Vom Protestler zum Realo - Ein Wandel ohne Gesichtsverlust

Einst Mitglied der "UnderDoc", jetzt Vorstand in der Ärztegenossenschaft: Aus dem Protestler Dr. Svante Gehring ist ein standespolitischer Realo geworden.

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"Keine Kraft mehr für eine One-Man-Show", wie hier im Februar 2006: Dr. Svante Gehring.

"Keine Kraft mehr für eine One-Man-Show", wie hier im Februar 2006: Dr. Svante Gehring.

© Foto: di

Von Dirk Schnack

RENDSBURG. Ruhig und überlegt erklärt Dr. Svante Gehring auf der Generalversammlung der Ärztegenossenschaft seinen Kollegen, wie die Ärzte im Norden ihre Interessen auf einem bevorstehenden Protesttag in die Öffentlichkeit transportieren können. Gehring greift ein, bevor die Diskussion zur fruchtlosen Debatte mutiert, in der Bedenkenträger das Projekt zerreden.

Für manche frühere Mitstreiter mag Gehrings Rolle noch ungewohnt sein. Denn der Hausarzt aus Norderstedt argumentiert nicht etwa aus den Reihen der engagierten Zuhörer, sondern vom Vorstandstisch aus. Ausgerechnet Gehring, der sich als Kopf der "UnderDocs" einen Namen gemacht hatte, sitzt in einer Reihe neben etablierten Standespolitikern wie Dr. Klaus Bittmann, der immerhin Ehrenvorsitzender der KV Schleswig-Holstein ist.

Protestaktion findet großes Medienecho

Rückblick: Ende 2006 vor der Hamburger Kulturstätte "Fabrik". Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt muss auf ihrem Weg zu einer gesundheitspolitischen Diskussion durch eine Meute von Demonstranten. Sie selbst versucht einen Arzt zu ignorieren, der neben dem Eingang die geballte Aufmerksamkeit der Medien auf sich zieht. Gehring präsentiert sich dort im Arztkittel, geknebelt und in Ketten - als Protest gegen Schmidts Gesundheitspolitik.

Aus einem Gefühl der Ohnmacht heraus hatte sich Gehring zu diesem Schritt in einem Alleingang entschlossen. Das Foto und Statements von Gehring erscheinen in zahlreichen Medien. Er erreichte, dass nicht nur Schmidts Aussagen, sondern auch die Unzufriedenheit der niedergelassenen Ärzte Eingang in die Berichterstattung fanden. Es ist der Start für viele weitere Aktionen, an denen sich Gehring später für die im Norden aktiven UnderDocs oder für die bundesweit agierende Freie Ärzteschaft beteiligt.

Er dringt in die Bannmeile des Reichstags ein, engagiert sich gegen die elektronische Gesundheitskarte, holt sich Rat für die Aktionen von Greenpeace. Während er neben dem Aufbau der jungen Praxis einen enormen Zeit- und Geldaufwand für den Protest betreibt, lassen sich Mitstreiter nur mühsam für solche Engagements gewinnen. Zugleich schafft die Gesundheitspolitik Fakten und verschärft die wirtschaftliche Situation für die Praxen. In dieser Situation überdenkt Gehring sein Engagement und nimmt sich eine Auszeit.

Februar 2009: Neue Rolle. Gehring bei einer Diskussion zur E-Card, zu der die CDU eingeladen hatte.

Februar 2009: Neue Rolle. Gehring bei einer Diskussion zur E-Card, zu der die CDU eingeladen hatte.

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Kampf gegen staatliche Bevormundung treibt ihn an

Für ihn steht fest: Von seinen Zielen will er nicht abweichen. Es ist der Kampf gegen die staatliche Bevormundung und für den Erhalt der Freiberuflichkeit, der ihn antreibt. Aber die Mittel der Vergangenheit haben nicht den erhofften Erfolg gebracht. "Man muss aufpassen, dass man mit seinen Idealen nicht vor die Hunde geht. Nur mit Idealismus kann man eine Praxis nicht am Laufen halten", sagt Gehring heute. Deshalb sagte er nach kurzer Bedenkzeit zu, nachdem die Genossenschaft ihm einen Sitz im Vorstand anbot.

Hier soll er unter anderem mithelfen, den Ausbau der Praxisnetze zu unterstützen. Gehring verspricht sich davon eine Stärkung der Basis, mit der die Praxen vor Ort auf Augenhöhe zu den Krankenhäusern gelangen. Mit seiner Vorstandsaktivität hat er sich nach eigener Einschätzung "ein Stück der Realität gebeugt".

"Alleingänge wird es nicht mehr geben"

Zum Beispiel beim Thema Selektivverträge, die von der Genossenschaft angeboten werden. "Ich bin kein Befürworter von Selektivverträgen und pauschalierter Vergütung, aber ich sehe derzeit keinen anderen Weg", sagt Gehring. Verbiegen aber muss sich der Hausarzt in seiner neuen Rolle nicht. Für ihn ist die Genossenschaft das Bindeglied zwischen verschiedenen ärztlichen Strömungen. Ob er noch einmal so Aufsehen erregende Aktionen wie vor der Fabrik wagen wird, will er nicht ausschließen. Eines aber steht für ihn fest: "Alleingänge wird es nicht mehr geben."

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