Misshandlung von Betreuungsbedürftigen?

Staatsanwaltschaft ermittelt auch gegen Ärzte in Ostwestfalen

Die Staatsanwaltschaft Bielefeld und die Kreispolizeibehörde in Minden-Lübbecke ermitteln inzwischen gegen insgesamt 145 Beschäftigte wegen Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung.

Von Christian Bellmann Veröffentlicht:
Gab es in einer Diakonie-Einrichtung in Ostwestfalen Misshandlungen von behinderten und anderen Betreuungsbedürftigen? Die Staatsanwaltschaft ermittelt. (Symbolbild mit Fotomodell)

Gab es in einer Diakonie-Einrichtung in Ostwestfalen Misshandlungen von behinderten und anderen Betreuungsbedürftigen? Die Staatsanwaltschaft ermittelt. (Symbolbild mit Fotomodell)

© DWerner/stock.adobe.com

Köln. Schwere Vorwürfe gegen die Diakonische Stiftung Wittekindshof in Bad Oeynhausen: Mitarbeiter des Unternehmens, das auf die Betreuung von Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung sowie psychischen Beeinträchtigungen spezialisiert ist, sollen Bewohner misshandelt haben.

Die Staatsanwaltschaft Bielefeld und die Kreispolizeibehörde im ostwestfälischen Minden-Lübbecke ermitteln inzwischen gegen insgesamt 145 Beschäftigte wegen Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung. Zu ihnen gehören neben dem ehemaligen Leiter des „Geschäftsbereichs 4“ verantwortliche Betreuer sowie Angehörige des Pflegepersonals – und auch acht Ärzte, wie der Bielefelder Staatsanwalt Christoph York der „Ärzte Zeitung“ sagte.

In den Wohnbereichen des Geschäftsbereiches 4 leben Erwachsene mit Behinderung, die aufgrund ihres Verhaltens und ihrer psychischen Beeinträchtigung auf umfassende Unterstützung und besonders enge Begleitung angewiesen sind.

Fixierung ohne Beschluss?

Derzeit sind 32 mutmaßlich Geschädigte identifiziert. Sie sollen einzeln und in Gruppen in Räumen eingeschlossen sowie in sogenannten „Time-Out-Räumen“ untergebracht worden sein, ohne dass dafür ein richterlicher Beschluss vorlag beziehungsweise zur Weiterführung der Maßnahme eingeholt wurde. Gleiches gilt für Fixierungen dieser Personen auf einem Stuhl oder einer Matte.

Nach den bisherigen Ermittlungen soll es in rund 21 Fällen zum Einsatz von dem auch als Tränengas bekannten CS-Gas gegen Bewohner gekommen sein. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft soll eine Einzelfallprüfung Aufschluss darüber geben, ob dies gegebenenfalls durch Notwehr gerechtfertigt gewesen sein könnte. Staatsanwalt York erklärte, dass noch einige Zeit vergehen werde, bis die Ergebnisse dieser Untersuchungen vorliegen.

Die Ermittlungen gegen den ehemaligen Leiter des Geschäftsbereiches 4 laufen bereits seit Herbst 2019. Sie umfassten umfangreiche Durchsuchungen sowie von einer Reihe von Objekten der Stiftung – schwerpunktmäßig in Ostwestfalen-Lippe, in sieben Fällen in Bundesländern außerhalb von Nordrhein-Westfalen.

Laut York lässt sich noch nicht genau sagen, in welchem Zeitraum sich die Vorfälle ereignet haben sollen. Wegen der Verjährungsfristen bei Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung nehmen die Ermittler die vergangenen fünf beziehungsweise zehn Jahre in den Blick.

Die Diakonische Stiftung Wittekindshof hat nach eigenen Angaben rund 3500 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die jährlich etwa 5000 Menschen mit und ohne Behinderung in 16 Kommunen in Nordrhein-Westfalen unterstützen. Arbeitsschwerpunkt ist die Unterstützung von Menschen mit geistiger und psychischer Behinderung in den Bereichen Beratung, Soziale Teilhabe im Wohnumfeld, Teilhabe am Arbeitsleben und an Bildung, Medizin, Therapie sowie Ausbildungen in sozialen Berufen.

Stiftung strukturiert um

Das Unternehmen wollte sich gegenüber der „Ärzte Zeitung“ nicht zu den polizeilichen Ermittlungen äußern. „Wir sind bestürzt und tief betroffen“, erklärte Dierk Starnitzke, Theologischer Vorstand der Diakonischen Stiftung Wittekindshof, in einer Mitteilung. „Wenn im Wittekindshof Maßnahmen ergriffen wurden, die nicht rechtmäßig und strafbar gewesen sind, dann distanzieren wir uns davon klar und deutlich“.

Nach Angaben Starnitzkes sei die Stiftung „unbedingt entschlossen“, die Anschuldigungen schonungslos aufzuklären. Zudem werde man personelle Konsequenzen aus den Anschuldigungen ziehen. Unabhängig von den polizeilichen Ermittlungen hätten die Verantwortlichen ein weitreichendes Maßnahmenpaket zur Umstrukturierung in der Stiftung eingeleitet und eine fachlich qualifizierte Sonderkommission eingesetzt, heißt es. Der Geschäftsbereich 4 existier seit Sommer 2020 nicht mehr in seiner früheren Form, er sei neu strukturiert worden. Den Leiter des Geschäftsbereichs habe der Vorstand von seinen Aufgaben entbunden. Andere personelle Konsequenzen sind derzeit nicht bekannt.

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