"Ich arbeite gerne als Hausarzt auf dem Land"

Mit flexiblen Sprechstunden, Teilzeitarbeit und Delegation Ärzte aufs Land locken - das ist das Konzept eines Hausarztes aus Nordhessen.

Kerstin MitternachtVon Kerstin Mitternacht Veröffentlicht:

GROßALMERODE. Dr. Jan Purr, Allgemeinmediziner aus Großalmerode, hat mit Kollegen das "Gesundheitszentrum Gelstertal" gegründet, um Versorgungsengpässe auf dem Land vorzubeugen, die niedergelassenen Ärzte zu entlasten und die hausärztliche Versorgung, auch unter wirtschaftlichen Aspekten, sicherzustellen.

Gegründet hat Purr das Gesundheitszentrum aus einer Gemeinschaftspraxis heraus. "Die Arbeit wurde immer mehr, und da musste ich einen Weg finden, wie ich trotz der Praxis genügend Zeit für die Familie finde", sagt Purr. Das Gesundheitszentrum Gelstertal ist eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft mit zurzeit zwei Standorten: einem Hauptstandort in Großalmerode und einem Nebenstandort im etwa zehn Kilometer entfernten Laudenbach. Ein dritter Standort befinde sich im Aufbau.

Investitionen werden auf mehrere Schultern verteilt

Der Allgemeinmediziner ist kein Einzelkämpfer. Das Gesundheitszentrum führt er mit drei gleichberechtigten Partnerärzten, die alle aus der Region stammen und sich schon vor dem Zusammenschluss, aus Notdiensten und Qualitätszirkeln, kannten. "Organisiert sind wir als Partnerschaftsgesellschaft", erklärt Purr. Alle Geschäfte und Abrechnungen laufen über ein gemeinsames Konto.

Die Vorteile der Kooperation sieht Purr vor allem in wirtschaftlichen Vorteilen: Das Investitionsvolumen wird auf mehrere Schultern verteilt, und der Praxiswert der Partner bleibt durch ihre Gesellschafteranteile erhalten. Ein weiterer Vorteil der Kooperation ist, dass bei einem medizinischen Problem schnell eine Zweitmeinung eingeholt werden kann und durch die Zusammenarbeit mehr Zeit für die Familie bleibt. Realisiert wird die Freizeit, indem es flexible Sprechzeiten gibt, die Ärzte Teilzeit arbeiten und füreinander einspringen können.

Insgesamt arbeiten sechs Ärzte an den zwei Standorten. Zwei der Ärzte und 14 Arzthelferinnen sind angestellt. Die beiden angestellten Ärzte sind zugezogen, waren aber auch vorher schon in der nordhessischen Region tätig. "Die Mehrheit arbeitet bei uns Teilzeit", erzählt Purr. Besetzt sind die zwei Standorte jeweils mit drei Ärzten. Sobald einer ausfällt, wird rotiert.

Im Gesundheitszentrum Gelstertal wird die gesamte Spanne der ambulanten Behandlungen angeboten - von der Kinderversorgung bis hin zur Geriatrie und Sterbebegleitung. An den Nebenstandorten wird nur die Basisversorgung vorgehalten. Hier werden die medizinischen Grundbedürfnisse gestillt. Patienten die eine intensive Behandlung benötigen werden an den Hauptstandort verwiesen.

Eine IT-Vernetzung über eine gesicherte Internetleitung war daher von Anfang an wichtig: "Alle Patientendaten müssen an jedem Standort zur Verfügung stehen", sagt Purr.

Der Hauptstandort ist technisch aufgerüstet und leistungsfähiger. Dort wird auch einmal die Woche eine kardiologische Sprechstunde angeboten, als integrierte Zweigpraxis einer großen Kardiologenpraxis aus Kassel. Dabei nutzt die Kardiologenpraxis die Räumlichkeiten des Gesundheitszentrums und zahlt dafür eine Nutzungsgebühr. "Das Konzept der Facharztsprechstunden wollen wir in Zukunft noch weiter ausbauen", sagt der Landarzt.

Für Purr und seine Kollegen ist auch die Delegation an qualifizierte Arzthelferinnen wichtig. "Die mobile Praxisassistentin ist fester Bestandteil unserer Arbeitsstruktur", berichtet Purr, "auch wenn sie sich wirtschaftlich gesehen nicht unbedingt rentieren." Die Arzthelferinnen machen Hausbesuche bei nicht mehr mobilen oder chronisch kranken Patienten. Sie kümmern sich zum Beispiel um die Medikamenteneinnahme und machen sich vor Ort ein Bild über den Zustand der Patienten. Wenn nötig können sie einen Arzt vorbeischicken. "Für uns sind die Helferinnen der verlängerte ärztliche Arm", sagt der Allgemeinmediziner. "Ein nächster Schritt soll in Zukunft die Anbindung an den Pflegedienst werden."

Durch den Zusammenschluss hat sich die Wirtschaftlichkeit der Praxis verbessert: Die Geschäftsführung ist unter einem Dach, es gibt einen gemeinsamen Einkauf und eine gemeinsame Buchführung, außerdem kann ein größeres Leistungsspektrum angeboten werden.

Für IGeL gibt es eigene Räume in der Praxis

Auch IGeL-Angebote werden im Gesundheitszentrum immer wichtiger. "Zurzeit machen IGeL zehn Prozent des Umsatzes aus", so Purr. Angeboten werden in Großalmerode unter anderem Akupunktur, Ernährungsmedizin, Ozontherapie und kleine ästhetische Lasermedizin, wie Besenreiserentfernung, Faltenglättung und Laserepilation. Für IGeL gibt es sogar eigene Räume in der Praxis: "Ziel dabei ist es, die Patienten ein wenig aus dem Trubel der normalen Sprechstunde herauszunehmen", erläutert Purr. Privatpatienten gibt es dagegen im Werra-Meißner-Kreis kaum. "Mit vier Prozent liegen wir weit unter dem Durchschnitt in Hessen von 15 Prozent", sagt Purr. Konkurrenzprobleme mit anderen Praxen der Regionen hat das Gesundheitszentrum keine. Die Gründung wurde offen kommuniziert. Im örtlichen Ärzteverein haben sich die Kollegen aus der Umgebung zudem näher kennengelernt und darauf geachtet, dass sich niemand in seinem Praxisgeschäft bedroht fühlt.

Purr ist gerne Landarzt. "Ich habe zwar lange darüber nachgedacht, ob ich mich wirklich auf dem Land niederlassen soll, aber ich bin hier aufgewachsen und mir macht die Arbeit viel Freude." Er hofft, dass sein Konzept noch mehr Ärzte aufs Land lockt: "Zur Zeit suchen wir einen weiteren Facharzt für Allgemeinmedizin/Innere Medizin und einen Weiterbildungsassistenten."

Die Ärzte und das Team: Dr. Jan Purr, Dr. Herbert Baake, Dr. Robert Tanu, Dr. Nicole Baake, Wolf- Hasso Kell, Helene Rack und 14 Mitarbeiterinnen.

Einzugsgebiet: 20 000 Menschen, zwei Standorte.

Behandlungsfälle: 5500 Behandlungsfälle im Quartal bei 18 000 Patientenkontakten im Quartal.

www.gelstertal.de

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