Folge 9

Praxiswert-Ermittlung gleicht einem Puzzle

Akribie ist angesagt, wenn es im Scheidungsprozess um den Praxiswert geht. Ein Mehr an Aufwand kann später für den Praxisinhaber deutlich geringere Kosten bedeuten.

Von Rudolf Haibach Veröffentlicht:
Greifen die Einzelteile ineinander, ergibt sich für den Praxiswert im Zugewinnausgleich ein klares Bild.

Greifen die Einzelteile ineinander, ergibt sich für den Praxiswert im Zugewinnausgleich ein klares Bild.

© Filip F. / PantherMedia

Auch die Praxis gehört mit ins Vermögen für den Zugewinnausgleich. Und sie stellt wohl die schwierigste Vermögensposition zwischen den Ehegatten dar - denn ihren Wert zu bestimmen, ist alles andere als einfach. Und auch die Rechtsprechung hilft hier nur bedingt weiter: So fordert der Bundesgerichtshof (BGH), dass das "im Einzelfall geeignet erscheinende Verfahren auszuwählen ist"(BGH 13.03.1978, 01.07.1982). Dabei haben sich sogenannte Kombinationsverfahren durchgesetzt, mit denen Goodwill (ideeller Wert) und Sachwert der Praxis getrennt festgestellt werden.

Entscheidend ist: Die Praxis soll weitergeführt werden

Im Scheidungsverfahren gilt es zunächst jedoch eines zu beachten: Mit dem "wahren, wirklichen Wert" - auch als Zeitwert bezeichnet - kommen Praxisinhaber nicht weit. Denn in der Regel soll die Arztpraxis ja weitergeführt werden. Es macht also keinen Sinn, die reinen Buchwerte des Steuerberaters anzusetzen. Deshalb spielt im Scheidungsverfahren der Funktionalwert bei der Ermittlung des Sachwertes eine größere Rolle. Dieser bezieht nämlich die Funktionalität der Sachgüter einer Praxis mit ein. Das heißt, er berücksichtigt bei der Wertermittlung den technischen Stand, Ersatzinvestitionen, Wartungen, gesetzliche Auflagen etc.

Selbst berechnen können Praxischefs diese Werte nicht. Hier empfiehlt es sich einen Sachverständigen hinzuziehen, der die Regelwerke und das Zusammenspiel von einsetzbaren Geräten innerhalb einer jeden Fachrichtung kennt. Aber Praxischefs sollten wissen, dass es auch bei der Berechnung des Sachwertes mehr als nur der Daten aus der steuerlichen Vermögensaufstellung bedarf.

Eine wichtige Frage bleibt aber noch immer offen: Wie wird der Goodwill ermittelt? Schließlich gehört dieser - und das sieht auch der Gesetzgeber so - ja mit zum Gesamtwert der Praxis. Dabei gilt es, Verfahren anzuwenden, die sowohl die fachspezifischen Besonderheiten wie auch alle den Wert beeinflussenden Faktoren erfassen und dann berechnungsfähig machen.

Es versteht sich von selbst, dass eine radiologische Einrichtung völlig anders berechnet werden muss wie eine Allgemeinarztpraxis. Nicht nur die Werte aus dem Sachvermögen klaffen bei beiden Fachrichtungen auseinander, sondern auch die Umsatzrenditen. Die Umsatzrendite einer Allgemeinarztpraxis liegt zumeist weit über der einer Radiologie, beim Sachvermögen ist die Sache umgekehrt.

Der reine Ertragswert hilft nicht weiter

Aus diesem Grund scheidet auch das aus der Industrie bekannte reine Ertragswertverfahren zur Bestimmung des Goodwills eher aus. Denn das Verfahren differenziert zu wenig und würde zu überhöhten Werten führen - im Scheidungsverfahren ein teurer Nachteil für Praxisinhaber. Das Ertragswertverfahren bei der Ermittlung des Praxiswertes sollte aber ohnehin nicht nur daraus bestehen, den Mittelwert des Praxisgewinns aus den letzten drei Jahren zu nehmen und auf das aktuelle Datum bzw. den aktuellen Wert abzuzinsen. Es sollten immer kalkulatorischer Arztlohn, kalkulatorische Zinsen und Abschreibungen sowie das Unternehmerrisiko eingerechnet werden.

Doch den Goodwill einer Praxis macht weit mehr aus. In der Berechnung enthalten sein sollten deshalb unter anderen:

  • Die Angebotspalette der Praxis (Hier spielt auch die Frage nach dem individuellen Arztlohn gemäß BGH-Urteil aus dem Februar 2008 eine Rolle. In Kombinationsverfahren werden dazu der "Übertragbare Umsatz/Kosten/Gewinn" berechnet und so die gesetzlichen Auflagen erfüllt.)
  • Der Anteil an Kassen- und Privatumsätzen
  • Die Höhe der RLV und der nicht budgetierten Leistungen
  • Die Mitbewerbersituation vor Ort
  • (Arztdichte, Veränderungen im Umfeld von MVZ etc.)
  • Beleg- oder konsiliarärztliche Tätigkeiten
  • Der Einfluss von Krankenhäusern;
  • Das Einzugsgebiet und teilmitbewerbende Praxen (Chirurgie, Orthopädie etc.)
  • Die Lage der Praxis
  • und ihre Anbindung (Bus, Bahn, Parken)
  • Die Praxisräume (Zuschnitt, Ergonomie, Zustand)
  • Die Personalsituation (Qualifikation, Einsatzmöglichkeiten etc.)

Sind Goodwill und Sachwert der Praxis ermittelt, sind nach BGH-Urteil die "latenten Steuerlasten" in Abzug zu bringen. Eine Verkaufsabsicht spielt dabei keine Rolle. Da es sich um einen Ausgleich unter den Zugewinnpartnern handelt, hat der Gesetzgeber bestimmt, dass jene Steuerlast aus einem späteren Verkauf fiktiv zum Stichtag berechnet werden muss, weil sonst der Ausgleichende um den Betrag benachteiligt würde, den er bei einem späteren Verkauf wegen der dann fälligen Steuerlast nicht vereinnahmen würde.

Außerdem sind zum jeweiligen Stichtag weitere Berechnungen durchzuführen. Denn die Praxis hat weitere Vermögenswerte, die beim Zugewinnausgleich eine Rolle spielen bzw. den Praxiswert erhöhen oder mindern. So sollten noch ausstehende Forderungen, aber ebenso Verbindlichkeiten wie Darlehen in die Rechnung einbezogen werden.

Substanzwert: Wert der materiellen Sachgegenstände (siehe auch Funktionalwert)

Funktionalwert: Erweiterte Begriffsbestimmung des Zeitwertes, bei dem auf den Wert an einem Stichtag unter Berücksichtigung der Funktionalität des jeweiligen Gegenstandes abgestellt wird.

Ideeller Wert: Der Wert, der alle Leistungen, Beziehungen, Möglichkeiten der Gewinnerzielung und Strukturen einer Praxis erfasst. Auch unter dem Begriff "Goodwill" bekannt.

Goodwill: siehe "Ideeller Wert"

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