INTERVIEW

Bei Fieberkrampf-Risiko sind schon 38,5°C zu hoch

Wenn Kinder hoch fiebern, geraten Eltern schnell in Sorge. Eine häufig geäußerte Furcht ist etwa die vor Fieberkrämpfen. Bei einer konsequenten Senkung der Temperatur sei dieses Risiko jedoch gering, so Dr. Raymund Pothmann. Im Gespräch mit Ruth Ney von der "Ärzte Zeitung" erläutert der Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendsärzte in Hamburg, wann ein Antipyretikum nötig ist.

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Ärzte Zeitung: Fieber ist eine physiologische Reaktion des Körpers, um Abwehrkräfte zu mobilisieren. Ab welcher Temperatur ist denn eine Senkung überhaupt ratsam?

Pothmann: Die Temperatur sollte immer dann gesenkt werden, wenn das Allgemeinbefinden des Kindes sehr stark darunter leidet. Wenn man es überhaupt an einer konkreten Gradzahl festmachen kann, ist das meist bei über 39 Grad Celsius der Fall. Denn dann ist auch damit zu rechnen, daß ein möglicher Schaden durch das Fieber größer ist als der Nutzen.

Ärzte Zeitung: Ist dann zum Beispiel die Gefahr für Fieberkrämpfe erhöht?

Pothmann: Nein, nicht prinzipiell. Für das Auftreten von Fieberkrämpfen ist weniger die Gradzahl als die Geschwindigkeit des Fieberanstiegs entscheidend. Ein Risikofaktor ist zudem das familiäre Auftreten von Fieberkrämpfen. Bei Kindern aus betroffenen Familien und solchen, die bereits einen Fieberkrampf hatten, sollte dennoch lieber schon ab 38,5 Grad das Fieber gesenkt werden. Denn bei einem Fieberkrampf von meist fünf bis sechs Minuten Länge besteht immerhin ein Risiko von einem Prozent, in einen Dauerkrampf zu geraten. Und der kann Hirnschäden oder gar den Tod des Kindes zur Folge haben. Daher erhalten Kinder mit Fieberkrampfrisiko zusätzlich zur Fiebersenkung auch Diazepam - entweder prophylaktisch als Zäpfchen oder im Notfall als Rektiole.

Ärzte Zeitung: Wie sollte denn die Temperatur gesenkt werden? Wann reichen Wadenwickel, wann sind Antipyretika nötig?

Pothmann: Bei Kindern mit Fieberkrampfrisiko sollten gleich Antipyretika als Zäpfchen oder Saft gegeben werden. Bei anderen Kindern kann man es erstmal mit physikalischen Maßnahmen wie Wadenwickeln versuchen. Wenn das nicht ausreicht, dann sollte man mit fiebersenkenden Medikamenten behandeln.

Ärzte Zeitung: Was ist bei der Auswahl des antipyretischen Arzneimittels zu beachten?

Pothmann: Prinzipiell stehen zwei Wirkstoffe zur Verfügung: Paracetamol und Ibuprofen. Diese sind in der Qualität der Fiebersenkung beide gleich gut. Es gibt zum Beispiel keinen signifikanten Unterschied bei der Schnelligkeit der Fiebersenkung. Das ist von Bedeutung, da außer einem sehr schnellen Anstieg auch ein zu schneller Abfall der Körpertemperatur ein Risikofaktor für einen Fieberkrampf ist. So gesehen, stellt das neuere Ibuprofen kein zusätzliches Risiko für Fieberkrämpfe dar im Vergleich zum altbewährten Paracetamol.

Ärzte Zeitung: Sind beide Substanz also gleich sicher?

Pothmann: Paracetamol kann bekanntlich gravierende Leberschäden bewirken, wenn die Substanz über zwei Tage hinaus in sehr hoher Dosierung gegeben wird. Vier Zäpfchen an einem Tag in der altersentsprechenden Dosis sind allerdings kein Problem. Demgegenüber hat Ibuprofen den Vorteil, daß die therapeutische Sicherheit sehr hoch ist. Selbst bei zehnfacher Überdosierung würde ein Kind höchstens etwas stärker müde. Mit Koma und Krämpfen ist erst bei einer 40fachen Überdosierung zu rechnen - das ist aber keine reelle Gefahr.

Ärzte Zeitung: Wie lange sollte man denn ein Antipyretikum normalerweise geben?

Pothmann: In der Regel sollte sich die Temperatur innerhalb von ein bis zwei Tagen deutlich senken lassen. Bei unzureichender Antipyrese sollte bereits am zweiten Tag ein Arzt aufgesucht werden, damit gezielt nach der Fieberursache gesucht werden kann und gegebenenfalls eine entsprechende kausale Therapie erfolgt. Auch bei jedem Krampfanfall während des Fiebers muß der Arzt informiert werden. Denn außer einem unspezifischen Fieberkrampf kann es sich schließlich immer auch um einen durch eine Meningitis ausgelösten Anfall handeln.

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