seien in der Pandemie ob der knappen intensivmedizizinischen Ressourcen verunsichert.

Sonderberichte zum Thema
Mehr als ein oberflächlicher Eingriff: Die Krankenhausreform verändert auch an der Schnittstelle ambulant-stationär eine ganze Menge.

© Tobilander / stock.adobe.com

Folgen der Krankenhausreform für

Die Klinikreform bringt Bewegung an der Schnittstelle zwischen Praxen und Krankenhäusern

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztbank (apoBank)
Abb. 1: Zeitaufwand pro Verabreichung von Natalizumab s.c. bzw. i.v.

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [9]

Familienplanung und Impfen bei Multipler Sklerose

Sondersituationen in der MS-Therapie

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Biogen GmbH, München
Protest vor dem Bundestag: Die Aktionsgruppe „NichtGenesen“ positionierte im Juli auf dem Gelände vor dem Reichstagsgebäude Rollstühle und machte darauf aufmerksam, dass es in Deutschland über drei Millionen Menschen gebe, dievon einem Post-COVID-Syndrom oder Post-Vac betroffen sind.

© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Symposium in Berlin

Post-COVID: Das Rätsel für Ärzte und Forscher

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Let‘s talk about...

Tabuthema Sex: Wie spricht man es in der Sprechstunde an?

Blutzuckervariabilität

Wie die Time Below Range das Diabetes-Management verbessert

Vor der Ferienzeit

Beratungsfall Reisemedizin: Worauf es im Patentengespräch ankommt

Lesetipps
Prophylaktische Maßnahmen sind der beste Weg, um Infektionen bei Krebspatientinnen und -patienten zu verhindern. Während und nach ihrer Chemotherapie sind sie dafür besonders anfällig. (Symbolbild)

© RFBSIP / stock.adobe.com

Vorbeugen ist besser als heilen

Wie die Infektionsprophylaxe bei Krebspatienten gelingt

Eine Frau liegt auf dem Sofa und hält sich den Bauch.

© dragana991 / Getty Images / iStock (Symbolbild mit Fotomodell)

Schmerzerkrankung

Endometriose-Leitlinie aktualisiert: Multimodale Therapie rückt in den Fokus