Urteil

AU hat starken Beweiswert

Eine einmalig falsche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bedeutet noch lange nicht, dass der ausstellende Arzt immer aus Gefälligkeit krankschreibt.

Veröffentlicht:

STUTTGART. Wenn eine Ärztin einen Patienten wegen vorgetäuschter Bauchschmerzen krankschreibt, ist dies noch lange kein Beleg dafür, dass die Ärztin generell Gefälligkeitsbescheinigungen ausstellt. Ein Arbeitgeber kann deswegen nicht die AU-Bescheinigung für einen anderen Arbeitnehmer infrage stellen, wie das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg in einem Urteil entschied, das jetzt die Kanzlei Thorsten Blaufelder in Dornhan veröffentlicht hat. Und: Wenn ein Arbeitnehmer zu Kollegen sagt, er wolle „auf psychisch krank machen“, weist dies laut Landesarbeitsgericht ebenfalls nicht auf eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit hin.

Geklagt hatte ein Teamleiter in einem Produktionsbetrieb. Nach dessen Angaben hatte sein Arbeitgeber ihm bei einem Personalgespräch mitgeteilt, ihn loswerden zu wollen. Man würde gegen ihn „fleißig Abmahnungen sammeln“. Auch wurde er in ein anderes Schichtsystem versetzt. Der Teamleiter gab an, am ganzen Körper gezittert zu haben und völlig durch den Wind gewesen zu sein.

Daraufhin soll der Beschäftigte nach Angaben des Arbeitgebers vor Kollegen gesagt haben: „Ich halte den Stress hier nicht mehr aus; ich mache jetzt auf psychisch krank“ oder „Ich lasse mich jetzt krankschreiben“. Die Hausärztin des Teamleiters stellte tatsächlich eine AU-Bescheinigung aus. Der Beschäftigte kündigte zudem sein Arbeitsverhältnis.

Der Arbeitgeber leistete für die Zeit der Krankschreibung jedoch keine Entgeltfortzahlung. Die Äußerungen des Teamleiters wiesen auf einen Arbeitsunwillen und nicht auf eine Arbeitsunfähigkeit hin. Die Hausärztin habe die Bescheinigung aus Gefälligkeit erstellt. Der hinzugezogene MDK hatte allerdings die AU der Hausärztin nicht beanstandet. Der Arbeitgeber war damit nicht zufrieden und schickte einen gesunden Kollegen in dieselbe Praxis, der dort Bauchschmerzen vortäuschte. Auch ihn schrieb die Ärztin krank.

Wie hierzu nun das LAG entschied, sei dies noch kein Hinweis darauf, dass die Ärztin regelmäßig und in strafbarer Weise falsche Bescheinigungen ausstellt.

Dem Teamleiter stehe Lohnfortzahlung zu. Denn auch sonst habe der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erschüttert – selbst wenn unterstellt werde, dass die Aussagen des Klägers gegenüber Kollegen so gefallen seien. Nach der unbestrittenen Darstellung des Teamleiters sei es nachvollziehbar, dass er nach dem Personalgespräch tatsächlich „durch den Wind“ und nicht mehr arbeitsfähig gewesen sei. Darauf verwiesen auch seine ebenfalls nicht bestrittenen körperlichen Symptome. (fl/mwo)

Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Az.: 9 Sa 102/18

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Mehr als ein oberflächlicher Eingriff: Die Krankenhausreform verändert auch an der Schnittstelle ambulant-stationär eine ganze Menge.

© Tobilander / stock.adobe.com

Folgen der Krankenhausreform für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte

Die Klinikreform bringt Bewegung an der Schnittstelle zwischen Praxen und Krankenhäusern

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztbank (apoBank)
Manchmal kommt Künstliche Intelligenz ziemlich abstrakt daher. Doch es gibt zunehmend auch konkrete Anwendungen, sogar für Arztpraxen.

© 3dkombinat - stock.adobe.com

Praxisorganisation

Mit KI zu mehr Entlastung fürs Praxisteam

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Doctolib GmbH
Dr. med. Gerhard M. Sontheimer (ANregiomed, Region Ansbach) und Holger Baumann (Kliniken der Stadt Köln, v.l.) haben in der Praxis gute Erfahrungen mit Systempartnerschaften gemacht.

© Philips

Mehr Spielraum für moderne Prozesse in der Klinik

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Philips GmbH Market DACH, Hamburg
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Risikofaktoren identifiziert

Für wen könnten Harnwegsinfekte gefährlich werden?

Systematisches Review und Metaanalyse

Antidepressiva absetzen: Welche Strategie ist am wirksamsten?

Metaanalyse

Subjektive Krankheitsbelastung bei Krebs prognostisch relevant

Lesetipps
Übersichtsarbeit: Wie wirken Hochdosis-, rekombinante und mRNA-Vakzinen verglichen mit dem Standardimpfstoff?

© Sasa Visual / stock.adobe.com

Übersichtsarbeit zu Grippeimpfstoffen

Influenza-Vakzinen im Vergleich: Nutzen und Risiken

Serotoninkristalle, die ein Muster ergeben.

© Michael W. Davidson / Science Photo Library

Für wen passt was?

Therapie mit Antidepressiva: Auf die Nebenwirkungen kommt es an