Demenz-Forschung

Familiärer Einfluss bei Alzheimer unterschätzt

Das Alzheimerrisiko steigt exponentiell, je mehr Verwandte betroffen sind. Selbst Verwandte dritten Grades können das Erkrankungsrisiko noch beeinflussen, geht aus einer genealogischen Studie hervor.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Prognosen zum Alzheimerrisiko lassen sich prinzipiell aus Stammbaumdaten erstellen.

Prognosen zum Alzheimerrisiko lassen sich prinzipiell aus Stammbaumdaten erstellen.

© DAK-Gesundheit / iStock

Das Wichtigste in Kürze

  • Frage: Wie hoch ist das persönliche familiäre Alzheimerrisiko?
  • Antwort: Mit jedem erkrankten erstgradig Verwandten steigt das Risiko exponentiell, es wird aber auch noch von zweit- und drittgradig Verwandten beeinflusst.
  • Bedeutung: Eine Stammbaumanalyse kann Auskunft über das persönliche Alzheimerrisiko geben.
  • Einschränkung: Es wurden nur Totenscheine ausgewertet.

SALT LAKE CITY. Beim Alzheimerrisiko halten sich Gene und Umwelteinflüsse ja in etwa die Waage, so lässt sich die Hälfte des Alzheimerrisikos in der Bevölkerung durch Genvarianten erklären, am bedeutsamsten ist hier wohl das ApoE-Gen.

Bezogen auf das einzelne Individuum kann der genetische Einfluss aber sehr unterschiedlich sein: Für Träger eines ApoE4-Allels ist das Alzheimerrisiko dreifach, für solche mit zwei E4-Allelen sogar zehnfach höher als bei Menschen ohne diese Variante.

Da jedoch nicht alle genetischen Einflussfaktoren bekannt sind, können auch Stammbäume helfen, das familiäre Risiko abzuschätzen. Diesen Weg sind Forscher um Dr. Lisa Cannon-Albright von der Universität in Salt Lake City, Utah, gegangen: Sie verknüpften Angaben der Utah Population Database (UPDB) mit solchen aus Totenscheinregistern (Neurology 2019; online 13. März).

Daten von 271.000 Toten

Die Bevölkerungsdatenbank enthält auch genealogische Verknüpfungen: So sind für drei Millionen Personen verwandtschaftliche Beziehungen bis zum dritten Grad dokumentiert. Die Forscher beschränkten sich auf 271.000 Tote mit mindestens zwölf näheren Verwandten und einem vorhandenen Totenschein.

Sie gingen von einer Alzheimerdemenz aus, wenn auf den Scheinen Alzheimer als Haupttodesursache oder als beitragende Ursache nach ICD-9 oder ICD-10 eingetragen war. Auf dieser Basis berechneten sie für die jeweiligen Geburtskohorten die Alzheimerrate.

Dann verglichen sie die tatsächliche Zahl der Alzheimerfälle für bestimmte Familienkonstellationen mit der erwarteten Zahl, basierend auf den berechneten Alzheimerraten. Daraus wiederum konnten sie das familiäre Alzheimerrisiko kalkulieren.

Insgesamt fanden die Forscher in der Datenbank 4436 Personen mit einem Alzheimervermerk auf dem Totenschein. Diese hatten knapp 18.500 erstgradige, 30.000 zweitgradige und 82.000 drittgradige Verwandte, die ebenfalls im Sterberegister erfasst waren.

Entsprechend der kohortenspezifischen Alzheimerraten, die auch das Geschlecht berücksichtigten, wären unter den erstgradig Verwandten 341 weitere Demenzerkrankungen zu erwarten gewesen, tatsächlich waren es aber 590.

Geschlecht und Alter relevant

Entsprechend ergibt sich für erstgradig Verwandte von Alzheimerkranken ein 73 Prozent erhöhtes Risiko, selbst mit dieser Demenzform zu sterben. Bei zwei erstgradig Verwandten mit Alzheimer vervierfacht sich das Risiko, bei vier ist es knapp 15-fach erhöht. Da eine solche Konstellation jedoch nur 21-mal beobachtet wurde, sind die Werte mit einer gewissen Unsicherheit behaftet.

Entsprechende Kalkulationen stellten die Forscher auch für Verwandte zweiten Grades an, dazu zählen Onkeln und Tanten, Großeltern, Nichten und Neffen.

Hier ergibt sich erst ein signifikant erhöhtes Risiko bei mindestens drei Betroffenen – dieses ist dann zweieinhalbfach höher als erwartet. Mindestens drei drittgradig verwandte Alzheimerkranke erhöhen das Erkrankungsrisiko immerhin noch um fast die Hälfte.

Besonders ungünstig sind nach diesen Daten auch Kombinationen wie ein erkrankter Verwandter ersten Grades und zwei Verwandte zweiten Grades. Daraus ergibt sich ein 21-fach erhöhtes Alzheimerrisiko.

Das Geschlecht des erkrankten Verwandten ist ebenfalls relevant: Sind Frauen in der Verwandtschaft betroffen, ist das Risiko, selbst zu erkranken, etwas geringer als bei Männern (betroffener Vater 2,5-fach, betroffene Mutter 1,7-fach erhöhtes Risiko).

Das Alter des Toten von Bedeutung

Bedeutsam ist zudem das erreichte Alter des Toten: Stirbt ein erstgradig Verwandter unter 65 Jahren, ist das eigene Risiko mehr als verdoppelt, wird er 85 Jahre oder älter, ist es nur noch um 50 Prozent erhöht.

Für die individuelle Risikoprognose sind die genannten Zahlen jedoch nur bedingt geeignet, da sie auf Mittelwerten über diverse Kohorten sowie Mittelwerten über die Zahl der Familienangehörigen beruhen.

Das Alzheimerrisiko ist anders, wenn zwei von zwei Geschwistern oder zwei von zehn erkranken, auch müssten Geburtsjahrgang, Erkrankungsalter und Geschlecht berücksichtigt werden. Im Prinzip lassen sich jedoch aus solchen Daten mit geeigneten Algorithmen individuelle Prognosen zum familiären Alzheimerrisiko erstellen.

Ein Manko ist sicherlich, dass nur Diagnosen auf Totenscheinen ausgewertet wurden, und die sind von Natur aus eher ungenau. Stammbaumdatenbanken, die auch Diagnosen bei noch lebenden Personen erfassen, könnten noch präzisere Prognosen ermöglichen.

Mehr zum Thema

Gastbeitrag zur Kardioonkologie

Herzinsuffizienz zieht Komorbiditäten an

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Kasuistik einer kutanen Infektion

Legionellen-Attacke aus dem Rosengarten

Lesetipps
Protest der Ärzteverbände am Dienstag (7. Mai) an der Rheingoldhalle in Mainz vor und während der Eröffnung des 128. Deutschen Ärztetags.

© Michaela Illian

Leitartikel

Proteste beim Ärztetag – närrisch?