"Wir brauchen mehr Wettbewerb um Qualität"

Seit 2001 steht Professor Axel Ekkernkamp dem Deutschen Ärzteforum beim Hauptstadtkongress als wissenschaftlicher Leiter vor. Die "Ärzte Zeitung" sprach mit dem Berliner Unfallchirurgen - über Medizinerknappheit, Berufsbild und die "Qualitätswüste Krankenhaus".

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"Wenn wir Ärzte uns nur als Heiler verstehen, werden andere über unsere Köpfe hinweg entscheiden." Professor Dr. med. Axel Ekkernkamp Wissenschaftlicher Leiter des Deutschen Ärzteforums 2009 beim Hauptstadtkongress

Ärzte Zeitung: Herr Professor Ekkernkamp, fehlt es uns an Ärzten?

Ekkernkamp: Es gibt Statistiken, die einen solchen Mangel belegen. Für mein Fach, die Chirurgie, ist vor einiger Zeit festgestellt worden, dass von einem Studienjahrgang nur acht Prozent der Absolventen anschließend den Beruf des Chirurgen ergreifen würden. Ich halte das alles für sehr übertrieben. Nach meiner Einschätzung sind wir mit dem Thema Ärztemangel in Kliniken mittlerweile über den Berg. Wir werden erfreulicherweise wieder mit einer ausreichenden Zahl von Ärzten ausgestattet sein, die kurativ tätig sein wollen.

Ärzte Zeitung: Und im niedergelassenen Bereich?

Ekkernkamp: Hier ist die Situation durchaus als ernst zu bezeichnen. Das hat aber nichts damit zu tun, dass wir nicht genug Ärzte haben. Es hat vielmehr damit zu tun, dass eine völlig ungesicherte Situation im ambulanten ärztlichen Bereich herrscht. Viele Fragen sind derzeit unklar: Kann ich noch Kredite aufnehmen, um eine eigene Praxis zu gründen, wie stellt sich meine Honorarsituation dar, soll ich Vertragsarzt werden? Was wird aus dem kollektivärztlichen Vertragssystem und was aus den Kassenärztlichen Vereinigungen, die dieses System tragen? Das schreckt natürlich viele ab, sich als Fach- oder Hausarzt niederzulassen.

Ärzte Zeitung: Was ist zu tun?

Ekkernkamp: Es wird Aufgabe von Kassenärztlicher Bundesvereinigung und Bundesärztekammer sein, eine Sicherheit zu schaffen, dass jemand, der den freien Beruf Arzt ergreift, auch weiterhin frei und vor allem wirtschaftlich arbeiten kann.

Ärzte Zeitung: Wollen junge Ärzte überhaupt noch am und mit dem Patienten arbeiten oder sind Arbeitsfelder wie das Case Management nicht inzwischen attraktiver?

Ekkernkamp: Wenn jemand sich schon vor dem Abitur bemüht hat, mit einem Numerus clausus fähigen Abitur in den Arztberuf zu gehen, wenn jemand lange Wartezeiten und teure Studiengebühren auf sich nimmt und dann durch ein Hammerexamen geht, dann ist er hochmotiviert, in der kurativen Medizin tätig zu werden. Es kann mir doch niemand erzählen, dass jemand wirklich gerne Case Manager werden will, nachdem er all diese Dinge auf sich genommen hat. Die große Mehrheit der Ärztinnen und Ärzte will am und mit dem Patienten arbeiten!

Ärzte Zeitung: Sind Patienten heute kritischer im Umgang mit dem Arzt?

Ekkernkamp: Patienten sind heute besser informiert als vor 20 Jahren - wobei es sicher Unterschiede zwischen der Stadt- und der Landbevölkerung gibt. Das, was wir jahrelang diskutiert haben, ob man eine Zweitmeinung einführen soll oder ob das nicht dem einzelnen Doktor irgendwie die Entscheidungsgewalt nimmt, das ist in den Köpfen der Patienten längst selbstverständlich. Viele Patienten fragen eine zweite ärztliche Meinung ab und nehmen noch das Internet als Informationsquelle hinzu. Ich begrüße diese neue Mündigkeit. Ich habe lieber einen Patienten in meiner Sprechstunde, der etwas weiß und der noch mehr wissen möchte als einen, der seine Gesundheit blind in meine Hände legt.

Ärzte Zeitung: Der Arzt von heute, sagen Sie, muss "Heiler und Manager" sein. Klingt für viele wie ein Widerspruch. Warum ist es keiner?

