Interview

"Die COPD ist eine Volkskrankheit"

Bei Luftnot unter Belastung wird meist an ein Herzleiden gedacht, aber nur selten an die chronisch-obstruktive Lungenkrankheit (COPD) als Differentialdiagnose. "Das müssen wir ändern, Lungenerkrankungen müssen stärker ins Bewusstsein rücken", sagt Professor Tobias Welte.

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Mit Hilfe der Spirometrie lässt sich eine COPD früh erkennen. Um genaue Messwerte zu erhalten, ist eine gute Kooperation der Patienten wichtig.

Mit Hilfe der Spirometrie lässt sich eine COPD früh erkennen. Um genaue Messwerte zu erhalten, ist eine gute Kooperation der Patienten wichtig.

© Klaro

Ärzte Zeitung: Herr Professor Welte, die COPD ist keineswegs eine Rarität in Deutschland ...

Professor Tobias Welte

© Prof. Tobias Welte

Aktuelle Position: Direktor der Klinik für Pneumologie der Medizinischen Hochschule Hannover.

Schwerpunkte: Mitglied des Vorstands der Deutschen Atemwegsliga; Welte hat an der Entwicklung der COPD-Leitlinie der Deutschen Atemwegsliga und der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie mitgearbeitet.

Professor Tobias Welte: Ja, die COPD ist praktisch eine Volkskrankheit. Etwa sieben Prozent der über 40-Jährigen befinden sich bereits im GOLD-Stadium II bis IV einer COPD.

Ärzte Zeitung: Und die Tendenz ist steigend?

Welte: Ja, zumindest vorerst noch. Bei uns in Deutschland ist die COPD eine Nikotin-assoziierte Erkrankung. 95 Prozent der COPD-Patienten sind Ex-Raucher oder aktuelle Raucher. Nun sehen wir jedoch zunehmend weniger Raucher, vor allem bei jungen Menschen.

Dennoch wird die Zahl der COPD-Erkrankungen in den nächsten Jahren noch weiter steigen. Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass es 20 bis 30 Jahre dauert, bis das Rauchen zu einer COPD in einem fortgeschrittenen Stadium geführt hat.

Das heißt im Klartext: Die COPD von Patienten, die in der jüngeren Vergangenheit mit dem Rauchen begonnen haben, wird sich erst in den nächsten 10 bis 20 Jahren bemerkbar machen. Darunter werden vor allem viele Frauen sein.

Ärzte Zeitung: Im Praxisalltag wird eine COPD meist erst in einem fortgeschritteneren Stadium diagnostiziert. Woran liegt das?

Welte: Das Problem ist komplex. Derzeit müssen wir wohl davon ausgehen, dass 50 Prozent der Patienten im frühen Stadium (GOLD I und II) der Erkrankung nicht diagnostiziert sind. Je mehr klinische Symptome hinzukommen, desto eher wird die Krankheit erkannt.

Mit der Frühdiagnostik hapert es also noch sehr. Der Grund liegt sicherlich darin, dass die Kernsymptome der COPD wie Husten, Luftnot und Auswurf vielfältig sind und auf viele verschiedene Erkrankungen hinweisen können, etwa auch auf eine Herzinsuffizienz.

Und da in Deutschland der Blick im Praxisalltag besonders stark auf Herzkrankheiten gerichtet ist, wird eine Lungenerkrankung wie die COPD bei entsprechender Symptomatik eher seltener in Betracht gezogen.

Das müssen wir jedoch ändern. Ein weiterer Knackpunkt ist die Tatsache, dass es bisher noch keinen, einfachen und zuverlässigen Schnelltest zur Frühdiagnose einer COPD gibt, ähnlich wie der Blutzuckertest oder der Urintest. Auch daran wird man künftig arbeiten müssen.

Ärzte Zeitung: Und was ist mit der Spirometrie?

