Nepper, Schlepper, Bauernfänger

Prozess um Online-Betrug: Wie ein Göttinger Arzt fast 250.000 Euro verlor

In Göttingen nimmt der Prozess um einen millionenschweren Anlagebetrug Fahrt auf. Einer der Geschädigten: Ein heute 81-jähriger Allgemeinmediziner.

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Beim Prozessauftakt Mitte September. Zwei der vier Angeklagten sitzen im Landgericht Göttingen auf der Anklagebank. Den Beschuldigten im Alter zwischen 30 und 53 Jahren wird vorgeworfen, mindestens zwischen August 2017 und Oktober 2021 auf betrügerischen Online-Plattformen Anleger um einen zweistelligen Millionenbetrag geprellt zu haben.

Beim Prozessauftakt Mitte September. Zwei der vier Angeklagten sitzen im Landgericht Göttingen auf der Anklagebank. Den Beschuldigten im Alter zwischen 30 und 53 Jahren wird vorgeworfen, mindestens zwischen August 2017 und Oktober 2021 auf betrügerischen Online-Plattformen Anleger um einen zweistelligen Millionenbetrag geprellt zu haben.

© Swen Pförtner / dpa / picture alliance

Göttingen. Im Prozess um einen millionenschweren Online-Anlagebetrug hat am Donnerstag vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Göttingen als erster Zeuge jener Mann angesagt, der vor mehr als drei Jahren das Strafverfahren ins Rollen gebracht hatte. Der heute 81-jährige Allgemeinarzt aus Göttingen berichtete, dass er insgesamt rund 246.000 Euro verloren habe. Als er gemerkt habe, dass er Betrügern auf den Leim gegangen war, habe er sich nicht geschämt und versteckt: „Ich habe das einzig Richtige getan und Strafanzeige erstattet.“

In dem Prozess müssen sich vier Männer – zwei 37 und 40 Jahre alte Israelis, ein 30-jähriger Bulgare und ein 52 Jahre alter israelisch-rumänischer Staatsbürger – wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betruges sowie Bildung einer kriminellen Vereinigung verantworten. Die Staatsanwaltschaft Göttingen wirft ihnen vor, zwischen August 2017 und Oktober 2021 mehrere betrügerische Online-Plattformen betrieben zu haben, die angeblich lukrative Finanzprodukte und Kapitalanlagemöglichkeiten anboten. Tatsächlich sollen die eingezahlten Beträge nie angelegt, sondern von den Angeklagten und weiteren Tätern beiseite geschafft worden sein. Insgesamt sollen sie allein in Deutschland mehr als 5.600 Personen geschädigt und dabei mehr als 23 Millionen Dollar sowie weitere rund 2,2 Millionen Euro erlangt haben. Weltweit soll das kriminelle Netzwerk mehr als 33.000 Geschädigte um über 89 Millionen Euro geprellt haben.

Im Zuge der Ermittlungen hatte es auch zwei großangelegte Razzien in mehreren europäischen Ländern gegeben. Bei einer anschließenden Pressekonferenz hatten die Ermittler vom Fachkommissariat Cybercrime der Polizei Braunschweig und der bei der Staatsanwaltschaft Göttingen angesiedelten Zentralstelle für Internet- und Computerkriminalität erläutert, wie Anleger auf die Plattformen gelockt wurden. Demnach hatten die Täter bekannte Internet-Seiten von Medien in Deutschland als Vorbild genommen und diese täuschend echt nachgebaut. Über dort geschaltete Werbung seien Interessenten dann per Link zu der Betrugsplattform geleitet worden.

So war auch der geprellte Göttinger Arzt dorthin geraten. Er sei bei der morgendlichen Lektüre eines Artikels über die frühere SPD-Parteivorsitzende Andrea Nahles auf die angeblich gewinnträchtige Trading-Plattform „fx-Leader“ aufmerksam geworden. Er habe dann auf den entsprechenden Link geklickt und seine Daten eingegeben. Wenig später habe er einen Anruf erhalten. Zunächst habe er 200 Euro eingezahlt. Dies war der Mindestbetrag, um das Kundenkonto aktivieren zu können. Nachdem er später weitere Beträge von 1000 und 6000 Euro eingezahlt hatte, habe sich ein „persönlicher Berater“ bei ihm gemeldet. Dieser habe ihn dazu animiert, höhere Summen zu investieren, weil sich nur so Gewinne erzielen ließen.

Die Callcenter-Mitarbeiter seien sehr freundlich, sehr gut geschult und sehr überzeugend gewesen, sagte der Zeuge. „Was sie da vorgaben, klang zunächst glaubhaft.“ Man habe vereinbart, „dass fx-Leader für mich handelt“, und zwar mit Währungspaaren, Indizes und Rohstoffen. „Die hatten dabei freie Hand.“ Er habe auf Anraten der vermeintlichen Berater in mehreren Tranchen insgesamt knapp 250.000 Euro angelegt. Die großen Summen habe er auf ein Konto eines Kontaktmannes bei einer Bank in München überwiesen.

Zunächst habe alles nach einer lukrativen Geldanlage ausgesehen. Wenn er sich mit Namen, Adresse und Kennwort eingeloggt hatte, habe er seine Kontoauszüge mit den entsprechenden Kursentwicklungen einsehen können.

„Es waren immer Profite auf dem Konto“, sagte der Zeuge. „Irgendwann stand das Konto bei 320.000 Euro.“ Dieser kontinuierliche Höhenflug machte ihn irgendwann aber auch stutzig: „Es wurden praktisch nur Gewinne gemacht.“ Er habe dann nachzuvollziehen versucht, ob die angezeigten Deals überhaupt stattgefunden hatten. Beim Abgleich mit den offiziell veröffentlichten Kursen habe er festgestellt, dass an dem jeweiligen Tag und zu der Uhrzeit keine derartigen Handelsaktivitäten festzustellen waren. „Da habe ich gemerkt, dass das alles gar nicht funktionierte.“

Daraufhin versuchte er, eingezahlte Beträge zurückzubekommen. Auf den im Internet angezeigten Kontoauszügen seien dann auch Rückzahlungen verbucht gewesen. „Das Geld ist aber nie auf meinem Konto angekommen.“ Die Callcenter-Mitarbeiter hätten immer neue Ausreden gefunden, warum es mit den angeblichen Überweisungen nicht geklappt habe. Inzwischen ist dem Mediziner klar, dass er einen Totalverlust erlitten hat. „War schmerzlich – aber `ne Dummheit war`s halt auch.“ (pid)

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