Ekkernkamp: Das Gesundheitswesen ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor Von etwa 40,8 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland sind 4,5 Millionen Menschen im Gesundheitswesen beschäftigt. Wenn wir Ärzte dabei eine große Rolle spielen wollen, müssen wir auch Kompetenz auf diesem Felde vorweisen. Das heißt: Jeder angehende Arzt muss heute auf dem Gebiet der Gesundheitsökonomie bewandert sein. Ärzte können nicht die ganze Zeit über lernen, wie sie medizinische Sachfragen regeln, und dann kommen sie ins Krankenhaus und wissen nicht, wie sich dieser Betrieb finanziert und wie man medizinische Prozesse wirtschaftlich organisiert. Wenn wir uns weiter nur als Heiler verstehen, werden andere über unsere Köpfe hinweg entscheiden und uns sagen, wie wir Medizin machen sollen. Aktuelle Entwicklungen zeigen, dass es anders geht. Der private Sana-Konzern etwa hat einen Arzt in den Vorstand genommen. Deutschlands größter kommunaler Klinikkonzern, die Vivantes GmbH in Berlin, hat eine Ärztin in die Hauptgeschäftsführung geholt. Unser Bemühen, ärztlichen Sachverstand verstärkt in die Leitungen der Gesundheitsbetriebe zu bringen, wird also erhört. Anteil daran hat das Ärzteforum beim Hauptstadtkongress.

Ärzte Zeitung: Ein gutes Stichwort: Das Programm des diesjährigen Ärzteforums ist durchzogen mit dem Thema Qualität. Warum?

Ekkernkamp: Der Zeitgeist verlangt, dass jede medizinische Handlung auf Evidenz überprüft wird. Das ist zum Teil übertrieben, denn es gibt sehr wohl Dinge, die nicht den höchsten Levels evidenzbasierter Medizin folgen und trotzdem richtig sind. Dennoch ist klar: Wenn wir eine Bevölkerung haben, die großes Interesse hat am Thema Gesundheit und die genau hinschaut, wo was geleistet wird, dann müssen wir für qualitativ hochwertige Medizin sorgen. Wir brauchen im Gesundheitswesen mehr Wettbewerb um Qualität.

Ärzte Zeitung: Im Programm ist von einer "Qualitätswüste Krankenhaus" die Rede. Das klingt nicht gerade vertrauenserweckend?

Ekkernkamp: Wir stellen fest, dass der eine Klinikmanager beim Thema Qualität zur Zertifizierung neigt. Der geht dann entweder zum TÜV oder zur KTQ. Der dritte Klinikchef macht schließlich lieber EFQM. Viele dieser Dinge haben wenig bis nichts miteinander gemein. Jedes Konzept setzt eigene Schwerpunkte. Die einen messen die Prozessqualität, die anderen schauen eher auf die Ergebnisqualität. Von einer einheitlichen und nach außen hin verständlichen Qualitätsmessung und Eingruppierung wie wir sie etwa im Hotel- und Gaststättengewerbe vorfinden, wo der Verbraucher mit zwei Kochlöffeln oder drei Sternen auch etwas anfangen kann, sind wir noch weit entfernt.

Ärzte Zeitung: Sie selber sind Gründungsmitglied der Initiative Qualitätsmedizin (IQM). Welches Ziel wird denn hier verfolgt?

Ekkernkamp: In dieser Initiative haben sich im September 2008 zwölf unterschiedliche Krankenhausträger zusammengeschlossen. Auch Uniklinika sind mit von der Partie. Ziel ist es, Sicherung und Management der Qualität in der Medizin durch den Einsatz von Routinedaten träger- und sektorenübergreifend weiterzuentwickeln. Vielen herkömmlichen Verfahren der Qualitätssicherung ist gemein, dass sie Strukturen und Prozesse erfassen, die zudem mit einem hohen Dokumentationsaufwand verbunden sind. IQM setzt dagegen auf die direkte Messung der für die Patienten bedeutsamen Ergebnisqualität. Diese wird von den Patienten für einen nachvollziehbaren und an der Versorgungsqualität orientierten Klinikvergleich benötigt.

Ärzte Zeitung: Zum Schluss ein Ausblick: Im Herbst wird der Bundestag neu gewählt. Welche Erwartung haben Sie an die Gesundheitspolitik?

Ekkernkamp: Ich erwarte vor allem Klarheit, was die langfristige Sicherung der sozialen Systeme - vor allem von Kranken- und Pflegeversicherung - betrifft. Dieses Thema darf man aber nur anfassen, wenn man bereit ist, klare Entscheidungen zu treffen. Wir wissen ja bereits seit 2003, dass es ein Weitermachen wie bisher nicht geben kann. Das war die klare Botschaft der Rürup- und der Herzog-Kommission. Wir werden dieses System, wo jeder jede Leistung zu einem überschaubaren Beitrag bekommt ohne selber was zuzahlen zu müssen, nicht auf Dauer finanzieren können. Mein Wunsch wäre, dass eine zukünftige Regierungskoalition nicht wieder in Kompromisse geht und dritte Wege ausprobiert, die die Klarheit nur verstellen. Wir brauchen eine Grundsatzentscheidung über die Finanzierung unseres Gesundheitssystems!

Das Interview führte Thomas Hommel.

Zur Person

Professor Dr. med. Axel Ekkernkamp, geboren 1957 in Bielefeld, ist ein Multitalent: Er hat Zahnmedizin studiert und promovierte und habilitierte im Fach Chirurgie. Seit 1997 leitet er Europas größtes und bundesweit erstes volldigitalisiertes Unfallkrankenhaus (ukb) in Berlin. Er lehrt Unfallchirurgie an der Ernst-Moritz-Moritz-Arndt-Universität Greifswald und ist stellvertretender Landesvorsitzender der CDU Berlin.

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