Genetische "Humanisierung"

Wenn Gendesigner die Evolution nachbauen

Affen wurden von chinesischen Wissenschaftlern mit einem Menschen-Gen etwas schlauer gemacht. Eine weitere genetische "Humanisierung" könnte Mischwesen erzeugen, die uns in der Forschung helfen. Züchtet die Menschheit sich ein eigenes Versuchskaninchen heran – und gar ein menschliches Organersatzteillager oder bessere Menschen?

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Wer gibt hier wem einen "göttlichen" Funken? Anspielung auf Michelangelos berühmtes Fresko "Die Erschaffung Adams" in der Sixtinischen Kapelle.

Wer gibt hier wem einen "göttlichen" Funken? Anspielung auf Michelangelos berühmtes Fresko "Die Erschaffung Adams" in der Sixtinischen Kapelle.

© David Carillet / stock.adobe.com

Für die Filmtrilogie "Planet der Affen" verwendeten die Filmemacher extrem aufwendige Computeranimationen, um Tiere mit menschlichen Ausdrucks- und Verhaltensweisen darzustellen.

Solche Umstände sind beim nächsten Remake vielleicht überflüssig: In China arbeiten Forscher bereits an Affen, die – wie in dem Science-Fiction-Opus – durch gentechnische Veränderungen klüger und menschenähnlicher werden.

Derartige Geschöpfe werden uns zwar nicht gleich die Vorherrschaft über die Erde streitig machen, sie könnten aber die Grenzen zwischen Mensch und Tier pulverisieren. Möglicherweise hat der Mensch bald die Macht, andere intelligente Lebewesen nach seinem Abbild zu schaffen, und wir müssen uns die Frage stellen: Ist das ein Tier oder bereits ein Mensch?

Noch ist die Antwort klar: Die genmodifizierten Wesen, die derzeit im "Labor für genetische Ressourcen und Evolution" in Kunming bei Kognitionstests ihre Finger auf Touchscreens hämmern, unterscheiden sich nur in wenigen Basenpaaren von ihren Artgenossen.

Die Auswirkungen sind jedoch erstaunlich: Indem die Forscher um Professor Bing Su die Rhesusaffen mit einem Schlüsselgen für die menschliche Hirnentwicklung versahen, verpassten sie den Tieren ein besseres Arbeitsgedächtnis und ein schnelleres Reaktionsvermögen (Natl Sci Rev 2019; online 27. März).

Nun macht ein einziges Menschen-Gen aus einem Affen noch keinen Humanoiden, für die Genetiker aus China ist das aber nur der erste Schritt: Sie versuchen mit ihren Experimenten nicht weniger, als die Evolution des menschlichen Gehirns und Bewusstseins nachzuvollziehen – das, was den Menschen so einzigartig macht.

Modifikation mit klassischer Gentechnik

Wer nun glaubt, das ist alles Science-Fiction, ist noch nicht in der Post-Crispr-Realität angekommen: Su und Mitarbeiter haben ihre Affen noch mit klassischer Gentechnik modifiziert. Im Jahr 2010, als sie damit begannen, war die Genschere Crispr-Cas9 noch nicht entdeckt.

Sie mussten die Humangene über virale Fähren in wenige Zellen große Embryonen transferieren. Das Verfahren gleicht eher einer Schrotschusstechnik, bei der fremde Gene zufallsmäßig ins Genom gestreut werden. Crispr-Cas ermöglicht heute jedoch ein gezieltes Verändern der vorhandenen DNA. Im Prinzip ließe sich das Affengenom damit komplett in ein Humangenom umschreiben.

Wo die Wissenschaftler für eine solche Transformation ansetzen müssen, ist ebenfalls bekannt: Das Humangenom ist dekodiert, ebenso das der wichtigsten Primatenspezies. Fast 99 Prozent der kodierenden DNA zwischen Schimpansen und Menschen sind identisch, die Forscher können sich also auf die übrigen 1–2 Prozent konzentrieren.

Diese Zahl wird weiter verringert, wenn sie nur Gene für die Hirnentwicklung berücksichtigen, hier gibt es relativ wenige Abweichungen zu unseren nächsten Verwandten. "Relativ wenig" könnte aber immer noch bedeuten, dass zehn- oder hunderttausende Basenpaare zu editieren wären, um aus einem Affenhirn eines zu machen, das dem des Menschen ähnelt.

"Radikales Redesign"

Auch das ist jedoch keine unüberwindbare Hürde. Soeben hat der Gentechniker Professor George Church von der Universität in Harvard mit einem modifizierten Crispr-Cas-Verfahren über 13.000 Positionen in einer einzigen humanen Stammzelle verändert, ohne diese zu zerstören (BioRxiv 2019; online 4. April).

Allerdings handelte es sich um repetitive Elemente – die Genschere wurde auf multiple identische Sequenzen angesetzt. Immerhin zeigen solche Versuche, dass Gen-Editing in dieser Größenordnung möglich ist – und wohin die Reise geht. Church nennt gleich im ersten Satz seiner Publikation das Ziel: ein "radikales Redesign von Säugetiergenomen".

Automatisierte Verfahren könnten in Kürze unterschiedliche Positionen in einer einzigen Zelle sukzessive umschreiben und so gleich mehrere Schlüsselgene für die Hirnentwicklung bei Affen "humanisieren" – sowohl zur Erforschung neurodegenerativer Leiden als auch des menschlichen Bewusstseins.

Und wenn man schon dabei ist – der Schädel sollte etwas größer sein, um einem größeren Hirn Platz zu bieten; auch ein paar anatomische Veränderungen von Kehlkopf und Zungenbein könnten helfen, um sich mit den Humanoiden zu unterhalten.

Wer fortpflanzungsfähige Individuen will, sollte nicht alle Veränderungen auf einmal vornehmen, das wird wohl kaum funktionieren, aber auch hier lässt sich anhand von Genomdaten verschiedener Primatenspezies ablesen, in welcher Reihenfolge sich relevante DNA-Sequenzen in der menschlichen Evolution verändert haben.

Folglich könnte die Natur selbst eine brauchbare Anleitung zur Schaffung Humanoider bereithalten, und vielleicht weist bald eine künstliche Intelligenz aus Unmengen von Gendaten in silicio den besten Weg zur Schöpfung einer künstlichen Intelligenz in vivo.

Ethische Fragen bleiben offen

Allerdings birgt die synthetische Evolution etliche Risiken. Darauf haben Genetiker und Bioethiker um Professor James Sikela von der Universität in Denver schon vor Jahren hingewiesen (Nat Rev Genet 2010; 11: 658–662). Zum einen könnten veränderte Schlüsselgene aufgrund ihrer komplexen Wechselwirkungen zu unbeabsichtigten Effekten führen.

Zum anderen bergen auch die gewünschten Wirkungen Risiken: Erlangt ein Humanoider tatsächlich eine Art Bewusstsein, würde ihm sein Leben als subhumane Laborratte vielleicht schmerzlich bewusst.

Doch auch ohne verändertes Bewusstsein hätte ein humanisierter Affe Probleme, schreiben die Forscher um Sikela: "Stellen Sie sich einen Schimpansen vor, der aufrecht geht, kein Fell und keine ausgeprägten Eckzähne hat – er wäre von seinen Schöpfern dazu verdammt, von Menschen abhängig in einer künstlichen Umgebung zu leben."

Rhesusaffen sind nach Sus Auffassung jedoch schon längst als Labortiere etabliert und weit weniger mit uns verwandt als Menschenaffen. "Dies sollte ethische Bedenken mindern."

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