Der Standpunkt zum Beschneidungs-Urteil

Der Gesetzgeber muss handeln!

Die Kölner Richter, die religiöse Beschneidungen von Jungen als strafbare Handlung bewertet haben, begründeten das mit dem Kindeswohl. Doch mit diesem Urteil erreichen sie genau das Gegenteil, meint Anja Krüger. Sie findet: Ärzte brauchen Rechtssicherheit - und dafür muss die Politik sorgen.

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Die Autorin ist Korrespondent in NRW. Schreiben Sie ihr: wi@aerztezeitung.de

Die Politik muss so schnell wie möglich einen Weg finden, damit religiös motivierte Beschneidungen von Jungen wieder straflos möglich sind. Das fordern Vertreter von muslimischen Religionsgemeinschaften. Und sie haben damit völlig Recht.

Ärzte brauchen Rechtssicherheit, um die Eingriffe wieder vornehmen zu können. Die Richter des Landgerichts Köln, die in ihrem Urteil die religiös motivierte Zirkumzision als Körperverletzung und damit strafbare Handlung bewertet haben, begründeten das mit dem Kindeswohl.

Natürlich haben Kinder ein Recht auf körperliche Unversehrtheit. Und viele körperlich und seelisch misshandelte Kinder beweisen leider, dass das auch in Deutschland keineswegs selbstverständlich ist.

Aber: Die Kölner Richter erreichen genau das Gegenteil von dem, was sie wollen. Das Urteil gefährdet die Gesundheit und damit die körperliche Unversehrtheit von Jungen, es schützt sie nicht.

Auch in Zukunft werden jährlich Zehntausende in Deutschland geborene Jungen beschnitten werden - aber nicht mehr in Praxen und Kliniken, sondern von wem auch immer. Möglicherweise ohne Narkose, ohne sterile Bedingungen und mit dem Risiko, schlimme Deformationen zu erleiden.

Ärzte könnten es angesichts dieser Gefahr darauf ankommen lassen und dennoch religiös motivierte Zirkumzisionen vornehmen. Das wäre sicher ehrenhaft - aber ein hohes Risiko. Denn Ärzte müssten nicht nur das Strafrecht fürchten, sondern auch zivilrechtliche Folgen, wenn es zu Komplikationen kommt.

Nein, auf dem Rücken der Ärzte sollte diese Kontroverse wirklich nicht ausgetragen werden. Der Rat an Eltern, erst einmal mit religiös motivierten Beschneidungen zu warten, ist daher im Moment der beste Weg, mit dem Urteil umzugehen.

Das funktioniert aber nur, wenn der Gesetzgeber auch schnell handelt. Sonst wird von dem Urteil des Landgerichts Köln ein verheerendes Signal ausgehen: Es kriminalisiert die Angehörigen zweier Religionsgemeinschaften.

Stärker ausgrenzend kann eine Gesellschaft kaum agieren, als allgemein akzeptierte, von manchen sogar als gesundheitsfördernd gutgeheißene Rituale von religiösen Minderheiten unter Strafe zu stellen.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 07.07.201223:28 Uhr

Einspruch, Frau Krüger!

Auch wenn das Kölner Landgericht mit seiner Entscheidung Anlass zu unangemessen polemischer Schelte nicht nur bei ÄZ-Kommentaren gegeben, sondern auch Medien und Öffentlichkeit aufgeschreckt hat. Es geht mitnichten darum, dass der Staat als Gesetzgeber ordnungsgemäße, medizinisch - lege artis - durchgeführte rituelle Beschneidungen in Gesetzesvollzug setzt. Medizinische Indikationen selbstverständlich ausgenommen. Der generalpräventive Nutzen jeder religiös motivierten Zirkumzision würde dagegen einen umfassenden Schaden bei Nichtbeschnittenen weltweit bedeuten.

Nein, es geht ausnahmslos um die genitale Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit bei nicht einwilligungsfähigen Säuglingen und Kindern. Jeder Eingriff in die körperliche Unversehrtheit kann strafbare Körperverletzung sein, wenn k e i n e rechtsgültige Einwilligung vorliegt. Dies allein hatte die Strafkammer des Kölner Landgerichts mit seinem jüngst veröffentlichten Urteil zur Zirkumzision (Az.: 151 Ns 169/11) zu entscheiden.

Das befürchtete Abtauchen in die Illegalität von Hinterzimmern, die Scharlatanerie und sekundäre Krankheitsrisiken sind keine validen Argumente. Dies wird schon lange Zeit mitten in unserer Gesellschaft und in vielen Ländern der Welt dauerhaft praktiziert. Nein, alle Religionsgemeinschaften, die rituell beschneiden wollen, sind am Zug. Sie müssen ihren Ritus reflektieren und sich, so leid es mir tut, unserer Rechtsordnung anpassen.

