Interview des Monats

"Wir brauchen einen Neustart - bürgerlich, föderal"

Gesundheitsfonds und Vergütungsreform erfüllen nicht die Erwartungen. Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) plädiert für bürgerlich-föderale Reformen.

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Dr. Markus Söder

Dr. Markus Söder

© Foto: Ärzte Zeitung

Ärzte Zeitung: Herr Minister Söder, dürfen wir Sie mit einem Zitat konfrontieren? "Ich will , dass der Fonds funktioniert. Und ich glaube, dass man ihn auch so gestalten kann, dass es für uns in Bayern gut ist." Ahnen Sie, von wem das stammt?

Dr. Markus Söder: Von Horst Seehofer.

Ärzte Zeitung: Korrekt. Heute sehen Sie und Herr Seehofer die Welt anders. Warum?

Söder: In Ihrem Zitat fehlt der zweite und entscheidende Satz: Der Fonds war mit klaren Versprechen verbunden. Kein Patient wird schlechter versorgt, kein Arzt bekommt weniger Geld. Dies scheint besonders in den süddeutschen Ländern nicht der Fall zu sein. Deshalb sagen wir: Diese Bedingungen müssen erfüllt werden. Ist das nicht der Fall, dann stellt sich die Systemfrage. Die AOK Bayern hat bereits Klage gegen die Finanzzuweisungen aus dem Gesundheitsfonds eingereicht. Ihr drohen massive Verluste.

Ärzte Zeitung: Wieviel verliert sie?

Söder: Laut AOK Bayern sind es 40 Millionen Euro im Quartal.

Ärzte Zeitung: Dagegen hätte eigentlich die Konvergenzregelung, die auf Betreiben Bayerns eingebaut worden ist, helfen sollen.

Söder: Die Konvergenzklausel sollte Schlimmeres verhindern. Ob sie wirkt wie ursprünglich geplant, bezweifle ich sehr. Es ist einfach ungerecht, dass die bayerischen Versicherten mehr bezahlen und eine schlechtere medizinische Versorgung erhalten als vorher. Aber das ist kein rein bayerisches Problem. In ganz Deutschland befinden wir uns in einer absurden Situation: Seit dem 1. Januar gibt es mehr Geld im System, aber das Chaos ist doppelt so groß. Es herrscht große Verunsicherung bei Patienten, Ärzten und Krankenkassen. Viele Ärzte stehen vor existenziellen Herausforderungen. Das hat eine verheerende Signalwirkung für die Patienten und besonders den ärztlichen Nachwuchs.

Ärzte Zeitung: Wesentlicher Bestandteil, des Fonds ist der Morbi-RSA, der dafür sorgt, dass mehr Geld in ärmere Regionen mit höherer Morbidität fließt. Stellen Sie diese Solidarität nun in Frage?

Söder: Wir stellen doch die Solidarität nicht in Frage! Aber wir sehen, dass gerade der Morbi-RSA zu Klagen vor den Gerichten führt. Wir haben die Vorwürfe von falschen Kodierungen, die zu ungerechten Zuweisungen führen könnten. Wenn unsere größten Krankenkassen, wie zum Beispiel die AOK Bayern, von Existenzgefährdung reden, muss man das sehr ernst nehmen. Auch viele Betriebskrankenkassen stehen jetzt vor dem Ruin. Einige müssen bedingt durch den Einheitsbeitrag einen höheren Beitragssatz verlangen. Gleichzeitig können sie aber keine Leistungsverbesserungen bieten. Deswegen haben sich viele Kassen auch entschieden, die regional wichtigen Strukturverträge aufzukündigen. Das führt zu erheblichen Spannungen zwischen Ärzten und Kassen. So spielt das Bundesgesundheitsministerium die Partner gegeneinander aus.

Die SPD will eine Staatsmedizin à la DDR mit einer Einheitskasse sowie die Kontrolle über die Selbstverwaltung.

Ärzte Zeitung: Der Ärger der Ärzte entzündet sich aktuell an der Vergütungsreform. Die Prinzipien sind mit Ihren Kabinettsmitgliedern und Abgeordnetenstimmen beschlossen worden. Was ist falsch gemacht worden?

Söder: Die Honorarreform ist total gescheitert. Es kommt zu einer enormen Umverteilung von Süd- nach Ostdeutschland. In der Folge gibt es zum Teil massive finanzielle Verwerfungen unter den Fachärzten. Zudem erweist sich das Regelleistungsvolumen als Instrument der Rationierung. Der Arzt hört immer nur, was er weniger bekommt. So lässt sich die Zukunft einer Praxis nicht planen.

Die Details der Reform wurden von der KBV-Spitze und dem Bundesgesundheitsministerium ausgehandelt und sind in der Umsetzung fehlerhaft. Nehmen wir als Beispiel die Belegärzte. Sie werden bei der Honorarreform benachteiligt. Dabei haben sie gerade in Bayern für die flächendeckende Versorgung eine große Bedeutung.

Ärzte Zeitung: Sie plädieren für einen Neustart. Wie soll der aussehen?

Söder: Wir brauchen eine freie Gebührenordnung anstatt der zentralistischen und intransparenten Honorarreform. Diese Gebührenordnung sollte an den privaten Bereich angelehnt sein. Arzt und Patient sollen wissen, was eine ärztliche Leistung wert ist.

Ärzte Zeitung: Die GOÄ ist eine staatliche Gebührenordnung, seit 20 Jahren nicht novelliert...

