Der Budgetdeckel ist weg  -  doch der Effekt bleibt noch gering

Die Kassenärzte bekommen 2009 rund drei Milliarden Euro mehr als 2007 - das war die eine gute Nachricht aus dem Honorarpoker im Herbst. Die andere: Steigt die Morbidität der Versicherten, kann das Honorar nochmals hochgehen, so wie auch die Kassen Zuweisungen vom Gesundheitsfonds nach Morbidität bekommen. Aber die Rechnung ist leider nicht gerade einfach.

Hauke GerlofVon Hauke Gerlof Veröffentlicht:

"Der Wegfall der Budgets ist der eigentliche Erfolg, auch wenn wir nur eine begrenzte Geldmenge haben." Dr. Andreas Köhler Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

Der Erwartungsdruck der Vertragsärzte vor den Verhandlungen zum Euro-EBM 2009 war hoch. Und als schließlich im Spätsommer - und dann richtig, nach den Nachverhandlungen im Oktober - weißer Rauch aufstieg und aus dem Erweiterten Bewertungsausschuss die Einigung über eine Honorarerhöhung von rund drei Milliarden Euro für 2009 im Vergleich zu 2007 verkündet wurde, da schien die Welt der Vertragsärzte für einige Zeit wenigstens halbwegs in Ordnung zu sein - auch wenn viele sich natürlich eine noch stärkere Steigerung erhofft hatten.

Doch wie so oft liegt der Teufel im Detail. Und als dann die Vertragsärzte ihre Regelleistungsvolumina genannt bekamen, kehrte bei vielen angesichts sinkender Fallwerte Ernüchterung ein. Die Frage, die jetzt überall gestellt wird, lautet: "Wo fließt denn das Honorarplus in meiner KV hin?" Denn - das ist abgemacht - in keiner KV soll es ein Honorarminus geben, auch wenn es in den Ost-KVen einen stärkeren Nachholbedarf gibt als im Westen.

In keiner KV sollte es ein Honorarminus geben

Schon früh wiegelte der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Dr. Andreas Köhler ab: "Der Wegfall der Budgets ist der eigentliche Erfolg, auch wenn wir nur eine begrenzte Geldmenge haben", betonte Köhler immer wieder vor Vertragsärzten. In der Tat setzt sich die Leistungsvergütung der Ärzte in Zukunft aus einem vorhersehbaren Teil und daher einer im Vorhinein festgelegten Honorarsumme und einer unvorhersehbaren Komponente zusammen.

Die vorhersehbare morbiditätsbedingte Gesamtvergütung speist die Vergütung für

  • Leistungen, die nicht ins Regelleistungsvolumen fallen und mit dem festen Orientierungswert bezahlt werden - ohne Abstaffelung. Dazu zählen unter anderen Laborleistungen, Sach- und Wegekosten, aber auch Leistungen wie Akupunktur, organisierter Notfalldienst, Schmerztherapie und mehr (siehe Seite 25),
  • die Regelleistungsvolumina (RLV) der Vertragsärzte,
  • die Rückstellungen für abgestaffelte Vergütungen von RLV in Praxen mit hohen Fallzahlen (mehr als 150 Prozent der durchschnittlichen Fallzahl) in Höhe von drei Prozent.

"Diese massive Honorarerhöhung werden leider alle Versicherten deutlich in ihren Portemonnaies spüren." Johann-Magnus von Stackelberg, GKV-Verhandlungsführer bei den Honorarverhandlungen

Werden die RLV nun zum Restleistungsvolumen?

Der für Ärzte fest kalkulierbare Kern des ärztlichen Einkommens sollte eigentlich das Regelleistungsvolumen sein. Aufgrund der hohen Vorwegabzüge sprechen böse Zungen inzwischen eher vom Rest- als vom Regelleistungsvolumen.

Hintergrund: Für KVen ist die Leistungsmenge der nach dem Einzelleistungsprinzip vergüteten Leistungen nur schwer einzuschätzen. Die Rückstellungen dafür gehen aber von dem Honorarvolumen für die RLV ab - was letztlich eine der Hauptursachen für die relativ niedrigen Fallwerte ist, über die viele Fachgruppen in vielen, vor allem westlichen KV klagen. Und es ist überhaupt nicht geklärt, was geschieht, wenn die Rückstellungen nicht reichen. Möglicherweise könnten die Krankenkassen dann aufgefordert sein, Geld nachzuschießen. Aber die werden sich angesichts des Drucks, dem sie sich durch den Gesundheitsfonds ausgesetzt sehen, mit Händen und Füßen dagegen wehren.