Wir sind in Deutschland eine aufgeklärte, säkularisierte, postmoderne Industriegesellschaft. Daran brechen sich grundsätzlich alle Religionen. Denn religiöse Überzeugungen sind durch Altruismus, Apologetik, Askese, Autorität, Beseelung, Dogmatik, Exegese, Gehorsam, Irrationalität, Seelenwanderung, sexuelle Restriktion und Zensur in vertikaler Ordnung geprägt. Dieses ist nahezu regelhaft Unten stärker als Oben zu verorten.

Religion ist und bleibt Privatsache. Alles andere müssen Staat und Gesellschaft in Pluralität aushandeln. Wie auch immer begründete und z. T. exzessiv geforderte Eingriffe in die körperliche Selbstbestimmung haben da keinen Platz mehr.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Dipl.-Med Matthias Junk 06.07.201223:03 Uhr

Zurückrudern und Entschuldigung

Hiermit möchte ich mich - ein paar tiefe Atemzüge nach meiner verbalen Eruption zum Artikel von Frau Krüger "…Beschneidung hat was positives und die armen, betroffenen Gläubigen müssen jetzt vielleicht `was böseres mit den kleinen Jungen machen..." - entschuldigen, dass ich mich möglicherweise zu sehr ärgerlich und zu wenig kühl-beherrscht geäußert habe. Und dabei vielleicht Porzellan zerschlagen habe.
Ich hoffe, mir möge etwas die partielle Unhöflichkeit meiner Einlassungen nachgesehen werden, wenn bedacht wird, dass mit Contenance und politischer Korrektheit im Ausdruck, der Sache nach ärgerliche Inhalte auch mal zu sehr geglättet werden können. Steine des Anstoßes können weh tun, aber wenn man/frau dabei ein wenig in''s Straucheln kommt und die eingeschlagene Richtung kontrolliert wird, könnte auch eine nützliche Korrektur resultieren ...

Ich bleibe dabei, dass die Darstellung im o.g. Artikel zu den Konsequenzen des "Circumcisions-Urteils aus Köln" nicht protestlos hingenommen werden darf, weil der Grundtenor so rüber kommt, als sei das Urteil "falsch" und als handele es sich um eine primär skandalöse Umgangsweise mit den Traditionalisten und ihren Gewohnheiten sowie der damit abgeleiteten Befürchtung, das Urteil würde die Risiken beim Beschneiden kleiner Jungen nur vergrößern. Diese Intension empfinde ich als völlig "verzerrend": nicht der Richterspruch ist die Gefahr, sondern die Tradition des Unrechts, welches so lange schon begangen wird, und die scheinbar unbelehrbare Härte der Protagonisten, sowie deren - im Artikel geradezu als akzeptabel dargestellte - Verbohrtheit, das der uralten Praktik innewohnende eigentliche Unrecht einfach nicht wahr"nehmen" zu wollen, sondern eher den Kleinen Jungen - von den bösen Richtern getrieben - noch mehr Risiko und Schmerz antun zu "müssen", als sie bisher "pseudo-zivilisiert" immer schon getan haben. Das ist der - aus meiner Sicht - Irrsinn in dieser Thematik. Oder wie sagt man dazu zivilisierter?? Und genau dieser sollte in den freien Medien unserer säkularen Gesellschaft herausgearbeitet werden, auf dass wir - auch hier - weiser als unsere Vorfahren werden können... Die Zivilisierung von Kannibalen hatte etwas mit der Ächtung und Unterdrückung deren zentraler Traditionen zu tun. Also nein, wie übergriffig waren da die Zivilisierer! ( Ich weiß, das ist jetzt sehr taktlos. Und wieso darf es das nicht sein? AUFWACHEN!)
Wieso soll ich denn nicht Vergleiche - auch mit Bezug auf andere Länder oder Zeiten, aber der Sache nach Vergleichbarem - bringen, die sicher viele Leser nachvollziehen können, wenn ich etwas gerade eben "laut" darstellen will, was ich bei der Forderung nach korrekt geglätteter "stiller" Darstellung als verfälschend empfinde? Es gibt Herangehensweisen an manche Themen in unserer "freien" Medienlandschaft, die ich (genauso wieder wie „damals“…) als zensiert erlebe! Ausdruck und Inhalt sollten zusammenpassen dürfen. Das erleichtert die Orientierung - nicht nur im realen Gespräch, sondern auch im Geschriebenen. Natürlich lernen manche Berufsgruppen, ihre "Haltung und Sprache" den Zielsetzungen anzupassen. Selbst, wenn es dabei eigentlich nicht mehr ursprünglich und „EHR-lich" bleibt. Denn ungeschminkt würde ja manche Zielsetzung enttarnt – das wäre vor allem in der Wirtschaft oft „Geschäfts-schädigend“…
Hier aber braucht und darf es nicht um die Stabilität von traditionellen Geschäften gehen. Weder den Arbeitsalltag von chirurgisch-urologischen Kollegen betreffend, noch die politischen Geschäfts-Beziehungen mit den traditionellen „Beschneidungs-Forderern“. Sie beschneiden vor allem und immer schon zuerst Grundrecht – und erst in zweiter Hinsicht kleine Vorhäute! Darum geht es.
Meine ungeschminkte Meinungsäußerung sollte diese Wellen machen. Zumindest Kleine.
Verletzen möchte ich dabei primär nicht. (Zumindest nicht so, wie es die Beschneidung a priori in jeden Fall tut.)
Kritik jedoch, die ich für wichtig halte und die voller Em

