Genexperiment

Menschen-Gen macht Affen klüger

Chinesische Forscher haben Rhesusaffen ein wichtiges Gen für die menschliche Hirnentwicklung eingepflanzt. Die Affenhirne veränderten sich: Reaktionszeit und Arbeitsgedächtnis wurden besser. Andere kritisieren das Nachspielen der Evolution durch „Humanisierung“ der Affen.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Gentausch zwischen Mensch und Affe: Durch einen Geneinbau bei unseren nächsten Verwandten verbesserte sich deren kognitive Leistung.

Gentausch zwischen Mensch und Affe: Durch einen Geneinbau bei unseren nächsten Verwandten verbesserte sich deren kognitive Leistung.

© mast3r / stock.adobe.com

KUNMING,CHINA. Weshalb es der Homo sapiens geschafft hat, eine Zivilisation aufzubauen und die Welt zu erobern, während seine nächsten Verwandten weiterhin in den Bäumen hängen, zählt mit zu den größten Rätseln der jüngeren Evolution. Auf molekularbiologischer Ebene reduziert sich dieses Rätsel auf die Frage nach den Genen, welche Menschen ein Gehirn geben, das sich deutlich von dem eines Affen unterscheidet.

Kennen wir diese Gene und wissen wir genau, was sie tun, können wir die Evolution des Menschen nicht nur besser nachvollziehen, sondern vielleicht sogar ein Stück weit nachbauen – indem wir versuchen, damit die Gehirne von Affen zu transformieren.

Einen ersten Erfolg können chinesische Forscher um Lei Shi vom „Labor für genetische Ressourcen und Evolution“ der Chinesische Akademie der Wissenschaften in Kunming vorweisen (NSR 2019; online 27 März). Sie erzeugten transgene Rhesusaffen mit multiplen Kopien des humanen MCPH1-Gens. Dieses hat sich im Laufe der menschlichen Evolution stark verändert und scheint bei der Hirnentwicklung von Bedeutung zu sein.

Die Forscher um Shi erhofften sich, damit die Gehirne der Affen zu vergrößern. Dies war jedoch nicht der Fall. Stattdessen wurde die Hirnentwicklung verzögert, was offenbar zu verstärkten neuronalen Verknüpfungen führte. In Kognitionstests wiesen die gentechnisch veränderten Tiere ein besseres Kurzzeitgedächtnis und ein schnelleres Reaktionsvermögen auf als unveränderte Artgenossen.

Verzögerte Entwicklung: mehr Zeit zum Ausbilden des Hirns

Solche als Neotenie bezeichneten Verzögerungen der Entwicklung sind ein beliebtes Werkzeug der Evolution, um einen Körper mit relativ wenig Aufwand umzugestalten. Erwachsene Menschen zeigen etwa eine gewisse Ähnlichkeit mit jungen Affen – kaum Haare, flaches Gesicht, schmales Gebiss.

Angenommen wird, dass Änderungen in wenigen Schlüsselgenen der Entwicklung für die Veränderungen genügen – die Entwicklung muss einfach nur zu einem bestimmten Zeitpunkt verlangsamt oder komplett eingefroren werden und gibt dann anderen Prozessen Raum, sich zu entfalten. So scheint eine verlangsamte Hirnentwicklung bei Menschen eine Voraussetzung dafür zu sein, dass unser Gehirn größer und komplexer organsiert ist als bei unseren nächsten Verwandten.

Für Shi und Mitarbeiter ist MCPH1 nicht nur interessant, weil es sich von der Affenversion deutlich unterscheidet, das Gen ist zudem ein wahrer Tausendsassa. Das entsprechende Protein kodiert für einen Transkriptionsfaktor, der den Zellzyklus reguliert, die Apoptose und Neurogenese steuert und die DNA-Reparatur kontrolliert.

Die Rhesusaffenvariante des Gens differiert sowohl in der Sequenz, auch wird sie in der Hirnentwicklung deutlich seltener abgelesen als die Humanvariante. Defekte im MCPH1-Gen führen bei Menschen vor allem zur Mikrozephalie und zu geistigen Behinderungen.

Die Forscher um Shi transfizierten in vitro Rhesusembryonen kurz nach den ersten Zellteilungen mit Lentiviren, die das Gen für humanes MCPH1 enthielten. Die Viren integrierten das Gen nach dem Zufallsprinzip in das Affengenom. Bei fünf der Embryonen wurden dabei offenbar keine lebenswichtigen DNA-Abschnitte zerstört – sie führten zu gesunden Affenbabys mit zwei bis neun Genkopien pro Chromosomensatz. Zwei weitere kamen vorzeitig tot zur Welt und eines starb nach 76 Tagen.