Söder: ... aber die CSU hat jetzt die Diskussion angestoßen. Wir wollen die gescheiterte Honorarreform durch eine neue Gebührenordnung für Vertragsärzte ersetzen. Die seit 1. Januar gültige Honorarreform nimmt keine Rücksicht auf die regionalen Kostenstrukturen und führt zu Qualitätsverlusten in der Patientenversorgung.

Ärzte Zeitung: Wer soll die neue Gebührenordnung machen?

Söder: Solche Fragen müssen gemeinsam diskutiert werden. Wir brauchen einen Neustart im Gesundheitswesen. Seit über 20 Jahren werden in der Gesundheitspolitik Operationen am offenen Herzen vorgenommen, um aktuelle Defizite abzubauen. Jetzt braucht es eine Richtungsentscheidung. Das sieht auch Horst Seehofer so.

Ärzte Zeitung: ... der der Erfinder der Budgets ist...

Söder: Horst Seehofer wollte bereits 1998 die Budgetierung abschaffen, Rot-Grün hat sie verlängert. Die SPD verfolgt unbeirrt einen Weg in die zentralistische Staatsmedizin. Die Union hat sich leider zu lange Zeit bei der Einnahmenseite allein auf die Kopfpauschale konzentriert. Dabei sind sowohl Bürgerversicherung als auch Kopfpauschale untaugliche Konzepte.

Wir brauchen jetzt eine Entideologisierung im Gesundheitswesen. Deshalb setzt die CSU auf ein bürgerlich-föderales Modell: Wir wollen mehr Regionalität statt Zentralismus und mehr Therapie statt Bürokratie. Zudem geht es wieder um mehr Freiberuflichkeit statt Staatsmedizin. Wir bekennen uns zum Arztberuf als freien Beruf. Denn freie Ärzte und Patienten sind die Basis der medizinischen Versorgung.

Ärzte Zeitung: Sie wollen weg von Budgets. Wie wollen Sie das finanzieren?

Söder: Es wäre unseriös, den Menschen vorzugaukeln, Gesundheit würde in einer älter werdenden Gesellschaft automatisch billiger. Spitzenmedizin muss für jeden Patienten gewährleistet werden - unabhängig von Alter, Herkunft oder Einkommen. Dazu braucht es eine demographische Dividende, die stärker von der Solidargesellschaft finanziert werden muss. Beim Beitragssatz und der Eigenbeteiligung haben wir die absolute Obergrenze erreicht. Mehr ist den Patienten nicht zuzumuten.

Ärzte Zeitung: Wie sehen Sie die Zukunft der KVen?

Söder: Solange wir keine freie, transparente Gebührenordnung haben, brauchen wir die KVen. Der bürokratische Aufwand für die Abrechnung wäre für den Einzelnen zu hoch. Doch durch die zentralistischen Vorgaben aus dem BMG verliert die KV ihre Unabhängigkeit und ihre Akzeptanz. Vor Ort wird gerade die KBV sehr kritisch beurteilt. Wir sollten die Zwangsmitgliedschaft und den Status der KV als öffentlich-rechtliche Körperschaft mit den Ärzten überprüfen. In Zukunft könnte sich die KV als Dienstleister etablieren: bei der Qualitätssicherung oder der Beratung der Ärzte bei Vertragsabschlüssen.

Ärzte Zeitung: Ist die Rolle des Hausärzteverbandes eine Alternative?

Söder: Das Recht, das man den Hausärzten zugestanden hat, sollte auch für die Fachärzte gelten. Sie sollten die Möglichkeit haben, eigenverantwortlich Verträge zu schließen.

Ärzte Zeitung: Ihre politische Glaubwürdigkeit hängt davon ab, ob Sie Ihre Positionen durchsetzen können.

Söder: … und das Wohl des Patienten hängt von einer menschlichen und sozialen Gesundheitspolitik der Zukunft ab. Wir wollen im Herbst eine bürgerliche Mehrheit erreichen, um unsere bürgerlich-föderale Gesundheitspolitik umzusetzen. Dann muss die FDP auch klar Position beziehen, ob sie mit uns für Patienten und Ärzte ist.

Das Interview führten Helmut Laschet und Jürgen Stoschek

Dr. Markus Söder

Geboren: am 5. Januar 1967 in Nürnberg; evangelisch-lutherisch, verheiratet, vier Kinder

Ausbildung und beruflicher Werdegang: 1986/87 Wehrdienst im Transportbataillon 270; 1987 bis 1991 Studium der Rechtswissenschaften in Erlangen, Staatsexamen; Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung; wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Staats-, Verwaltungs- und Kirchenrecht; 1992/93 Volontariat beim Bayerischen Rundfunk; Redakteur beim Bayerischen Fernsehen; 1998 Promotion an der FAU Erlangen/Nürnberg.

Politischer Werdegang:

Seit 1983 Mitglied in CSU; 1983 bis 2003 Mitglied in JU; Seit 1994 Mitglied des Bayerischen Landtags; 1995 bis 2003 Landesvorsitzender der Jungen Union Bayern; seit 2000 Vorsitzender der CSU-Medienkommission; 2003 bis 2007 CSU-Generalsekretär; Oktober 2007 bis Oktober 2008 Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten; 1997 bis 2008 Kreisvorsitzender der CSU Nürnberg-West; seit Juni 2008 Vorsitzender des CSU-Bezirksverbands Nürnberg-Fürth-Schwabach; seit Oktober 2008 Staatsminister für Umwelt und Gesundheit.

Lesen Sie dazu auch: Söder verspricht Ärzten Freiheit und Prosperität

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