? 06.07.201219:17 Uhr

Falscher Ton

Die Redaktion dankt ganz aufrichtig für die kritischen Kommentare und Gegenäußerungen - und bittet dringend um Contenance. Unterstellungen von Plagiatverbrechen oder Vergleiche mit Vorgängen in vergangenen Staaten und Vergleiche mit anderen Autoren völlig anderer Zusammenhänge sind nicht der angemessen Ton.

Vielen Dank.

Dipl.-Med Matthias Junk 06.07.201219:04 Uhr

wieso allgemein akzeptiert?

Wieso, liebe (weiß ich allerdings gar nicht, ist nur so ''ne Floskel)Frau Krüger, schreiben Sie , dass diese Praktik allgemein akzeptiert sei?
Es ist nur so, dass gegen jüdisches oder arabisches uraltes traditionelles Unrecht unter dem Mantel der Religionen nur deshalb nicht schon lange der Stab gebrochen wurde, weil es als "Einmischung" angesehen wurde - und von unseren Glaubensoberen - und damit mitten in unserer sekularen gesellschaftlichen Realität ! - sogar gedeckt wird, damit der freie Mensch seinen kritischen Geist und seinen klaren Blick nicht eventuell zu sehr "einübe", alle anderen Unsinnigkeiten und abwegigen religiösen Traditionen (mit Nähe zur oder gar im Zentrum von Gruppenpsychose) in den gleichen Topf zu werfen: nämlich den geschichtlichen Abfalleimer.
Machen Sie eine Straßenumfrage, und sie werden sehen, dass die meisten Leute eher meinen, dass es ihnen egal sei (wie leider auch allen Nachbarn der regelmäßig gepeinigten oder gar der zu Tode gequälten oder vernachlässigten Kinder mitten in unseren Städten und zivilisierten Menschenansammlungen) oder dass die denkenden (!!!) Leute merken, dass hier endlich mal offiziell gefragt wird, ob das in Ordnung ist... und es werden etliche meinen, dass man im Kontrast der neuen Belichtung diese Themen weiter oben in die Aufgabenliste der "Geschichts-Hygiene" schreiben sollte - und abschaffen...
Aber befürworten ?
MÄNNER SIND SCHWEINE , die ärzte - ob''s das trifft?
Schämen Sie sich für diesen vor "vorauseilendem Gehorsam" und Stiefel-Leckerischem Habitus der sogenannten medialen poklitischen Korrektness gegenüber triefendem Artikel.
Da war ja eine dumme FDJ-Versammlung im Osten kritischer und geistreicher, als Ihr Satzgemenge.
Wieso halten Sie denn nicht einmal in einem Nebengedanken für im weiteren bekämpfenswert, dass sich nun die "Unbelehrbaren" zum brutaleren Vorgehen wenden könnten oder sich zu einem Beschneidungstourismus aufmachen - und wieso wird nicht konsequenter über die zweite und dritte Schutzstufe gleich mit nachgedacht, statt politisch korrekt zu kuschen ??
Wieso habe ich von Ihnen noch keine Billigung gelesen, dass wenn hier der Gebrauch weicher Drogen verboten bleibt, doch Verständnis für unsere Jugendlichen aufzubringen sei, wenn sie - auf Gesellschafts- oder Kassenkosten - für den kleinen Freudeverbesserungstrip nach Holland in die Coffeshops fahren wollen. Tradition ist es ja schon...
Und sogar reversibel...
Medienirrsinn wie bei Eva Herrmann und Herrn Sarrazin. Da wurde auch
medienmäßig brutal abgekäult und dann die Themen dieser "heißen Eisen-Anfasser" realpolitisch und thematisch stillschweigend z.T. auf die allererste Tagesordnung gesetzt.
Das ist höchste Form des Plagiatsverbrechens. Dagegen sind die unsauberen Doktorarbeiten Kinderkram.
Wartet''s ab, in einer Generation wird man bezüglich des Beginns des internationalen Zügelns alter unmenschlicher traditionalistischer Irrsinnigkeiten sicher vom "wegweisenden deutschen Urteil aus 2012" sprechen.

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