Statt Neuroleptika

Antidepressivum für Alzheimer-Patienten

Alzheimer-Patienten mit Neuroleptika ruhigstellen? Experten halten das nicht für die optimale Lösung. US-Ärzte haben deswegen Citalopram versucht - mit einem kleinen Erfolg, auch bei den Angehörigen der Patienten. Wenn da nicht dieses eine Problem wäre.

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Skepsis: Citalopram bei M. Alzheimer?

Skepsis: Citalopram bei M. Alzheimer?

© Peter Maszlen/ Fotolia.com

ROCHESTER. Bei Alzheimerkranken sind bekanntlich irgendwann nicht mehr die kognitiven Defizite das größte Problem, sondern die Verhaltensstörungen. Gerade wenn die Patienten sehr gereizt sind, erschwert das die Betreuung und führt bei pflegenden Angehörigen nicht selten zu Stress, Burnout und Depressionen.

Nicht-pharmakologische Strategien gegen Verhaltensstörungen sind mitunter sehr zeitaufwändig und nur begrenzt wirksam. Mit Neuroleptika lassen sich die Patienten zwar prima sedieren, allerdings geht eine Dauertherapie mit vielen Nebenwirkungen einher und bringt die Patienten früher ins Grab - das lässt sich aus einer Reihe von Studien schließen.

Leitlinien sprechen sich daher für einen kurzfristigen und eher zurückhaltenden Einsatz von Neuroleptika aus. Die Therapie gegen Verhaltensstörungen bei Demenzpatienten bleibt also problematisch, Patentrezepte gibt es nicht.

Vor diesem Hintergrund sind die Ergebnisse einer Studie mit dem SSRI Citalopram zu betrachten, die Psychiater um Dr. Anton Porsteinsson von der Universität in Rochester, USA, jetzt veröffentlicht haben (JAMA 2014; 311(7): 682-691).

Mit der Untersuchung CitAD* wollten die US-Ärzte primär schauen, ob sich die Agitation bei Alzheimerpatienten durch den SSRI lindern lässt. Kleinere Studien hatten erste Hinweise darauf geliefert. Insgesamt nahmen 186 Patienten mit unterschiedlichen Demenzschweregraden (MMST**-Wert von 5 bis 28 Punkten) sowie ihre Betreuer teil. Bei allen Patienten hatte ein Arzt eine ausgeprägte Agitation festgestellt, für die eine medikamentöse Therapie empfohlen wurde.

Die Betreuer erhielten alle eine psychosoziale Unterstützung: Sie bekamen Schulungsmaterial zum Umgang mit Demenzkranken, konnten bei Krisen rund um die Uhr jemanden anrufen und wurden bei den regelmäßigen Arztvisiten beraten.

Die Hälfte der Patienten bekam nun bis zu 30 mg/Tag Citalopram, die übrigen erhielten Placebo. Patienten mit einer frequenzkorrigierten QT-Zeit (QTc-Zeit) von mehr als 450 ms (Männer) und 475 ms (Frauen) wurden sicherheitshalber ausgeschlossen, nachdem die US-Zulassungsbehörde FDA im August 2011 vor einer QT-Zeit-Verlängerung unter Citalopram gewarnt hatte.

Nach neun Wochen hatten knapp 80 Prozent der Patienten unter Citalopram die Zieldosis von 30 mg/d erhalten, 15 Prozent bekamen 20 mg/d.

Auf der 18-Punkte-Agitations-Skala NBRS-A*** war bei den Patienten mit dem SSRI der Wert von zu Beginn 7,4 Punkten auf 4,3 Punkte gefallen. Bei den Patienten mit Placebo war ein Rückgang von 7,8 auf knapp 5,3 Punkte zu verzeichnen. Der Unterschied von 1,3 Punkten war statistisch knapp signifikant.

Deutlichere Unterschiede gab es beim klinischen Gesamteindruck: Eine Verbesserung fiel bei 67 Prozent mit Citalopram, aber nur bei 51 Prozent mit Placebo auf, stark oder sehr stark verbessert hatten sich 40 Prozent der Patienten mit dem SSRI, aber nur 26 Prozent mit Placebo.

Für die Praxis kaum bedeutsam

Beim Neuropsychiatrischen Inventar (NPI) schnitten sowohl die Patienten mit Citalopram als auch deren Angehörige besser ab. Letztere zeigten nach neun Wochen signifikant weniger Stresssymptome.

Jedoch bauten die Patienten unter Citalopram etwas schneller geistig ab. Ihr MMST-Wert fiel um einen Punkt mehr als unter Placebo. Zudem beobachteten die Forscher um Porsteinsson bei drei Patienten mit Citalopram, aber nur bei einem Patienten mit Placebo eine QT-Zeit-Verlängerung.

Welche klinische Bedeutung haben die Daten nun? Die Agitation lässt sich mit Citalopram in klinisch bedeutsamer Weise lindern, stellen die US-Psychiater zunächst fest. Die meisten Nebenwirkungen waren zudem mild und entsprachen dem üblichen Profil unter SSRI.

Bedenklich sei jedoch die QT-Zeit-Verlängerung. Es sei daher fraglich, ob die 30-mg-Dosis zur Therapie geeignet ist, schreiben sie. Ob sich die Agitation mit 20 mg/d ebenso gut lindern lässt, ist aber unklar. Da nur wenige Patienten mit 20 mg/d behandelt wurden, lassen sich daraus keine Schlüsse ziehen.

Das Problem: Für Patienten über 60 Jahren werden inzwischen nur noch maximal 20 mg/d empfohlen. Die Ergebnisse der Studie lassen sich also nicht in die Praxis übertragen.

Den stärkeren geistigen Abbau mit Citalopram sehen die Studienautoren weniger kritisch. Er entspreche dem unter Neuroleptika und sei klinisch nicht relevant, zudem hätten andere Studien mit SSRI bisher keine negativen Effekte auf die Kognition ergeben. Möglicherweise liege der Abbau im Rahmen der üblichen Schwankungen bei Alzheimerpatienten.

In einem Kommentar zur Studie gibt Dr. Gary Small von der Universität in Los Angeles zu bedenken, dass eine signifikante Stressreduktion bei Patienten und Betreuern deutlich höher zu bewerten ist als ein geringfügig beschleunigter geistiger Abbau.

Auch für ihn sind eher die kardialen Nebenwirkungen ein Problem. Nach seiner Ansicht sind SSRI aus diesem Grund nicht die optimale Lösung für agitierte Demenzpatienten. Um zu erfahren, ob SSRI unterm Strich mehr nützen als schaden, seien zudem deutlich längere Studien mit harten Endpunkten wie Mortalität nötig. (mut)

*CitAD: Citalopram for Agitation in Alzheimer Disease **MMST: Mini-Mental-Status-Test ***NBRS-A: Neurobehavioral Rating Scale agitation subscale

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