Handhygiene - ein Buch mit sieben Siegeln?

Nosokomiale Infektionen sind nicht nur ein Problem von Kliniken, sondern auch von Arztpraxen - das zeigte sich auf dem "Tag der Händehygiene" in München. Aber ist wirklich nach jedem Patientenkontakt die Händedesinfektion nötig?

Von Jürgen Stoschek Veröffentlicht:
Das Interesse war groß: Ärzte und Praxismitarbeiterinnen auf dem "Tag der Händehygiene" der KV Bayerns.

Das Interesse war groß: Ärzte und Praxismitarbeiterinnen auf dem "Tag der Händehygiene" der KV Bayerns.

© Stoschek

MÜNCHEN. Die Hände sind bei medizinischen Tätigkeiten in Praxis und Klinik die häufigsten Überträger von Infektionserregern.

Obwohl diese Erkenntnis seit Ignaz Semmelweis, also seit Mitte des 19. Jahrhunderts, allgemein bekannt sei, gebe es heute im Prinzip "immer noch die gleichen Probleme", berichtete Babett Hartung vom Kompetenzzentrum Hygiene und Medizinprodukte der KV Baden-Württemberg in München.

Die Gründe für mangelnde Händehygiene in den Praxen seien simpel, meinte Hartung beim "Tag der Händehygiene" der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB). Zum Teil fehlten in den Praxen schlicht die technischen Voraussetzungen für entsprechende Hygienemaßnahmen.

Oftmals würden auch mangelnde Schulung und Unkenntnis, Zeitdruck und Zeitmangel genannt. Das Problem, so Hartung: Der Effekt der Händedesinfektion sei nicht unmittelbar sichtbar und die Folgen einer unzureichenden Händehygiene seien nicht direkt zu erkennen.

Alle Einrichtungen betroffen

Experten gehen nach Angaben der "Aktion Saubere Hände" davon aus, dass jedes Jahr in Deutschland etwa 500.000 nosokomiale Krankenhausinfektionen auftreten.

Für den nicht-stationären Bereich gebe es allerdings keine verlässlichen Daten, räumte Dr. Christiane Reichardt von der Charité in Berlin und Koordinatorin der "Aktion Saubere Hände" ein.

Man müsse jedoch davon ausgehen, dass das Risiko vor allem bei invasiven Maßnahmen für ambulante Patienten vergleichbar ist wie bei stationärer Behandlung. Im Übrigen gehe es nicht nur um MRSA, sondern auch um viele andere Erreger, erklärte Reichardt. Betroffen seien letztendlich alle Einrichtungen des Gesundheitssystems.

Aus ihrer Arbeit in der "Aktion Saubere Hände", die sich seit 2008 für eine Verbesserung der Krankenhaushygiene einsetzt, wisse sie, wie schwierig es sei, das theoretische Grundgerüst der Hygiene in der Medizin in die tägliche Praxis zu übertragen, erklärte Reichardt. Um so wichtiger sei es, einfache Regeln zu haben.

Daher habe die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im März ihre Richtlinien für die Händedesinfektion an die Praxis im ambulanten niedergelassenen Bereich sowie in Alten- und Pflegeheimen angepasst. Demnach gelten in ambulanten Einrichtungen, die invasiv tätig sind, die gleichen Regeln wie im stationären Bereich.

Klare Anweisungen nötig

Für nicht-invasive Praxen wie zum Beispiel Hausarztpraxen sollte nach den WHO-Richtlinien eine Händedesinfektion vor und nach einem Patientenkontakt bzw. zwischen zwei Patienten, vor aspetischen Tätigkeiten wie zum Beispiel einer Injektion und nach Kontakt mit potenziell infektiösem Material erfolgen, erläuterte Reichardt.

Soziale Kontakte im Sprechstundenalltag seien nicht davon betroffen. Es gehe nur um medizinische Kontakte, die in die Intimsphäre des Patienten eingreifen.

Damit die Regeln für die Händehygiene auch tatsächlich umgesetzt werden können, müssten alle Arbeitsplätze und auch die Toiletten mit Handspendern ausgestattet sein, erklärte Dr. Berndt Birkner, niedergelassener Gastroenterologe in München.

"Die Handdesinfektion muss dort stattfinden, wo gearbeitet wird", sagte, Birkner. Klare Arbeitsanweisungen, ein Hygieneplan und eine Hygienekontrolle seien notwendig, um Patienten und Praxismitarbeiter gleichermaßen zu schützen.

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