Interview

"Wir haben Ärzte von Anfang an eingebunden"

Arztbewertungsportale dienen vor allem dazu, Menschen bei der Suche nach einem guten Arzt zu helfen. Dass auch Ärzte etwas von solchen Portalen haben können, erläutert Jürgen Graalmann von der AOK im Interview.

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Jürgen Graalmann

© AOK-Bundesverband

Aktuelle Position: Stellvertretender Vorsitzender des AOK-Bundesverbandes, ab Oktober Vorsitzender.

Werdegang: Studium am Institut für Versicherungswesen.

Karriere: Dozent an der FH Köln; verschiedene Führungspositionen bei der Barmer und der AOK.

Ärzte Zeitung: Herr Graalmann: Wie erklären Sie sich die anhaltende Skepsis von Ärzten gegenüber Arztbewertungsportalen?

Jürgen Graalmann: Viele dieser Portale haben sich in der Vergangenheit als problematisch und wenig seriös herausgestellt. Die Patienten konnten sich schrankenlos in Freitextfeldern über ihre Ärzte auslassen. Auch der Manipulation von Bewertungen waren Tür und Tor geöffnet, da Mehrfach-Bewertungen nicht ausgeschlossen waren.

Das hat dazu geführt, dass Äpfel mit Birnen verglichen wurden. Dagegen fühlten sich die Ärzte wehrlos. Dies alles hat zu Unmut im ärztlichen Lager geführt. Vor diesem Hintergrund wird die Skepsis, die Ärzte zuerst hatten, nachvollziehbar.

Ärzte Zeitung: Liegt es auch daran, dass es für Ärzte schwierig ist, die Spreu vom Weizen zu trennen?

Graalmann: Die Qualität einer Arztsuche ist natürlich nicht immer auf den ersten Blick klar. Vor allem, wenn man zum ersten Mal mit dem Thema in Berührung kommt. Doch mit der Arztbewertung ist es ähnlich wie bei den Hotels: Die guten Portale setzen sich durch; die anderen verschwinden letztlich.

Ärzte Zeitung: Was machen AOK, Barmer/GEK und Weiße Liste anders als die übrigen Bewertungsportale?

Graalmann: Wir haben von Anfang an auch Ärzte in die Entwicklung der Arztsuche eingebunden. Es war uns wichtig, ihre berechtigten Interessen an einer fairen Beurteilung zu berücksichtigen. Unsere Onlinesuche ist manipulationssicher und verhindert durch den Verzicht auf Freitextfelder, dass Schmähkritiken verbreitet werden. Durch den standardisierten Fragebogen, den alle Teilnehmer ausfüllen, werden die Ärzte alle auf der gleichen Grundlage verglichen. Hinzu kommt, dass die Ärzte in ihrem persönlichen Bereich Bewertungen kommentieren oder auch Fotos ihrer Praxis einstellen können. So können sie die Ergebnisse der Onlinesuche für ihr eigenes Qualitätsmanagement nutzen. Das heißt, sie können unmittelbar auf Anregungen und Kritik ihrer Patienten reagieren.

Ärzte Zeitung: Erstaunlich ist, dass die Medizinischen Fachangestellten die Bedeutung der Portale höher einschätzen als ihre "Chefs". Haben Sie dafür eine Erklärung?

Graalmann: Egal, ob direkt am Tresen oder am Telefon: Den ersten Kontakt zu einem Patienten hat immer die Arzthelferin. Sie ist oftmals näher dran an den Patienten, denn ihr wird in der Regel mehr erzählt als ihrem "Chef". Bei ihr werden eher Wünsche, aber auch Kritik geäußert.

Arztnavigator: Ein Steckbrief

Wer steckt dahinter? Initiatoren der Online-Arztsuche sind AOK und das Projekt Weisse Liste von der Bertelsmann Stiftung und Dachverbänden von Patienten- und Verbraucherorganisationen. Anfang des Jahres stieß die BARMER GEK dazu. Seit Mai 2011 ist das Portal online.

Wer kann mitmachen? Die Arztsuche bietet mehr als 30 Millionen Versicherten die Möglichkeit, ihrem Arzt online ein Zeugnis auszustellen. Die Ergebnisse werden veröffentlicht, sobald zehn Bewertungen vorliegen. Ärzte haben über den persönlichen Arztbereich die Möglichkeit, gezielt mit Fotos auf ihre Praxis aufmerksam zu machen.

Wie kann man die Arztsuche online erreichen? Es gibt drei Startportale:

AOK-Arztnavigator:www.aok-arztnavi.de BARMER GEK:http://arztnavi-barmer-gek.de Weisse Liste:www.weisse-liste.de/arzt

Wie geht es weiter? Die Onlinesuche soll künftig auf Zahnärzte und Psychotherapeuten ausgedehnt werden.

Ärzte Zeitung: Wenn Sie die Monate nach Einführung des AOK-Navigators 2010 Revue passieren lassen: Konnten Vorbehalte bei Ärzten abgebaut werden?

Graalmann: Einige Tausend Ärzte haben sich seit dem bundesweiten Start im Mai 2011 bereits registriert, um ihren persönlichen Bereich sowie die Kommentarfunktion nutzen zu können. Es gab auch aktive Hinweise auf Adressänderungen. Wenn das kein Erfolg ist, nach all den Vorbehalten.

Zudem haben wir stets betont, dass unsere Patientenbewertungen nicht die Ergebnisqualität einer Behandlung abbilden können und sollen, sondern gebündelt persönliche Erfahrungen, die andere Patienten in die Lage versetzen, den Arzt zu finden, der zu ihnen passt. Auch im persönlichen Kontakt erhalte ich viele positive Rückmeldungen von Ärzten. Das zeigt mir, dass wir mit unserer Arztsuche auf dem richtigen Weg sind.

Ärzte Zeitung: Ein Blick in die Zukunft: Ist es tatsächlich möglich, einen breiten Konsens zwischen denen zu erreichen, die bewertet werden und denen, die Portale im Netz anbieten? Ist die AOK weiterhin auf der Suche nach neuen Partnern?

Graalmann: Es wird sicherlich nicht dazu kommen, dass zwischen allen Beteiligten stets und vollkommene Harmonie herrscht. Darum geht es aber auch nicht. Unser Bewertungsportal dient in erster Linie dazu, Menschen bei der Suche nach einem für sie geeigneten Arzt zu helfen.

Dazu haben wir konstruktive Unterstützung aus der Ärzteschaft aktiv aufgegriffen und werden das auch weiter tun. Damit möglichst viele Menschen ihren Arzt bewerten können, sind wir mit weiteren Krankenkassen in Gesprächen. Da gibt es noch einige, die sich an unserer Arztsuche beteiligen wollen. Anfang 2012 wird es sicherlich soweit sein.

Das Interview führte Wolfgang van den Bergh.

Lesen Sie dazu auch: Arztbewertung im Internet: Der Bedarf ist vorhanden

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