MRT liefert Vergleichswerte

Die überlebenden fünf Affen wurden regelmäßig im MRT untersucht, dabei verglichen die Forscher die Hirnentwicklung mit der von gleichalten unveränderten Tieren. Das relative Hirnvolumen der transgenen Tiere war in der frühen postnatalen Phase zunächst etwas größer als das ihrer unveränderten Artgenossen, diese holten mit der Zeit aber beim Volumen auf.

Schauten sich die Forscher gezielt das Volumen der grauen Substanz im Kortex an, so nahm es bei den genveränderten Tieren wesentlich langsamer zu – im Vergleich zu unveränderten Affen ergab sich eine Verzögerung von knapp einem halben Jahr. Dabei blieb der Anteil der kortikalen grauen Substanz am gesamten Hirnvolumen zunächst deutlich höher, dafür war das Volumen der kortikalen weißen Substanz wesentlich kleiner als unter unveränderten Tieren. Mit der Zeit verschwanden die Unterschiede wieder. In der Diffusionsbildgebung zeigten sich ebenfalls Differenzen, welche die Forscher als verzögerte Myelinisierung und Netzwerkreifung interpretierten. Histologische Untersuchungen bei den drei verstorbenen transgenen Tieren sprechen zudem für eine verzögerte neuronale Differenzierung sowie eine Änderung der Expression von rund 600 weiteren Genen während der Hirnentwicklung. Zum Teil korrelierten die Abweichungen gut mit den bei Menschen im Vergleich zu Affen beobachteten Differenzen und Expressionsverzögerungen.

Besser Leistung in Kognitionstests

Als die Tiere zwei bis drei Jahren alt waren, schauten die Forscher mit speziellen Tests nach Verhaltensauffälligkeiten, fanden aber keine. Allerdings schien das Arbeitsgedächtnis besser zu funktionieren als das von unveränderten Tieren.

So trainierten die Wissenschaftler die Tiere, sich Farben und Formen von Gegenständen auf einem Touchscreen zu merken. Mit gewisser Verzögerung erschien ein weiteres Objekt, und die Affen sollten es berühren, wenn Form oder Farbe übereinstimmten.

Bei einer Verzögerung von acht Sekunden lagen die genmanipulierten Affen zu rund 90% richtig, diejenigen ohne humanes MCPH1 nur zu rund 70%. Auch bei einer Verzögerung von 32 Sekunden zwischen zwei Objekten schnitten die genveränderten Tiere noch besser ab, wenngleich der Unterschied nun etwas geringer war. Zugleich war die Reaktionszeit der veränderten Tiere signifikant schneller.

Wie lassen sich die Beobachtungen nun erklären? Die Forscher um Shi beobachteten eine Überexpression von humanem MCPH1 im Gehirn der Tiere. Diese, so vermuten sie, führt zu einer verzögerten Hirnentwicklung, was den Nervenzellen mehr Zeit gibt, sich untereinander zu vernetzen. „Wahrscheinlich wird das Zeitfenster für die Netzwerkplastizität verlängert“, heißt es in ihrer Publikation. Weshalb nicht auch das Hirnvolumen zunahm, bleibt unklar, die Forscher vermuten, Manipulationen an einem einzigen Gen genügen dafür nicht.

Allerdings lässt sich aus Versuchen bei einem halben Dutzend Affen noch nicht viel schließen. Inzwischen haben die Tiere drei Nachkommen mit dem humanen Gen, diese sollen ebenfalls gründlich untersucht werden. Die Forscher hoffen zudem, mit modernem Genediting das MCPH1-Gen der Tiere durch das von Menschen zu ersetzen, statt zusätzliche Kopien ins Genom zu streuen. Auf diese Weise könnten sie noch präziser dessen Wirkung untersuchen.

Kritik an Forschung

Diese Art von Forschung bleibt jedoch nicht ohne Kritik. „An transgenen Affen die Evolution des menschlichen Gehirns zu studieren, ist ein sehr riskanter Weg“ wird der Primatengenetiker James Sikela von der Universität of Colorado in dem Magazin „MIT Technology Review“ zitiert.

Er befürchtet, den Tieren könnte dadurch ein Schaden entstehen, wenn sie „humanisiert“ werden, nicht zuletzt, weil ein verändertes Bewusstsein sie leidensfähiger machen könnte. In einem vor neun Jahren veröffentlichten Beitrag sprach sich Sikela zusammen mit Bioethikern klar gegen die Herstellung transgener Affen mit menschenspezifischen Gensequenzen aus.

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