Wirtschaftlichkeitsprüfung wird entrümpelt

BERLIN (HL). In einem wichtigen Punkt haben sich die Gesundheitsreformer zu einer gründlichen Entbürokratisierung entschlossen: bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung. Dennoch bleibt die Frage unbeantwortet, wie die geplante Verminderung der Richtgrößenprüfungen mit den gerade neu eingeführten Regelungen - Bonus/Malus oder alternativ Zielvereinbarungen mit Rückzahlungsverpflichtungen - unter einen Hut zu bringen sind.

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Ein Blick in die real existierende Wirtschaftlichkeitsprüfung hat im Bundesgesundheitsministerium offenbar zur Ernüchterung geführt: Die Richtgrößenprüfung ist nicht wirtschaftlich. Knapp 400 Mitarbeiter bundesweit sind in den Geschäftsstellen der Prüfgremien beschäftigt.

Die Personalkosten werden auf acht bis zehn Millionen Euro geschätzt. "Die eingenommenen Regreßbeträge dürften etwa die Kosten der Verfahren decken", heißt es in dem Eckpunktepapier. Bis zu 30 Prozent der Ärzte sind in manchen Fachgruppen von Prüfungen betroffen. Der Durchschnittsregreß beläuft sich auf 1500 Euro.

Wie werden Prüfverfahren nun vereinfacht?

Beim Verfahren zum "sonstigen Schaden" (das betrifft Arzneimittel, die die Kassen nicht bezahlen) gilt: Die erste Entscheidung trifft die Geschäftsstelle, in nächster Instanz geht das Verfahren ans Sozialgericht.

Die Zahl der Richtgrößenprüfungen wird drastisch beschränkt: auf fünf Prozent der Ärzte. Die Prüfgremien sollen sich auf besonders unwirtschaftliche Ärzte konzentrieren; und KVen und Kassen sollen realistische Richtgrößen vereinbaren.

Ferner sollen die gesetzlichen Vorgaben zur Anerkennung von Praxisbesonderheiten vereinfacht werden. So sollen Arzneimittel definiert werden, deren Kosten grundsätzlich vorab von den Verordnungskosten abgezogen werden können. Auf Antrag eines Arztes können Praxisbesonderheiten individuell anerkannt werden.

Das Verfahren wird gestrafft: In erster Instanz entscheidet die Geschäftsstelle, in zweiter Instanz entscheidet der Prüfungsausschuß, der mit ehrenamtlichen Vertretern der Selbstverwaltung besetzt ist. Der Beschwerdeausschuß entfällt. Wirtschaftlichkeitsprüfungen müssen innerhalb von zwei Jahren nach dem Ende des Verordnungsjahres vorgenommen werden.

Wie verträgt sich die Entbürokratisierung mit dem AVWG?

Das erst jüngst in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung hat für Vertragsärzte ein neues Ärgernis geschaffen: die Bonus-Malus-Regelung ab 2007. Sie kann in einzelnen, noch festzulegenden Indikationen bei Überschreitung bestimmter Verordnungswerte zu einem automatischen, quartalsweisen Regreß führen. Ersatzweise können KVen Zielvereinbarungen über Arzneimittelausgaben treffen; werden die Ausgabenziele überschritten, dann muß ein Ausgleich mit dem ärztlichen Honorar herbeigeführt werden.

Diese beiden Regelungen stehen im Widerspruch zu den Zielen der jetzt anstehenden Gesundheitsreform: erstens die Wirtschaftlichkeitsprüfung zu vereinfachen und auf Fälle starker Unwirtschaftlichkeit zu konzentrieren; zweitens - im Falle eines Kollektivregresses - wird das Ziel durchkreuzt, den Ärzten ein kalkulierbares Honorar zu zahlen.

Was passiert bei Anwendungsbeobachtungen?

Mit Anwendungsbeobachtungen wird das Ziel verfolgt, unter realen Versorgungsbedingungen weitere Erkenntnisse über Wirkungen und Nebenwirkungen von Arzneimitteln zu erhalten. Die dabei eingesetzten Arzneimittel werden von den Kassen bezahlt. Den zusätzlichen Dokumentationsaufwand honoriert der jeweilige Hersteller den teilnehmenden Ärzten.

Seit längerem besteht eine Meldepflicht für Anwendungsbeobachtungen. Neu ist nun, daß auch das von der Industrie an Vertragsärzte gezahlte Honorar gemeldet werden muß. Der Datenschutz soll dabei gewahrt bleiben. Die Prüfungsausschüsse müssen Stichproben bei teilnehmenden Ärzten machen. Damit soll vermieden werden, daß durch Anwendungsbeobachtungen Mehrkosten für die Kassen entstehen.

Wann ist eine Zweitmeinung notwendig?

Die Verordnung bestimmter teurer Arzneimittel - vor allem Spezialpräparate - soll von der Meinung eines zweiten Arztes abhängig gemacht werden. Diese Praxis ist beispielsweise mit der letzten Gesundheitsreform in Österreich eingeführt worden. Die Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen soll dabei die Qualifikationsanforderungen der Ärzte festlegen, bei denen eine Zweitmeinung eingeholt werden muß. Dabei soll sichergestellt werden, daß es hinreichend qualifizierte Ärzte für das Zweitmeinungs-Verfahren gibt.

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