Terminsystem

EDV lässt Praxen wachsen

Als sich die Hausarztpraxen Tölle und Woyth entschieden, Pate für ein neues EDV-Terminsystem zu stehen, ging es ihnen vor allem darum, ihre Wartezeiten zu reduzieren. Tatsächlich haben sie weit mehr als das erreicht.

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Mit der Idee, gemeinsam ein EDV-Terminsystem für Praxen zu entwickeln, stieß Martin Mahr (zw. v. l.) bei den Hausärzten Dr. Fabian Tölle (l.) und Alexander Woyth (zw. v. r.) auf offene Türen. Mittlerweile ist auch der Sekretariatsservice von Heike Kunte-Link mit an Bord.

Mit der Idee, gemeinsam ein EDV-Terminsystem für Praxen zu entwickeln, stieß Martin Mahr (zw. v. l.) bei den Hausärzten Dr. Fabian Tölle (l.) und Alexander Woyth (zw. v. r.) auf offene Türen. Mittlerweile ist auch der Sekretariatsservice von Heike Kunte-Link mit an Bord.

© Höhl

FULDA (reh). Wartezeiten von zwei, zweieinhalb Stunden? Damit mussten Patienten der Gemeinschaftspraxis Dres. Tölle im hessischen Flieden während der Stoßzeiten zwischen 9:00 und 11:30 Uhr schon mal rechnen, erinnert sich Dr. Fabian Tölle.

Seit das EDV-Terminsystem VisWa in der Praxis läuft, hat sich das geändert. "Wenn es mal eng wird - etwa am Quartalsanfang - dann beträgt die Wartezeit 30 Minuten."

Nicht nur das, die Praxis wächst, seit es ein festes Terminsystem gibt und der Arzt kann seine eigenen Arbeitszeiten viel flexibler steuern.

Die Patienten waren eine offene Sprechstunde gewöhnt

Dabei hatte Tölle die Chance, Pate bei der Entwicklung des Terminsystems zu stehen. Martin Mahr, der gemeinsam mit Dirk Strehlow und Maik Schmidt das Projekt VisWa vor über vier Jahren ins Leben rief, kennt Tölle noch aus seiner Assistenzarzt-Zeit in Hünfeld, als Mahr als Rettungsassistent tätig war.

Und auch Strehlow und Schmidt bringen Erfahrung aus dem Rettungsdienst bzw. der Krankenpflege mit.

Damit war zumindest sicher, dass die drei Jungunternehmer, die sich unter dem Namen Mahr & Partner zusammengeschlossen haben, den Alltag in einer Arztpraxis kennen und die Wünsche der Praxis verstehen.

Dennoch hat Fabian Tölle, als er 2008 als hausärztlicher Internist in die Praxis seines Vaters mit einstieg - die immerhin schon seit 110 Jahren in Flieden bestehe, wie er nicht ohne Stolz berichtet - erst einmal in die Ausstattung investiert. Also in Praxis-Rechner und Diagnostik.

Da dem jungen Arzt vor allem eine gute Diagnostik wichtig ist, hat er dann aber überlegt, wie er sich die dafür nötigen Zeitfenster schaffen und ein Terminsystem einführen kann. "Wir hatten eine komplett offene Sprechstunde."

Da kam die Idee von Mahr und seinen Kollegen, gemeinsam ein EDV-Terminsystem auf den Weg zu bringen, nicht ungelegen. "Wir haben im Prinzip erst mal mit der Stoppuhr geschaut, wie lange der Doktor für ein normales Patientengespräch braucht", berichtet Tölle.

Für einen normalen Termin hätten sie zehn Minuten ermittelt - plus einen zehnminütigen Zeitpuffer je Stunde. Auch die anderen Termine hat Tölle für sich ganz klar definiert.

Entspannte Praxisabläufe

So gibt es etwa Kurztermine, die nur fünf Minuten dauern, Zeitfenster für Checkups und Vorsorgeuntersuchungen und feste Zeiten für Ultraschalluntersuchungen. Außerdem hätte die Praxis für sich festgelegt, was Notfallkriterien sind - damit klar ist, wann ein Patient doch "dazwischen geschoben wird".

"Wir haben über ein, zwei Quartale die Patienten informiert, dass wir umstellen. Und es auch konsequent durchgezogen, wenn ein Patient einfach reingeschneit ist", so Tölle.

Dann werde den Patienten heute noch klipp und klar erklärt, dass sie mit Wartezeiten rechnen müssten. Außer es handele sich um einen Notfall oder Kinder.

