Sucht in Russland

„Unser Hauptziel ist es, nüchtern zu bleiben“

Russland will die Gesetze zum Verkauf von Alkohol verschärfen. Damit sollen es junge Leute schwerer haben, Hochprozentiges zu erwerben. Unterdessen etablieren sich die Anonymen Alkoholiker an der Wolga.

Von Christian Thiele Veröffentlicht:
Wodkaflaschen: Das größte Land der Welt kämpft gegen die Alkoholsucht vier Russen.

Wodkaflaschen: Das größte Land der Welt kämpft gegen die Alkoholsucht vier Russen.

© Marc Tirl / dpa

MOSKAU. Mit Alkohol steht der junge Dima auf Kriegsfuß. Bier und Wodka haben ihn um eine unbeschwerte Kindheit gebracht. „Mein Vater hat getrunken, sehr viel getrunken“, erzählt der 21-jährige Russe. „Er war dabei auch gewalttätig.“ Dima schwor sich: „Ich bleibe immer nüchtern.“ Der Student entspricht damit nicht dem gängigen Klischee über den Alkoholkonsum, das sich hartnäckig im Ausland über Russland hält. Die Regierung in Moskau arbeitet aber bereits daran, dass noch mehr junge Russen nicht zur Flasche greifen.

Mit seinen 21 Jahren könnte Dima Alkohol kaufen. In Russland ist das mit 18 erlaubt. Noch. Künftig sollen Jugendliche erst in Dimas Alter Hochprozentiges erwerben dürfen. Die Pläne der Regierung stießen schon nach Bekanntwerden auf ein positives Echo. Sollte das Parlament dem zustimmen, werden die Regeln zum Verkauf noch einmal verschärft.

Bereits seit 2013 darf nachts zwischen 23 und 8 Uhr in Supermärkten und an Kiosken kein Alkohol über die Ladentheke gehen. In Deutschland dürfen Bier und Wein bereits an 16-Jährige verkauft werden, Schnaps bekommen dagegen erst über 18-Jährige.

Jugend weiß Verbote zu umgehen

Immer wieder mal gibt es aber Forderungen, dass Jugendliche sich nicht schon mit 16 Alkohol in den Einkaufswagen packen dürfen.Ob eine härtere Gangart in Russland etwas bringen wird? Dima ist skeptisch. „Jugendliche werden das Verbot umgehen können“, glaubt er. „Sie überzeugen einfach Ältere, dass sie für sie Alkohol kaufen. Das machen Leute unter 18 ja heute auch schon.“

Dennoch hoffe er auf ein Umdenken in seinem Land. „Mein Vater war arbeitslos. Er war über Wochen nur zu Hause und trank. Für uns ist es sehr schwer gewesen“, erinnert sich Dima. Er und seine Mutter sind inzwischen vom Osten Russlands in die Hauptstadt Moskau gezogen – ohne Vater.

Die Stimmung in der Gesellschaft ändere sich, ist der russische Gesundheitspolitiker Fedot Tumusow überzeugt. Der Duma-Abgeordnete sagte kürzlich im Fernsehen: „Nicht zu trinken, war früher verpönt. Heute ist das andersherum.“ Gelegentlich werden Statistiken veröffentlicht, die belegen sollen, dass die Russen dem Alkohol mehr und mehr entsagen. Demnach trinken mittlerweile 40 Prozent keinen Alkohol. Vor zehn Jahren seien es noch 26 Prozent gewesen.

Zehn Betrunkene erforen

Dennoch dürfen diese Zahlen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Genuss von Bier, Wein und Schnaps ein weit verbreitetes Phänomen in dem größten Land der Welt ist. Erst kürzlich gab es wieder Berichte, nach denen allein in der südsibirischen Region Burjatien mehr als zehn Menschen innerhalb kurzer Zeit bei strengem Frost erfroren sind, weil sie zuvor zu tief ins Glas oder in die Flasche geschaut haben.

Nach den im Herbst vorgestellten Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO trinken die Russen über 15 Jahre durchschnittlich 11,7 Liter reinen Alkohol im Jahr. 2010 waren es noch 15,8 Liter. Die Deutschen kamen 2016 im Schnitt auf 11,3 Liter. In Russland wurden dem Gesundheitsministerium zufolge 2017 rund 1,5 Millionen Menschen behandelt, weil sie Probleme mit dem Alkohol hatten. Die Zahl sei gegenüber 2012 um 22 Prozent gesunken, hieß es.

In der Vergangenheit gab es immer wieder Versuche, das Alkoholproblem in den Griff zu bekommen. Ex-Sowjetpräsident Michail Gorbatschow scheiterte mit einer Kampagne kläglich. Er wollte in den 1980er Jahren erreichen, den Missbrauch durch eine Begrenzung der Produktion und durch hohe Preise in den Griff zu bekommen – das haben ihm viele Russen übel genommen.

Mittlerweile hat sich einiges getan. Heute ist etwa das Trinken auf öffentlichen Plätzen untersagt. Diskutiert wird derzeit, ob Alkohol künftig nur noch in Fachmärkten und nicht mehr im Supermarkt verkauft und Rabatte auf Hochprozentiges verboten werden sollten.

Angebote für Abhängige haben sich mittlerweile etabliert: Seit 1988 gibt es die Anonymen Alkoholiker, die nach eigenen Angaben landesweit mehr als 500 Gruppen zählen. „Das sind nicht genug, da das Problem Alkoholismus verbreitet ist“, so die Selbsthilfeorganisation. „Unser Hauptziel ist es, nüchtern zu bleiben.“

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