Prozess um Brechmittel-Tod: Alles nochmal von vorn

Seit Jahren wird über die strafrechtliche Verantwortung für den qualvollen Tod eines Mannes nach dem Einsatz von Brechmitteln in Bremen gestritten. Eine Ende ist nicht in Sicht. Der BGH hat den Freispruch für den zuständigen Rechtsmediziner jetzt erneut kassiert.

Von Eckhard Stengel Veröffentlicht:
Der 5. BGH-Strafsenat mit dem Vorsitzenden Basdorf (Mitte) am Mittwoch in Leipzig.

Der 5. BGH-Strafsenat mit dem Vorsitzenden Basdorf (Mitte) am Mittwoch in Leipzig.

© Jan Woitas / dpa

LEIPZIG. Das Strafverfahren um den tödlichen Brechmitteleinsatz gegen einen Bremer Kokain-Kleinhändler geht in die mittlerweile fünfte Runde: Der Bundesgerichtshof (BGH) in Leipzig hat den Fall am Mittwoch erneut ans Bremer Landgericht zurückverwiesen.

Die dortigen Richter hatten den verantwortlichen Polizeiauftragsarzt bereits zweimal mit unterschiedlichen Begründungen vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen.

Der BGH als Revisionsinstanz hob nach dem ersten Freispruch jetzt auch den zweiten wieder auf, so dass der Fall noch einmal aufgerollt werden muss.

Fünf verschluckte Drogenbehälter mit 0,5 Gramm Kokain

Ende 2004 hatte der damals 41-jährige Gerichtsmediziner im Polizeiauftrag einem Dealer Brechsirup und literweise Wasser mit einem Nasen-Magen-Schlauch eingeflößt.

Dabei fiel der gefesselte 35-Jährige ins Koma; elf Tage später, Anfang 2005, war er tot. Bei der Aktion wurden fünf verschluckte Drogenbehälter mit insgesamt 0,5 Gramm Kokaingemisch als Beweismittel sichergestellt.

In einem ersten Prozess sprach das Landgericht Bremen 2008 den Arzt vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei, denn er habe erstmals einen solchen Einsatz vorgenommen und sei überfordert gewesen.

Der BGH hob das Urteil 2010 auf: Der unerfahrene Gerichtsmediziner hätte den Einsatz gar nicht erst übernehmen dürfen. Deshalb verwiesen die Bundesrichter den Fall zur Neuverhandlung an eine andere Bremer Strafkammer zurück.

Aber auch dieses Gericht entschied im Juni 2011, dass dem Arzt nicht mit letzter Sicherheit eine Schuld nachzuweisen sei. Eine mögliche Todesursache sei ein erst nachträglich entdeckter Herzfehler in Kombination mit dem Stress beim Brechmitteleinsatz.

Jedenfalls habe der Arzt die tödliche Gefahr nicht vorhersehen können. Seinerzeit seien Brechmitteleinsätze als ungefährlich eingestuft worden, meinte der Kammervorsitzende.

Richter: Brechmitteleinsatz menschenunwürdig

Gegen diesen neuerlichen Freispruch legte die afrikanische Mutter des Getöteten als Nebenklägerin wiederum Revision ein. Damit hatte sie am Mittwoch erneut Erfolg. Nach Ansicht des BGH hätte der heute 48-jährige Arzt damals den Tod vorhersehen können.

Während des Einsatzes habe sich der Zustand des 35-Jährigen so verschlechtert, dass der Mediziner sogar einen Notarzt gerufen habe. Dennoch habe er die Brechmittelvergabe fortgesetzt und damit den Tod mitverursacht.

Laut Agenturberichten meinte der Vorsitzende Richter Clemens Basdorf, nach heutigen Maßstäben sei der Brechmitteleinsatz menschenunwürdig und "ganz und gar unerträglich gelaufen".

Er kritisierte auch das Bremer Landgericht: Der Sachverhalt hätte eindeutig einen Schuldspruch gerechtfertigt, meinte der Vorsitzende des 5. Strafsenats.