Die Umstellungsschwierigkeiten hielten sich laut Tölle aber in Grenzen. Obwohl sowohl die Mitarbeiter als auch der Seniorchef sehr skeptisch waren. Der Grund: Der Versuch, ein Terminsystem einzuführen, war schon einmal an anhaltend hohen Wartezeiten gescheitert.

Dieses Mal lief es anders: Die Praxisabläufe hätten sich entspannt, sagt Tölle. Freitagnachmittags hat der Arzt nun Zeit für eine reine Privatsprechstunde. Und die Praxis wächst, weil sich die kürzeren Wartezeiten rumsprechen.

Um insgesamt 60 Prozent habe sich die Patientenzahl seither erhöht. Und das Wachstum geht weiter. "Wir haben jedes Quartal rund zehn Prozent Steigerung im Vergleich zum Vorjahresquartal."

Und das, obwohl im näheren Umfeld keine Praxis zugemacht habe. Interessant ist dabei, dass der Anteil der Privatpatienten um über 50 Prozent angestiegen ist. Auch die Altersstruktur der Patienten habe sich verändert, es gebe gerade im Bereich der Jüngeren unter 45 Jahren und bei den Kindern Zuwachs.

Aber auch die älteren Patienten würden die festen Termine und geringen Wartezeiten schätzen, berichtet Tölle.

Die Arbeitszeiten lassen sich jetzt flexibler planen

Dass VisWa ein System ist, das von der Praxis lernt, zeigen die einzelnen Features des Programms: "Für einzelne Patienten kann von vornherein mehr Zeit eingeplant werden", so Tölle.

Zum Beispiel wenn ein Patient einen erhöhten Gesprächsbedarf angibt. Das ließe sich auch auf einzelne Leistungen begrenzen. Außerdem sucht das System automatisch nach passenden Termine, dass seien Termine, die am Anfang oder angrenzend an einen anderen Termin liegen, erklärt Mahr. So ließen sich Leerzeiten vermeiden.

Tölle wird sein zweites Wartezimmer nun halbieren und einen vierten Behandlungsraum schaffen. Denn der Praxisgemeinschaft gehört mittlerweile auch seine Schwester an und die Praxis suche dringend noch einen Kollegen, den sie anstellen möchte.

Dabei erlaube das Terminsystem flexible Arbeitszeiten für die Ärzte. "Meine Schwester ist mittwochs zum Beispiel gar nicht in der Praxis."

Was die Praxis noch etablieren will, ist die Online-Terminvergabe. Diese nutzt der Allgemeinmediziner Alexander Woyth bereits. Seit einem Jahr ist er auf dem Fuldaer Aschenberg niedergelassen.

Um sich von der ärztlichen Konkurrenz in der Stadt abzuheben, legte Woyth nicht nur auf ein schönes Praxisambiente wert, sondern auch auf geringe Wartezeiten und einen guten Terminservice.

Dabei musste der Arzt auch erst einmal gegen die Bedenken seiner drei Praxismitarbeiterinnen, von denen zwei schon bei seinem Vorgänger angestellt waren, ankämpfen.

"Wir haben am Aschenberg viele sehr alte Patienten und viele, die nicht gut deutsch sprechen", so Woyth. Die Sorge seiner Mitarbeiterinnen war: "Der Aschenberg kommt einfach und lässt sich nicht wegschicken."

Automatische Patientendaten dank Schnittstelle

Aber die Umstellung vom handschriftlichen Terminbuch auf ein EDV- und auch noch Online-System hat funktioniert: "Alles läuft jetzt viel geordneter ab", so Woyth.

Früher hätte die Praxis eine Art Wartehalle gehabt, nun gibt es ein nettes Zehn-Quadratmeter-Wartezimmer, in dem sich die Patienten aber gar nicht so lange aufhalten. 30 gebuchte Online-Termine hat die Praxis derzeit pro Quartal, aber es werde langsam mehr.

"Wir machen die Patienten mit Flyern auf die Online-Terminvergabe aufmerksam", sagt Woyth. Auf der Rückseite sei gleich eine Einverständniserklärung für das Erfassen der E-Mail-Adresse und für weitere Infos der Praxis mit aufgedruckt.

Denn für die Online-Terminvergabe mit VisWa müssen sich die Patienten in der Praxis anmelden und dort von den Medizinischen Fachangestellten freischalten lassen. "Das begrenzt die Missbrauchsgefahr", sagt Mahr.

