Gastbeitrag

Regress-Falle Überdosierung

Auch wenn es keine andere Therapie gibt: Jede Form der Überdosierung von Arzneimitteln ist im Grunde ein Off-Label-Use. Und birgt damit für Ärzte die Gefahr eines teuren Regresses, aus dem sie sich nur schwer heraus reden können.

Von Ingo Pflugmacher Veröffentlicht:
Die Rechtsprechung bei Arzneimitteln ist eindeutig: Überschreitet die Verordnung die Maximaldosierung, ist das ein Off-Label-Use.

Die Rechtsprechung bei Arzneimitteln ist eindeutig: Überschreitet die Verordnung die Maximaldosierung, ist das ein Off-Label-Use.

© Birgit Koch / imago

BONN. Jedem Arzt ist bekannt, dass die Verordnung eines Arzneimittels zur Anwendung außerhalb des zugelassenen Anwendungsbereiches Off-Label-Use ist und die Erstattungsfähigkeit durch die gesetzlichen Krankenkassen strengen Voraussetzungen unterliegt.

Was Ärzte aber seltener im Blick haben: Auch eine Überschreitung der in der Fachinformation ausgewiesenen Maximaldosierung ist ein Off-Label-Use.

Und da zu erwarten ist, dass nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes die Einzelfallprüfung im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung wieder mehr Bedeutung erlangt, sollten Ärzte vor allem eines kennen: die Regressrisiken einer Überdosierung.

Ärzte müssen jeden Einzelfall genau begründen

Bestandteil der arzneimittelrechtlichen Zulassung eines Medikaments sind die Angaben zur Dosierung. Wird die Maximaldosierung bei einer Therapie überschritten, so wird das Arzneimittel abweichend vom Inhalt seiner Zulassung angewandt, damit gelten die Grundsätze des Off Label-Use.

Eine Medikation ist danach nur dann zulässig, wenn sie der Behandlung einer schwerwiegenden, also lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung dient, keine andere Therapie für den Patienten verfügbar ist und aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit der Arzneimitteltherapie ein Behandlungserfolg erzielt werden kann.

Gerade das letzte Kriterium ist bei einer die Angaben in der Fachinformation überschreitenden Dosierung hoch problematisch.

Das Sozialgericht Berlin hat in einer aktuellen Entscheidung vom 14. Dezember 2011 (S 41 KA 161/11) ausdrücklich festgestellt, dass grundsätzlich bei einer höheren Dosierung kein zusätzlicher therapeutischer Nutzen zu erwarten ist und die in der Fachinformation angegebene Höchstdosis bereits nicht regelrecht vorkommende Behandlungsfallkonstellationen einschließt.

Der Arzt müsste in einem Prüfverfahren also zunächst darlegen, dass der Gesundheitszustand des von ihm behandelten Patienten einen ganz außergewöhnlichen Einzelfall darstellt.

Genehmigung der Kasse reduziert das Regressrisiko

Mag dies noch gelingen, so müsste er aber darüber hinaus darlegen, dass in der wissenschaftlichen Literatur eine gesicherte Datengrundlage gerade für die Behandlung eines solchen Einzelfalls mit einer erhöhten Dosierung besteht.

Dies wird aufgrund des "Einzelfallcharakters" kaum jemals gelingen. Deshalb nutzt dem Arzt der in älteren Urteilen des BSG angedeutete Vorbehalt, dass eine Überdosierung eventuell. aufgrund von Besonderheiten des konkreten Behandlungsfalls zulässig sein könnte, im Ergebnis nichts.

Wenn es sich um einen ganz außergewöhnlichen Einzelfall handelt, wird es regelmäßig in der Literatur keine Wirksamkeitsnachweise aufgrund randomisierter Studien, die ihrer Qualität nach den Phase-III-Studien entsprechen, geben.

Hält ein Arzt die Überdosierung für nötig, so muss er deshalb zur Vermeidung von Regressrisiken entweder selbst oder durch seinen Patienten eine Stellungnahme der Krankenkasse einholen. Auch, weil einiges dafür spricht, dass Wirtschaftlichkeitsprüfungen wegen solcher Sachverhalte zukünftig zunehmen.

Beim fachlich-medizinisch umstrittenen Off-Label-Use ist ein solches Verfahren der vorherigen Genehmigung einer Verordnung, abweichend von den Regelungen des Bundesmantelvertrages, nach der Rechtsprechung des BSG zulässig.

Und wie sieht es mit der Unterdosierung aus?

Aber es gibt noch etwas zu Bedenken: Überdosierungen können natürlich auch haftungsrechtlich für Ärzte gefährlich werden. Daher sollten sie, wenn möglich, vermieden werden.

Es drängt sich auf, dass man rechtlich stringent auch ein Unterschreiten der in der Fachinformation angegebenen Dosierungsempfehlung als unwirtschaftliche Verordnungsweise ansehen müsste. Auch dies ist Off-Label-Use, ihn medizinisch anhand einer validen Datenlage zu begründen, wird genauso problematisch sein, wie bei einer Überdosierung.

Bisher ist allerdings nicht ersichtlich, dass die Krankenkassen wegen einer Minderdosierung Einzelfallprüfungen beantragen. Völlig ausgeschlossen sind aber auch solche Verfahren für die Zukunft nicht.

Dr. Ingo Pflugmacher ist Fachanwalt für Medizin- und Verwaltungsrecht und Partner der Anwaltskanzlei Busse & Miessen in Bonn.

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