Trotz des festen bundesweit gültigen Orientierungswertes von 3,5001 Cent bleibt ein nicht unerheblicher Rest Unsicherheit auch bei den eigentlich festen Bestandteilen des Arzthonorars bestehen. Gleichzeitig fühlen sich Hausärzte, die qualitätsgebundene Fallwertzuschläge bekommen, etwa für Ultraschall oder Psychosomatik, wieder ins Hamsterrad getrieben, wenn sie ihre Zusatzbudgets ausschöpfen wollen.

So weit der vorhersehbare Anteil der ärztlichen Gesamtvergütung. Zusätzlich vergüten die Krankenkassen im kommenden Jahr unter anderen Leistungen für Prävention, Impfungen und Hautkrebsscreening sowie auch regionale Verträge etwa zur hausarztzentrierten Versorgung nach Paragraf 73 b.

Und auch der Deckel für die Regelleistungsvolumina hält nicht mehr so dicht wie bisher. Zum einen ist das Morbiditätsrisiko ein Stück weit auf die Kassen übergegangen. Epidemien, Naturkatastrophen und ein starker Anstieg bei mehreren schweren Krankheiten führen im kommenden Jahr zu einem zusätzlichen Honoraranspruch, der dann auch zeitnah nach der Euro-Gebührenordnung ausgezahlt werden soll. Zahlen müssen die Kassen dann,

  • wenn die Kosten für die Behandlung von Patienten mit bestimmten Krankheiten wie Sepsis oder Pneumonie relativ zu anderen Krankheiten um mehr als 25 Prozent steigen,
  • wenn das zuständige Gesundheitsamt eine Epidemie feststellt,
  • oder wenn ein Großschaden eintritt, etwa aufgrund einer Naturkatastrophe, bei dem mindestens zwei Prozent der Bevölkerung verletzt werden und aufgrund dessen Katastrophenalarm ausgelöst worden ist.

Auch der Fallzahl-Deckel in vielen KVen lüftet sich

Positiv könnte sich für schon länger bestehende, wachsende Praxen auch auswirken, dass der Fallzahl-Deckel sich ebenfalls leicht geöffnet hat: Dadurch dass die RLV jedes Quartal neu berechnet werden - immer mit Bezug auf die Fallzahl des Vorjahresquartals - ist es jetzt möglich, dass eine Praxis ihr RLV steigern kann, wenn auch mit einjähriger Verzögerung. Umgekehrt geht das RLV einer schrumpfenden Praxis auch mit einjähriger Verzögerung zurück.

So könnte der Euro-EBM am Ende für manche Vertragsärzte auch noch positive Überraschungen bringen. Schlecht könnte es nur für Praxen aussehen, die kaum Leistungen außerhalb des RLV erbringen können. Wer betroffen ist, sollte rechtzeitig Kontakt mit seiner KV aufnehmen, gegebenenfalls Praxisbesonderheiten oder mögliche Härtefall-Regelungen geltend zu machen.

Vergütungsreform im Zeitraffer

In vier Schritten zum Euro-EBM

Der Weg zum Euro-EBM ist lang gewesen. Nachdem der Gesetzgeber die Vorgaben gemacht hat, hat sich die Selbstverwaltung nun geeinigt.

2004: Der Gesetzgeber legt mit der Gesundheitsreform (GKV-WSG) fest, dass das Arzthonorar in Zukunft auf Basis von Regelleistungsvolumina berechnet wird. Die Selbstverwaltung lässt allerdings Ausnahmen zu, was jetzt für einige Kassenärztliche Vereinigungen zu einem erschwerten Übergang führt.

2005: Im März tritt der EBM 2000plus in Kraft. Mit ihm wird der Weg in eine zunehmend pauschalierte Vergütung der Vertragsärzte eingeschlagen. Viele frühere Einzelleistungen fließen zum Beispiel in den Ordinationskomplex.

2007: Der EBM 2000plus hat keine lange Lebensdauer. Ende Oktober des Jahres einigen sich Krankenkassen und Kassenärztliche Bundesvereinigung auf den neuen Pauschalen-EBM. In den neuen Versichertenpauschalen (für Hausärzte) und Grundpauschalen (für Fachärzte) gehen weitere Einzelleistungen auf. Vor allem Hausärzte haben nur noch wenige Einzelleistungen in ihrem Kapitel, die von den Vertragspartnern besonders gefördert werden sollen.

2008: Im Januar tritt der Pauschalen-EBM in Kraft. Er bringt den Ärzten einen kräftigen Punktezuwachs. Von vornherein ist klar, dass auch seine Lebensdauer begrenzt ist. Er soll vom Euro-EBM ein Jahr später abgelöst werden.

Im Sommer einigen sich unter kräftiger Mithilfe der Bundesregierung KBV und Kassen auf eine neue morbiditätsbezogene Gesamtvergütung für 2009.