Und: Die Praxis legt auch fest, welche Terminarten und wie viele Termine pro Quartal der Patient online buchen darf. Die Infos zum Patienten - also Name, Geburtsdatum, Anschrift - findet VisWa dank GDT-Schnittstelle zur Praxis-EDV automatisch.

Außerdem erhält jeder Patient - selbst wenn er den Termin telefonisch oder in der Praxis ausmacht, aber seine E-Mail hinterlegt ist - eine Terminbestätigung per E-Mail.

Per VPN-Leitung wird ein Sekretariat zugeschaltet

In der Praxis Woyth werden pro Quartal 1100 bis 1200 Scheine bearbeitet - zumindest gefühlt hat das Terminsystem mit Online-Terminvergabe die Patientenzahl steigen lassen, berichtet Woyth. Harte Zahlen kann der Hausarzt allerdings noch nicht liefern.

Einen Zusatzservice, den die Fuldaer Unternehmer bieten, ist die Direktanbindung des Terminsystems an einen Sekretariatsservice. Dafür haben sich die Drei Heike Kunte-Link mit ihrem HKL Sekretariats-Service mit an Bord geholt.

"Wir haben zwei Mitarbeiterinnen - alles Sekretärinnen - und können noch eine weitere Kollegin zuschalten", sagt Kunte-Link. Die Mitarbeiter von HKL erhalten per VPN-Leitung (Virtual Private Network) einen Direktzugriff auf das Terminsystem des Arztes und können etwa den Überlauf aus der Praxis in Stoßzeiten übernehmen.

Über ihren eigenen VisWa-Klient können sie zudem schnell zwischen verschiedenen Praxen umschalten. Bei spezifischen Anfragen von Patienten oder dringenden Terminanfragen würden sie die Patienten aber an die Direktdurchwahl der Praxis verweisen.

Abgerechnet würde pro Anruf zuzüglich einer Tagespauschale. Was das Terminsystem noch kann? Es lassen sich Analysen für die Praxis fahren. Mahr demonstriert, wie sich nach Behandlungsart die Termine der Vergangenheit und auch der Zukunft auflisten lassen.

Das kann helfen herauszufinden, wie stark Geräte in der Zukunft ausgelastet sind. Ebenfalls genau nachvollziehbar ist, wie viele Termine online oder über den Sekretariatsservice gebucht wurden.

Bei IGeL-Terminen wird mit der Bestätigungs-Mail direkt auch der Preis für die Behandlung mitgeteilt. "Künftig soll hier auch eine Beschreibung der Leistung im Online-System hinterlegt werden", sagt Mahr.

Und: Das System lässt sich auch für die Terminvergabe bei Fachärzten nutzen, sofern diese dem Hausarzt einen Zugang zu ihrem System gewähren. Auch hier können die Ärzte feste Zeitfenster für die Buchungen anderer Praxen vorgeben.

Das Terminsystem VisWa

Das System: Das Terminsystem VisWa von Mahr & Partner bietet ein EDV-Terminsystem samt Online-Terminvergabe und wird individuell auf die Praxisbedürfnisse und -terminarten angepasst. Daher gehört zum Paketumfang auch eine Einstiegsberatung. Auch für die Online-Terminvergabe lassen sich praxisspezifische Vergabekriterien festlegen.

VisWa läuft unabhängig von der Praxis-EDV, kann dank GDT-Schnittstelle aber mit jeder Praxissoftware die Patientenstammdaten austauschen. Das System und auch alle Daten liegen auf dem Praxisserver, für die Online-Kommunikation stellt VisWa eine gesicherte Online-Plattform zur Verfügung.

Features: Jeder Patient wird durchs Praxispersonal für den Service freigeschaltet, integrierte Ressourcenplanung (personell und sachlich), Erkennung des Versicherungsstatus der Patienten bei der Terminvergabe, automatische Benachrichtigung der Patienten über Terminverschiebungen, voll automatisierter Recall mit Reminderfunktion, Wartezimmermanagement, Überweisungs- und Rezeptbestellung, Einbindung des Online-Terminkalenders in die Praxiswebsite.

Kosten: Für eine Praxis mit zwei bis fünf Behandlern fällt für die IT eine Pauschale von 1500 Euro und für die zugehörige Beratung von 1000 Euro an. Für Einzelbehandler ist es günstiger. Zusätzlich kommen monatlich 15 Euro für die Online-Applikation und 25 Euro für den Support dazu, der nach einem Jahr kündbar ist.

www.viswa.de

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