Mendelsche Analyse

Mehr Kinder mit Typ-1-Diabetes: Offenbar liegt‘s am Bauchspeck

Wer genetisch bedingt schon als Kind zu Übergewicht neigt, hat auch ein erhöhtes Risiko für Typ-1-Diabetes.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Die Zahl übergewichtiger Kinder nimmt zu: Offenbar wird hierdurch auch Typ-1-Diabetes begünstigt.

Die Zahl übergewichtiger Kinder nimmt zu: Offenbar wird hierdurch auch Typ-1-Diabetes begünstigt.

© kwanchaichaiudom / stock.adobe.com

Die Inzidenz von Typ-1-Diabetes bei Kindern steigt seit einiger Zeit deutlich an, und zwar um etwa 5 Prozent pro Jahr in den USA und 3–4 Prozent in Europa – weshalb, ist noch weitgehend unklar. Forscher haben zwar schon lange den wachsenden Anteil von Kindern mit Übergewicht in Verdacht, den Typ-1-Diabetikeranteil in die Höhe zu treiben. Nach einigen Hypothesen stehen Betazellen bei übergewichtigen Kindern bereits deutlich unter Stress und kommen vermehrt per Apoptose um. Dies könnte über frei werdende Zellbestandteile eine Autoimmunreaktion begünstigen. Bislang ließen sich aber weder solche Hypothesen belegen, noch fanden Wissenschaftler in epidemiologischen Studien belastbare Hinweise, wonach zu viel Gewicht in jungen Jahren auch den Betazellen abträglich ist, berichten Molekularepidemiologen um Dr. Tove Fall von der Universität in Uppsala (PLoS Med 14(8): e1002362).

Zusammenhang schwer zu belegen

Da Typ-1-Diabetes bei Kindern recht selten ist, fällt es schwer, in prospektiven Studien einen Zusammenhang zwischen Gewicht und Erkrankungsrisiko zu finden. Außerdem schmilzt mit der Erkrankung häufig das Übergewicht, was die Resultate zusätzlich verzerrt. Hatten Beobachtungsstudien jedoch auch die Gewichtsentwicklung lange vor der Diagnose erfasst, war das Gewicht tatsächlich oft dauerhaft erhöht gewesen. Nach einer Metaanalyse solcher Studien wäre das Risiko für einen Typ-1-Diabetes bei adipösen Kindern in etwa verdoppelt und bei jeder Standardabweichung nach oben im BMI um etwa ein Viertel erhöht.

Das können nun auch die Forscher um Fall anhand von genetischen Daten bestätigen. Ihren Berechnungen zufolge ist der Effekt sogar noch größer. Danach wäre das Risiko für einen Typ-1-Diabetes bei adipösen Kindern etwa um den Faktor 2,7 gesteigert und pro BMI-Standardabweichung vom Normalgewicht um etwa ein Drittel.

Für ihre Mendelsche Randomisierungsanalyse haben die Forscher das Genom von knapp 6000 Personen untersucht, die bereits als Kind an Typ-1-Diabetes erkrankt waren (im Mittel mit rund sieben Jahren). Dabei schauten sie gezielt nach 23 Genvarianten (single nucleotide polymorphisms, SNPs), für die mittlerweile ein Zusammenhang mit Übergewicht bei Kindern sowie bei Kindern und Erwachsenen bekannt ist. Solche Erkenntnisse wurden aus noch weit größeren genomweiten Assoziationsstudien (GWAS) gewonnen. Eine vergleichbare Untersuchung veranlassten sie in Gendatenbanken mit rund 9000 Teilnehmern ohne Typ-1-Diabetes. Zusätzlich berücksichtigen sie den Einfluss der einzelnen Adipositas-Allele – also welcher Anteil des Übergewichts sich mit den jeweiligen genetischen Faktoren erklären lässt.

Wie sich zeigte, gab es die Adipositas-Allele bei Personen mit Typ-1-Diabetes in der Kindheit weitaus häufiger als in der Kontrollgruppe. Daraus konnte das Team um Fall bei einer Standardabweichung nach oben im BMI von Kindern ein um 32 Prozent erhöhtes Risiko für Typ-1-Diabetes berechnen. Berücksichtigten sie nur die 13 Genloci, für die explizit ein Zusammenhang mit Adipositas bei Kindern besteht, ergaben die Kalkulationen pro Standardabweichung sogar ein um 55 Prozent erhöhtes Risiko.

Mögliche pleiotrope Geneffekte

Solche genetischen Studien sind einerseits eine prima Sache, weil sie kaum zu Verzerrungen führen: Die genetische Ausstattung bleibt zeitlebens erhalten und lässt sich nicht ändern – Umwelt- und Begleitfaktoren haben darauf keinen Einfluss. Andererseits sind auch hier Fehlschlüsse möglich. So erhöhen die einzelnen Genvarianten zwar das Adipositasrisiko, aber vielleicht begünstigen sie noch weitere Diabetesrisikofaktoren, die weit schwerer wiegen. Dann wäre das Gewicht vielleicht doch nicht so entscheidend. Solche pleiotropen Geneffekte haben die Forscher weitgehend auszuschließen versucht, indem sie schauten, ob die 23 Allele auch das Geburtsgewicht, den Bildungsgrad oder den späteren Nikotinkonsum beeinflussten. Dies war aber nicht der Fall. Mit Sensitivitätsanalysen stellten sie auch sonst keine starken Abweichungen von den Resultaten fest.

Letztlich bleibt aber mit Blick auf die recht komplizierten Gen-Umwelt-Interaktionen doch eine gewisse Unschärfe bei derartigen Berechnungen. Daher sollten sie mit anderen Allelen und Stichproben wiederholt werden.

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