Im Herbst folgt dann die endgültige Einigung auf den Orientierungswert in Höhe von 3,5001 Cent, der auch von allen KVen übernommen wird. Bis heute haben auch die meisten Ärzte ihre Regelleistungsvolumina erhalten und kennen damit zumindest einen großen Teil ihres Einkommens im kommenden Jahr.

Die nächsten Etappenziele

Der Weg für die umfassende Reform der ärztlichen Vergütung ist frei. Bis 2012 stehen noch weitere Reformschritte an.

2009: Der Euro-EBM tritt in Kraft. Ein großer Teil der vertragsärztlichen Leistungen ist jetzt fest kalkulierbar. Der Orientierungswert liegt allerdings deutlich unter den einstmals von den Kassenärzten angestrebten 5,11 Cent. Der Budget-Deckel ist teilweise geöffnet: Steigt die Morbidität deutlich an, gibt es für Kassenärzte auch ein höheres Honorar - unter bestimmten Bedingungen. Der Orientierungswert muss in jedem Jahr neu festgelegt werden.

In Kliniken endet die Konvergenzphase für die Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG), die auf längere Sicht zu gleichen Vergütungen für gleiche Leistungen in ganz Deutschland führen sollen. Vorerst gelingt das nur auf Länderebene.

2010: Eine kassenartenübergreifende Standardisierung des morbiditätsbedingten Behandlungsbedarfs je Versicherten je Kassenärztlicher Vereinigung wird erarbeitet.

2011: Fachärzte erhalten diagnosebezogene Fallpauschalen, ähnlich den DRG in Krankenhäusern, wenn die Pläne, so wie sie sind, bestehen bleiben. Ziel ist eine Vergleichbarkeit von Leistung und Vergütung in Kliniken und Praxen, so dass das Geld letztlich dahin fließt, wo die Leistung effizient erbracht wird.

2012: Abschluss der geplanten Honorarreform. Hausärzte werden im Kollektiv-System weitgehend nach Pauschalen bezahlt. Fachärzte erhalten diagnosebezogene Pauschalen. Dazu gibt es die Möglichkeit, wesentlich stärker als bisher an Selektivverträgen teilzunehmen. Möglicherweise fallen in diesem Jahr aufgrund anderer gesetzlicher Regelungen auch die Zulassungsbeschränkungen, was neue Möglichkeiten eröffnet. (ger)

Wer profitiert vom zusätzlichen Honorar?

Wenn im kommenden Jahr 2,7 Milliarden Euro zusätzlich in die ambulante ärztliche Versorgung fließen, so wird nicht jeder einzelne Vertragsarzt davon etwas merken. Denn die Honorarreform und die Einführung des bundeseinheitlichen Orientierungspunktwertes sorgen teils für eine massive Umverteilung. Zwar können alle Regionen Zuwächse verzeichnen, die Zuwachsraten fallen jedoch unterschiedlich hoch aus und beziehen sich immer auf das Jahr 2007.

Wenn beispielsweise in Bayern die Gesamtvergütung um rund sechs Prozent gegenüber 2007 steigt, so müssen davon zunächst etwa 3,2 Prozent Honorarzuwachs für 2008 abgezogen werden. Im kommenden Jahr stehen in Bayern somit knapp 300 Millionen Euro zusätzlich für die ambulante Versorgung zur Verfügung. Daran werden allerdings nicht alle Fachgruppen gleichermaßen partizipieren.

Tendenziell geht die Nivellierung der Honorare zu Lasten der südlichen Bundesländer. In den neuen Ländern wächst das Honorarniveau von 84 auf mindestens 95 Prozent des Westniveaus.

Durch die Honorarreform soll aber auch die hausärztliche Versorgung gestärkt werden. Durch Umverteilungen innerhalb der Fachärzteschaft werden vor allem die stark technisch orientierten Fächer eher nicht zu den Gewinnern der Reform gehören. (sto)

Honorarverteilung nach KVen

Das bundesweite Honorarpaket wurde im Erweiterten Bewertungsausschuss ausgehandelt, einem Gremium von Kassen, KBV und KVen. Der ausgehandelte Zuwachs um rund drei Milliarden Euro für 2009 im Vergleich zu 2007 wurde dann aufgrund der "Morbidität" - berechnet aus dem angeforderten Leistungsbedarf je Versichertem - verteilt auf die einzelnen KVen. Dabei wurde darauf geachtet, dass keine KV ins Minus rutscht. Tendenziell benachteiligt waren die KVen, in denen es eine strikte Mengenbegrenzung gab. In diesen KVen haben Ärzte weniger Leistungen abgerechnet, weil sie nicht vergütet wurden. Dadurch wurde die tatsächliche Morbidität unterschätzt. Aus diesem Grund wurde im Herbst nachverhandelt. (ger)

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