Laut dem ersten BGH-Urteil von 2010 hatten auch andere Beteiligte "todesursächliche Pflichtverletzungen" begangen, nämlich ein hinzugezogener Notarzt und der Leiter jenes privatisierten Beweismittelsicherungsdienstes, bei dem der Angeklagte angestellt war.

Die Staatsanwaltschaft sah jedoch keine Handhabe, um auch diese Personen anzuklagen.

1600 Brechmitteleinsätze in Bremen, Berlin, Hamburg und Frankfurt

Nach dem Todesfall stoppte die Hansestadt 2005 den Zwangseinsatz von Brechmitteln. Wenn Verdächtige den Sirup nicht freiwillig schlucken, warten die Ermittler nunmehr auf das Ausscheiden verschluckter Drogenkügelchen in einer speziellen Gefängnistoilette.

Andere Bundesländer beendeten ihre Zwangseinsätze erst 2006, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Brechmittelzwang als "unmenschlich und erniedrigend" eingestuft hatte.

Bis dahin gab es nach Berechnungen des Bremer Landgerichts allein in Bremen, Berlin, Hamburg und Frankfurt mindestens 1600 Brechmitteleinsätze, davon maximal fünf Prozent mit Zwangsvergabe per Magensonde.

Eine unbekannte Zahl weiterer Einsätze anderenorts kam hinzu. Der Bremer Todesfall ist bereits der zweite: Ende 2001 starb in Hamburg ein 19-Jähriger nach einem Brechmitteleinsatz, ohne dass die Verantwortlichen dafür bestraft worden wären.

Schlagworte:
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Interview

Wie Ärzte in Stresssituationen richtig reagieren können

Das könnte Sie auch interessieren
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Therapie

Die Chancen der Vitamin-C-Hochdosis-Therapie nutzen

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Medizinischer Infusions-Tropf mit buntem Hintergrund

© Trsakaoe / stock.adobe.com

Hochdosis-Therapie

Vitamin C bei Infektionen und Long-COVID

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Maximale Vitamin-C-Blutspiegel nach oraler (blau) und parenteraler (orange) Tagesdosis-Gabe.

© Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH

Vitamin-C-Infusion

Parenterale Gabe erzielt hohe Plasmakonzentrationen an Vitamin C

Anzeige | Pascoe pharmazeutische Präparate GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Abb. 1: FIB-4 1,3: numerische 26%ige Risikoreduktion der 3-Punkt-MACE durch Semaglutid 2,4mg

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [17]

Kardiovaskuläre, renale und hepatische Komorbiditäten

Therapie der Adipositas – mehr als Gewichtsabnahme

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novo Nordisk Pharma GmbH, Mainz
SCD-PROTECT-Studie-- Frühe Phase nach Diagnose einer Herzinsuffizienz – deutlich höheres Risiko für den plötzlichen Herztod als in der chronischen Phase.

© Zoll CMS

SCD-Schutz in früher HF-Phase

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: ZOLL CMS GmbH, Köln
Abb. 2: Schneller Wirkeintritt von Naldemedin im Vergleich zu Placebo in den Studien COMPOSE-1 und COMPOSE-2

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [15]

Opioidinduzierte Obstipation

Selektive Hemmung von Darm-Opioidrezeptoren mit PAMORA

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Viatris-Gruppe Deutschland (Mylan Germany GmbH), Bad Homburg v. d. Höhe
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Interview

Wie Ärzte in Stresssituationen richtig reagieren können

Krebs in Deutschland

Bei zwei Krebsarten nahm die Sterblichkeit am stärksten ab

Verschmutzte Luft

Was Reinigungsmittel in der Lunge anrichten können

Lesetipps
Serotoninkristalle, die ein Muster ergeben.

© Michael W. Davidson / Science Photo Library

Für wen passt was?

Therapie mit Antidepressiva: Auf die Nebenwirkungen kommt es an