Gastbeitrag

Risikoaufklärung bei Blutentnahme? Nein, sagt ein Gericht

Wie weit geht die ärztliche Aufklärungspflicht? Ein Landgericht hat Ärzte kürzlich entlastet - und nennt die Spielregeln. Bei der medizinisch indizierten Blutentnahme jedenfalls entfällt, bis auf wenige Ausnahmen, die Pflicht.

Von Ingo Pflugmacher Veröffentlicht:
Blutentnahmen dürfen an qualifiziertes Fachpersonal delegiert werden. Das stellten die Richter am Landgericht Heidelberg noch einmal klar.

Blutentnahmen dürfen an qualifiziertes Fachpersonal delegiert werden. Das stellten die Richter am Landgericht Heidelberg noch einmal klar.

© Klaus Rose

BONN. Dem Medizinrechtler wird oft vorgeworfen, die Anforderungen an ärztliche Aufklärung und Dokumentation seien überzogene, praxisferne Erfindungen der Juristen. In der Rechtsprechung zeigt sich seit langem, dass dies nicht so ist. Ganz im Gegenteil, es wird eher Rechtssicherheit für praxisnahe Lösungen geschaffen.

Richter nennen Regeln für Routinemaßnahmen

Besonders deutlich wird dies in einem aktuellen Urteil des Landgerichts Heidelberg (Az.:4 O 95/08). Das Gericht hatte darüber zu entscheiden, ob bei einer medizinisch indizierten Blutentnahme aus der Vene an der Innenseite des rechten Handgelenks über das Risiko einer Nervenschädigung aufzuklären ist .

Das Gericht hat dies verneint und hierbei insbesondere in zutreffender Weise die Realitäten im Praxis- und Klinikalltag umsichtig bewertet.

Aus medizinischen Gründen war bei dem Patienten die Bestimmung aktueller Laborwerte erforderlich. Es wurde hierzu eine Blutentnahme an der Innenseite des rechten Handgelenkes durchgeführt. Der Patient erlitt eine dauerhafte Nervenschädigung und klagte.

Die Klage wurde abgewiesen, in der Urteilsbegründung werden alle für die Ärzteschaft relevanten Aspekte dieser Routinemaßnahme stringent erörtert und offene Fragen zugunsten der Ärzte geklärt.

Zunächst stellt das Gericht fest, dass man nicht auf zwei Tage alte Laborwerte zurückgreifen könne, da diese nicht mehr hinreichend aktuell seien, eine erneute Blutentnahme sei geboten. Es entspreche auch dem durchaus üblichen Vorgehen, das Blut im Bereich der Innenseite des rechten Handgelenks zu entnehmen.

Im klinischen Alltag gebe es immer wieder Situationen, die eine Blutentnahme aus der Ellenbeuge nicht ermöglichen. Aus der Entnahme am Handgelenk resultierten auch keine besonderen Gefahren im Vergleich zu einer Blutentnahme an anderer Stelle.

Eine - wenn auch geringe - Verletzungsgefahr der Nerven bestehe bei jeglicher Blutentnahme, unabhängig von der Entnahmestelle.

Da nicht mehr festgestellt werden konnte, ob die Entnahme durch einen Arzt oder eine Medizinische Fachangestellte (MFA) stattfand, hält das Landgericht fest, dass die Entnahme nicht notwendigerweise von einem Arzt durchgeführt werden müsse.

Es sei anerkannt, dass Blutentnahmen oder intravenöse Injektionen auch an hinreichend qualifiziertes ärztliches Personal delegiert werden können.

Aufklärungspflicht besteht nur bei erhöhtem Risiko

Da sich aus der Dokumentation des Arztes nicht ergab, ob über die Risiken einer Blutentnahme und insbesondere die Möglichkeit einer Nervenschädigung aufgeklärt wurde, hat sich das Landgericht ausführlich mit der Dokumentations- und Aufklärungspflicht befasst.

Hierzu wird zunächst festgestellt, dass es keinesfalls dem medizinischen Standard bei ambulanter oder stationärer Behandlung entspreche, einen Patienten vor einer peripheren Blutentnahme gesondert über etwaige Risiken aufzuklären. Anderes gelte allenfalls für besondere Entnahmestellen wie etwa die zentrale Halsvene.

Ob - entgegen der üblichen Praxis - dennoch eine Aufklärung erforderlich ist, beurteilt sich nach rechtlichen Maßstäben. Hierbei sind zunächst die medizinische Notwendigkeit und das Risikopotenzial der Maßnahme zu bewerten. Der Bundesgerichtshof hat in früheren Entscheidungen festgestellt, dass bei der freiwilligen Blutspende eine Aufklärung über die Risiken der Blutentnahme erforderlich ist.

Diese Rechtsprechung sei aber nicht auf die medizinisch indizierte Blutentnahme übertragbar, da zum einen bei der Blutspende wegen der kaliberstärkeren Punktionskanüle das Risiko höher sei, zum anderen keine medizinische Indikation, sondern eine fremdnützige Handlung zugunsten der Allgemeinheit vorliege.

Mehrbelastung ginge zu Lasten der Patienten

Bei der indizierten Blutentnahme sei zwar das Risiko einer Nervenirritation dem medizinischen Laien nicht im gleichen Umfang bewusst, wie das Risiko von Rötungen oder Hämatomen. Würde man allerdings - so das Landgericht wörtlich - das Erfordernis einer Aufklärungspflicht über das seltene Risiko von Nervenverletzungen bei der Blutentnahme postulieren, so hätte dies äußert weitreichende Konsequenzen für den Alltag in Klinik und Praxis.

Die Forderung nach einem solchen Aufklärungsgespräch hätte im Massengeschäft beachtliche Mehrbelastungen des ärztlichen und nicht ärztlichen Personals zur Folge. Dies ginge letztlich zu Lasten der Patienten, die auf eine zügige ärztliche Behandlung angewiesen sind.

Zudem wäre ein erheblicher sächlicher Aufwand für Aufklärungsmerkblätter und erforderliche Dokumentationen zu erwarten.

Die hierfür anfallenden Kosten des Gesundheitswesens wären wiederum von der Allgemeinheit zu tragen. Letztlich erscheine es zweifelhaft, ob durch die rechtliche Forderung an dem Aufklärungsumfang nicht mehr der Ausweitung des Bürokratismus als dem Wohl des Patienten gedient wäre.

Zwar sei das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ein verfassungsrechtlich geschütztes Gut, angesichts der grundsätzlich geringen Invasivität des Eingriffs der Blutentnahme erscheine es jedoch nicht gerechtfertigt, entgegen der seit Jahrzehnten bestehenden allgemeinen medizinischen Praxis eine Aufklärung über Nervenirritationen zu fordern.

Mangels Aufklärungspflicht war auch keine Dokumentation der Aufklärung erforderlich, die Ärzte haben alles richtig gemacht.

Dr. Ingo Pflugmacher ist Fachanwalt für Medizinrecht und Partner der Anwaltskanzlei Busse & Miessen in Bonn.

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