Arbeit 4.0

Digitale Chancen für moderne Betriebsmedizin

Betriebsärzte spielen künftig eine zentrale Rolle bei der Gesunderhaltung der Belegschaften, so die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin. Denn sie stehen an der Schnittstelle von Arbeit 4.0 und Medizin 4.0.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Die Mensch-Roboter-Kollaboration prägt die Industrie 4.0. Arbeitsanforderungen ändern sich, die Betriebsmedizin muss hier nachziehen.

Die Mensch-Roboter-Kollaboration prägt die Industrie 4.0. Arbeitsanforderungen ändern sich, die Betriebsmedizin muss hier nachziehen.

© Poobest / stock.adobe.com

MÜNCHEN. Welche Wege geht die Arbeitsmedizin in puncto Mitarbeitergesundheit, wenn Unternehmen in Deutschland die vierte industrielle Revolution, die Industrie 4.0, realisieren und möglichst viele Produktions- und Arbeitsschritte auf Basis des Internets der Dinge digitalisieren?

Auf jeden Fall müssten Betriebsärzte der Arbeit 4.0 adäquat mit dem Instrumentenkasten der Medizin 4.0 begegnen und die konvergenten Strömungen managen, postuliert die Deutsche Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin (DGAUM) – mit Verweis darauf, dass die Digitalisierung auch die Medizin erreicht habe und das heutige Gesundheitssystem grundlegend verändern könnte.

„Die Arbeitswelt der Zukunft wird anders als heute sein. In den beiden Dimensionen Medizin 4.0 und Arbeit 4.0 muss sich die Arbeitsmedizin daher positionieren und wegweisende Veränderungen aktiv mitgestalten“, so die DGAUM.

Handlungsbedarf in puncto Humanisierung der Arbeitswelt im Kontext der Industrie 4.0 sah und sieht auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS). „Einerseits können körperliche Belastungen und Monotonie abnehmen, was ein wichtiger Schritt zur Humanisierung der Arbeitswelt sein dürfte.

Andererseits können ‚Change-Prozesse‘ und entgrenzte Arbeitszeiten Belastungen darstellen, die es zu bewältigen gilt“, hieß es in seinem 2015 veröffentlichten „Grünbuch Arbeiten 4.0“.

Arbeitsmedizin sichert Prävention

Inzwischen sind die Erkenntnisse in das entsprechende, im November 2016 erschienene „Weißbuch Arbeiten 4.0“ gemündet.

„In Deutschland gibt es eine lange Tradition der Humanisierung der Arbeitswelt. Eine Tätigkeit gilt als human, wenn sie die Gesundheit, das Wohlbefinden sowie die Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern nicht beeinträchtigt“, steht dort geschrieben.

Die DGAUM geht in ihrer Auseinandersetzung mit der Arbeit 4.0 auch Phänomene wie Crowdworking an.

„Wie kann die Gesundheit der Beschäftigten in Zukunft geschützt und gefördert werden, wenn in der Arbeitswelt klassische Strukturen und Teams wegfallen oder wechseln und Menschen in virtuellen Netzwerken zusammenarbeiten müssen? Wenn beispielsweise neue Phänomene wie Telearbeit oder permanente Erreichbarkeit präventivmedizinisch bewertet werden müssen, wird auch die Arbeitsmedizin kreativ werden müssen“, so die Gesellschaft.

Denn ohne Arbeitsmedizin sei betriebliche Gesundheitsförderung und Prävention nicht denkbar, ohne Gesundheitsförderung und Prävention kein gesunder Betrieb, wie die DGAUM ergänzt.

Die DGAUM präferiert für die betriebsärztliche Arbeit keineswegs ein disruptives Vorgehen, sondern den gleitenden Übergang in die Welt der Industrie 4.0. In Pilotprojekten könnten die Arbeitsmediziner die Einführung neuer Technologien am Arbeitsplatz wissenschaftlich begleiten und die Ergebnisse medizinisch beurteilen.

„Das ermöglicht eine ganzheitliche Anpassung neuer Schutzkonzepte im Unternehmen“, so die DGAUM.

Sie kann sich auch vorstellen, dass Betriebsärzte darüber hinaus Beschäftigte beim Umgang mit digitalen Medien beratend zur Seite stehen und dabei auf individuelle Erwartungen und Befürchtungen eingehen.

Dies sei umso wichtiger, als repräsentative Erhebungen zeigten, dass Beschäftigte neben vielen Chancen auch mögliche Risiken des digitalen Wandels sehen.

Chance vor allem für kleine Firmen

Durch die zunehmende Digitalisierung bestehe, wie die Arbeitsmediziner hoffen, die Chance, vor allem auch in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) Präventionsstrategien zu implementieren.

Wie der Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW) immer wieder moniert, herrsche vor allem bei den KMU ein großes arbeitsmedizinisches Präventionsdefizit vor, da diese zumeist keine eigenen betriebsmedizinischen Abteilungen vorhielten.

Konventionelle Betreuungsformen könnten mit digitalen Optionen ergänzt und die arbeitsmedizinische Versorgung in ländlichen Regionen verbessert werden, so die DGAUM – das gelte auch für die arbeitsmedizinische Betreuung von Beschäftigten an speziellen Arbeitsplätzen.

Die Grundlage habe das E-Health-Gesetz geschaffen, das die Weichen für den Einstieg in eine elektronische Patientenakte sowie sinnvolle Anwendungen wie die Telemedizin gestellt habe.

Hoffnungsträger für die Arbeitsmediziner sind vor allem telemedizinische Lösungen sowie die Fernbehandlung. Letztere bietet nach dem im Mai in Erfurt erzielten Votum des 121. Deutschen Ärztetages für die Fernbehandlung ohne vorausgehenden, zwingenden persönlichen Patientenkontakt ärztlicherseits mehr Flexibilität bei der Betreuung auch von größeren Belegschaften.

Telemedizin in der Arbeitsmedizin beinhaltet laut DGAUM beispielsweise die Erfassung der Arbeitsplatzrisiken, die Gefährdungsbeurteilung, Diagnostik und ärztliche Entscheidungsberatung. In der Arbeitsmedizin seien telemedizinische Anwendungen zwar noch relativ neu.

Ergebnisse einer Umfrage unter rund 200 Arbeitsmedizinern im vergangenen Jahr zeigten aber, dass etwa die Hälfte der Befragten plane, Telemedizin künftig zur arbeitsmedizinischen Betreuung von Betrieben einzusetzen.

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