Hintergrund

Steht ein Systemwechsel bei der Arzthaftung an?

Die Haftpflichtversicherung für Ärzte in Hochrisikofächern wird immer kostspieliger - und ist bald nicht mehr bezahlbar, prophezeit ein Medizinrechtler. Sein Rezept für die Zukunft: die fondsgebundene Heilbehandlungsrisikoversicherung.

Von Monika Peichl Veröffentlicht:
Hochrisikogruppe Chirurg: Mittlerweile müssen Ärzte bei Behandlungsfehlern bis zu 750 000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Hochrisikogruppe Chirurg: Mittlerweile müssen Ärzte bei Behandlungsfehlern bis zu 750 000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

© Thinkstock

Der Versicherungsschutz für Hochrisikogruppen - Geburtshelfer, Chirurgen und Orthopäden - sei bald nicht mehr bezahlbar, "auch wenn's momentan keiner glauben will" - so die deutliche Warnung von Professor Christian Katzenmeier, Direktor des Instituts für Medizinrecht der Universität Köln.

Mittlerweile würden bei schwerer Schädigung Schmerzensgelder bis zu 750.000 Euro gezahlt. Die Zahlungen für materielle Schäden, zum Beispiel für professionelle Rundumpflege, und für Verdienstausfall könnten bis zu zweistellige Millionenbeträge erreichen, weil Schwerbeschädigte mittlerweile eine fast normale Lebenserwartung hätten.

Fondslösungen haben ihre Nachteile

Versicherungslösungen, die auf Fonds beruhen anstelle individueller Haftung des behandelnden Arztes bestehen vor allem in Ländern mit Staatsmedizin, etwa in Skandinavien oder in Neuseeland, wie Katzenmeier bei einer Veranstaltung der Reihe "Bad Nauheimer Gespräche" in Frankfurt am Main erläuterte.

Als Vorzüge der Heilbehandlungsrisikoversicherung zählte er auf: Das Arzt-Patienten-Verhältnis werde entlastet, Patienten würden von der Beweisführung befreit, die Gerichte hätten weniger Arbeit.

Doch ein Systemwechsel sei nur dann sinnvoll, wenn es besser als das zivile Haftungsrecht sei.

Die Genugtuungsfunktion von Schmerzensgeldern sei bei einer Versicherung des Behandlungsrisikos nicht möglich. Problematisch sei auch die Abgrenzung der versicherten Risiken. Zu befürchten seien bei diesem System zudem "Präventionsverluste", es fehle der Anreiz zur Vermeidung von Schäden.

Dennoch sei ein Systemwechsel vorstellbar, und zwar dann, wenn die Haftpflichtkosten für die Hochrisikofächer untragbar würden und somit die Versorgung gefährden.

Kritik am Entwurf zum Patientenrechtegesetz

Katzenmeier bekräftigte seine Kritik am Patientenrechtegesetz, das jetzt als Referentenentwurf vorliegt. Die Vorstellung, dass Gesetze Probleme lösten, sei verbreitet, aber irrig. Die Politik sehe offenbar "das Ende der Legislaturperiode heraneilen".

Ein Defizit an Patientenrechten bestehe derzeit nicht, so der Medizinjurist, vielmehr besitze Deutschland hier eine Spitzenstellung in Europa, die aus der Ausgestaltung der allgemeinen Haftungsnormen des Bürgerlichen Gesetzbuchs durch die Gerichte resultiere.

"Gesetze sind starr, Richterrecht ist flexibel." Detaillierte neue Gesetze "schaffen nicht mehr oder besseres Recht".

Das Patientenrechtegesetz tauge erst recht nicht dazu, der verdeckten oder offenen Rationierung von medizinischen Leistungen zu begegnen. Die Ärzte gerieten zunehmend in die Zwickmühle aus Wirtschaftlichkeitszwängen und steigenden medizinischen Standards.

Die Politik müsse vom Versprechen der unbegrenzten Krankenversorgung abrücken. Erforderlich sei die Harmonisierung von Wirtschaftlichkeitsgebot und haftungsrelevanten Sorgfaltsanforderungen, es müssten Regeln für den Umgang mit der Knappheit aufgestellt werden. Auch verdeckte Rationierung belaste die Ärzteschaft mit Haftungsrisiken.

Verbesserte Fehlerkultur muss fortgeführt werden

Zugleich ermunterte der Medizinrechtler die Ärzte, die vielfältigen Ansätze und Programme zu einer verbesserten Fehlerkultur fortzuführen. "Ärztliches Handeln kann nicht ohne Risiko sein", verdeutlichte Dr. Ingrid Hasselblatt-Diedrich, Organisatorin der Veranstaltung.

Die frühere Chirurgie-Chefärztin stellte klar, dass Ärzte nicht ein Leben lang fehlerfrei handeln könnten. Ihre Pflicht sei es dann aber, sich dazu zu bekennen.

Wie schwierig das im Alltag sein kann, illustriert ein Beispiel aus dem Auditorium. Es komme vor, dass Krankenhäuser mangels ärztlichen Personals Patienten mit Oberschenkelhalsfraktur am Wochenende nicht adäquat behandeln können, berichtete eine Teilnehmerin. Werde nicht unverzüglich operiert, sei die Prognose schlechter.

Die Krankenhäuser sagten den Patienten aber nicht, dass sie sie nicht adäquat versorgen können. Nach Ansicht Katzenmeiers zeigt dies, dass das Haftungsrecht auch ein Bollwerk für Patientenrechte sei.

Wenn eine Behandlung nicht möglich sei, dürften medizinische Einrichtungen sie auch nicht anbieten. Das könne letztlich auch bedeuten, dass eine Station geschlossen werden müsse.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: An der Prämie hängt die Versorgung

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