Hess kritisiert
Zu viel klein-klein im GBA
Der langjährige Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses bewertet die starke Orientierung an Versorgungssektoren als großes Manko. Der GBA habe sich deshalb im Klein-Klein verloren, beklagt Hess.
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Dr. Rainer Hess war von 2004 bis 2002 Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses.
© Robert Schlesinger / dpa
DORTMUND. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat in den vergangenen Jahren das große Ganze aus dem Blick verloren, weil er sich zu sehr um Einzelheiten gekümmert hat.
So urteilt jemand, der es wissen muss: der langjährige unparteiische GBA-Vorsitzende Dr. Rainer Hess.
Der Jurist ist seit diesem Jahr hauptamtlicher Vorstand bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) und soll die Umstrukturierung der Stiftung vorantreiben.
"Wir hätten die Tätigkeit auf die Versorgungsprobleme ausrichten müssen und nicht nur einzelne Leistungen bewerten", sagte Hess auf einem Seminar zur Zukunft der ärztlichen Vertragsstrukturen des Bundesverbands Managed Care Regional Nordrhein-Westfalen in Dortmund.
Ziel seiner Arbeit im GBA sei es ursprünglich gewesen, Einfluss auf die Versorgungsstrukturen zu nehmen. Die Herausforderung sieht Hess darin, Versorgungsqualität bei gleichzeitiger Kosteneffizienz zu verbessern.
Das mache eine umfassende Sicht notwendig, im GBA stünden aber sektorspezifische Fragestellungen im Vordergrund. "Da haben wir versagt, weil wir zu sehr aufs Kleine geguckt haben", räumte er ein.
Viele Vertragstypen - ohne Evaluation
Selektivverträge können nach seiner Einschätzung ebenso wie Kollektivverträge dazu beitragen, Versorgungsprobleme zu lösen. Dabei gehe es allerdings um Insellösungen und nicht um flächendeckende Konzepte. Für diese sei der Kollektivvertrag besser geeignet.
"Der Selektivvertrag ist für mich ein Wettbewerbs-Instrument, um Strukturen zu erproben oder neue Leistungen einzuführen", sagte Hess. In Deutschland gebe es eine Vielzahl unterschiedlicher Vertragsformen. "Aber es wird nicht evaluiert", kritisierte Hess.
Die Siemens-Betriebskrankenkasse würde das Potenzial von Selektivverträgen gern stärker nutzen, sagte Vorstandsmitglied Dr. Gertrud Demmler.
Das System lasse dafür aber häufig nicht den notwendigen Spielraum. "Wir wollen innovativ sein, und dabei möchten wir eher mehr Vertragsfreiheiten als weniger."
Die Finanzierung neuer Versorgungsformen sei ein großes Problem, sagte Demmler. "Die Krankenkassen haben kein Investitionsvolumen", beklagte sie.
Die Forderung, dass sich neue Versorgungsformen innerhalb kürzester Zeit refinanzieren müssen, sei nicht erfüllbar. "Das weiß jeder."
Aufsicht will jedes Papier sehen
Überhaupt sieht Demmler in der Vielzahl aufsichtsrechtlicher Anforderungen eine wesentliche Innovationshürde. "Es gibt eine extrem ausgeweitete Vorlagepflicht für Verträge, ich muss für alles um Erlaubnis fragen."
Sie kritisierte auch die unterschiedliche Aufsichtspraxis von Bundesversicherungsamt und Landesversicherungsämtern. Es sei nicht einzusehen, warum Kassen, die unter Bundesaufsicht stehen, Verträge untersagt werden, die anderen Krankenkassen von der Landesaufsicht problemlos genehmigt werden.
"Ich möchte eine Rechtsaufsicht, keine Einmischungsaufsicht", betonte sie.
Bei der Kassenaufsicht muss es eine bessere Abstimmung und eine einheitliche Praxis geben, bestätigte Franz Knieps.
Der langjährige Chef-Stratege von Ex-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt ist zurzeit als Berater tätig und wird zum 1. Juli Vorstand des BKK-Dachverbands. Eine einheitliche Aufsichtsbehörde hält er aber auf absehbare Sicht für unwahrscheinlich.
"Selektivvertrag und Kollektivvertrag sollten gleichberechtigt im Sozialgesetzbuch stehen", sagte er. Entscheidend sei die Frage, mit welcher Vertragsform bestimmte Versorgungsziele erreicht werden können.
Beim Kollektivvertrag plädierte er für eine größere Flexibilität. "Ich würde es für sinnvoll halten, wenn Kassen oder Kassenarten eigene Kollektivverträge mit den Kassenärztlichen Vereinigungen schließen können."