"Wir wollen keine Amerikanisierung"
MÜNCHEN (sto). Im Kampf um den Erhalt der hausärztlichen Versorgung gibt es seit Samstag ganz neue Töne: Zu den Klängen von "We Will Rock You" der britischen Rockgruppe Queen sangen die 25 000 Teilnehmer der Großdemonstration im Münchner Olympiastadion "Wir woll'n unsern Hausarzt".
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Für "ihren" Hausarzt zogen am Samstag einige Tausend Patienten nach München. Die Demonstration im Olympiastadion wurde organisiert vom Bayerischen Hausärzteverband und der Vereinigung patient-informiert-sich.de.
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Eingestimmt von dem Allgemeinarzt Dr. Jürgen Arnhardt aus Höchstädt im Landkreis Dillingen, klatschten und sangen die Demonstranten unter dem riesigen Zeltdach des Olympiastadions mit wahrer Begeisterung zum Rhythmus des Kult-Hits aus den 70er Jahren. Der Protest von Hausärzten und Patienten aus ganz Bayern gegen eine "Zerstörung unseres solidarischen Gesundheitssystems", gegen profitorientierte Kapitalgesellschaften im Gesundheitswesen und für den Fortbestand der hausärztlichen Versorgung bekam damit eine besondere musikalische Note.
Zuvor hatte das Kabarettisten-Duo Volker Heißmann und Martin Rassau aus Fürth als die beiden Witwen "Waltraud und Mariechen" aktuelle Entwicklungen im Gesundheitswesen aufs Korn genommen und mit Bemerkungen zur Praxisgebühr, Call-Centern und anderen gesundheitlichen Beschwernissen des Alltags für Erheiterung gesorgt.
Tatsächlich ging es den Organisatoren der Münchner Großdemonstration jedoch um mehr als nur um Unterhaltung. "Der Widerstand gegen diese Gesundheitspolitik ist eröffnet", sagte die Gründerin der Initiative "Patient-informiert-sich.de", Renate Hartwig. Das Gesundheitswesen dürfe nicht in die Hand von Konzernen geraten. "Wir wollen keine Amerikanisierung". Den Gesundheitspolitikern empfahl sie, sich warm anzuziehen. Denn: "Wir sind das Volk. Und ihr seid unsere Vertreter".
Vor einem permanenten Abbau unseres Sozialstaates warnte der Vorsitzende des Bayerischen Hausärzteverbandes, Dr. Wolfgang Hoppenthaller. Zusatzbeiträge und Selbstbeteiligung als Zauberformel hätten mit der vielbeschworenen Eigenverantwortung der Bürger wenig zu tun. Asthmatiker und Herzkranke könne man für ihre Erkrankung nicht verantwortlich machen. Unter dem zweiten Stichwort "Hebung von Rationalisierungs-Reserven" werde der Sozialabbau weiter fortgesetzt und das Solidarsystem an Aktien- und Kapitalgesellschaften verkauft, kritisierte Hoppenthaller. Der Staat stehle sich damit aus der Verantwortung für seine Bürger.
Vor einem Werteverlust im Gesundheitswesen warnte der Benediktinerpater Dr. Anselm Grün. Der Arzt drohe zum Dienstleister und Techniker zu verkommen. "Ein Techniker kann aber nicht heilen", sagte Grün. Ein Gesundheitswesen, das vom Markt dominiert wird, könne den Kranken nicht gerecht werden. Denn wenn der Patient zum Kunden wird, werde das Gesundheitswesen nur noch für Gesunde da sein, so Grün.
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