Welte: Bei allen Patienten, besonders jedoch bei Rauchern und solchen, die früher stark geraucht haben, die Luftnot bei Belastung haben oder über Husten und / oder Auswurf über mehr als drei Wochen klagen, sollte man daran denken, dass es auch eine COPD sein kann.

Hier ist eine Lungenfunktionsmessung dringend notwendig. Um genaue Messwerte zu bekommen, sollte diese Untersuchung jedoch vorschriftsmäßig und nur nach einer intensiven Schulung durchgeführt werden. So muss zum Beispiel auf eine gute Kooperation der Patienten bei der Spirometrie geachtet werden.

Entscheidend ist auch die regelmäßige Eichung des Spirometers. Mit der Qualität der Lungenfunktionsprüfung hapert es aber derzeit noch in vielen Praxen.

Ärzte Zeitung: Was lässt sich dagegen tun?

Welte: Da gibt es noch viele Hürden zu überwinden. Zunächst einmal muss das Problembewusstsein stärker werden. Zudem ist die Repräsentanz der Pneumologie an den Universitäten immer noch zu gering. Das heißt die Ausbildung der angehenden Ärzte in der Pneumologie muss verbessert werden.

Auch in den Köpfen der Patienten sollten die Lungenkrankheiten stärker verankert sein, ähnlich wie die Herzerkrankungen. Die Kardiologen haben durch mehr als 20 Jahre gute Medienkampagnen erreicht, dass Menschen, die plötzlich Brustschmerzen bekommen, meist sofort an ein Herzleiden denken.

Aber dass man bei Luftnot auch eine Lungenerkrankung haben kann, daran denkt derzeit kaum jemand. Das müssen wir dringend ändern.

Ärzte Zeitung: Was ist in der weiteren Diagnostik zu beachten, wenn bei einem Patienten Verdacht auf eine COPD geschöpft wird?

Welte: Hier gilt es etwa auch zu klären, ob vielleicht doch ein Asthma oder gar beides vorliegt. Diese weitere diagnostische Abklärung sowie auch die Ersteinstellung bei der Therapie sollte am besten ein Spezialist übernehmen.

Ärzte Zeitung: Bislang wurde immer eine klare Unterscheidung zwischen Asthma und COPD gefordert aufgrund der therapeutischen Konsequenzen. Gilt das immer noch?

Welte: Eine klare differentialdiagnostische Abgrenzung zwischen den beiden Erkrankungen halte ich weiterhin für wichtig, da Asthmatiker dringend eine Behandlung mit inhalativen Kortikosteroiden benötigen, COPD-Kranke hingegen brauchen diese nicht zwingend.

Zehn bis 20 Prozent der Patienten mit chronisch-obstruktiver Atemwegserkrankung haben jedoch beide Erkrankungen. Meine Empfehlung: Sobald eine klare Asthma-Komponente vorhanden ist, sollten inhalative Kortikosteroide verordnet werden.

Ärzte Zeitung: Welche Therapie empfehlen Sie bei COPD?

Welte: Es sollte auf jeden Fall eine multifokale Therapie sein. Dazu gehört in erster Linie die Raucherentwöhnung, aber auch Grippe- und Pneumokokkenimpfung, eine leitliniengerechte medikamentöse Therapie, Patientenschulungen sowie regelmäßiges körperliches Training, zum Beispiel im Zusammenhang mit einer Reha-Maßnahme oder auch in Form einer Teilnahme an ambulanten Lungensportgruppen.

Es ist wichtig, Patienten zu einem regelmäßigen ambulanten Körpertraining unter Anleitung von Fachpersonal zu motivieren. Sinnvoll ist außerdem ein regelmäßiges häusliches Gehtraining der Patienten. Das verlängert die Gehstrecke und erhöht die körperliche Belastbarkeit der Patienten im Alltag. Wenn man alle therapeutischen Register zieht, kann man die Progression der COPD deutlich verlangsamen.

Das Gespräch führte Ingrid Kreutz

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