Reizthema Ernährung

Superfood – Entgiftend oder giftig?

Chia-Samen, Acai-Beeren, Cranberries: Da "Superfood" positive Effekte auf die Gesundheit haben soll, wird in Deutschland viel Geld dafür ausgegeben. Die Wirksamkeit ist jedoch nicht belegt und es gibt häufig günstige heimische Alternativen.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
In einer Studie konnten Adipöse ihr Gewicht mit einer Restriktionsdiät, die mit Chia-Samen ergänzt wurde, nur wenig reduzieren.

In einer Studie konnten Adipöse ihr Gewicht mit einer Restriktionsdiät, die mit Chia-Samen ergänzt wurde, nur wenig reduzieren.

© Dron/stock.adobe.com

"Superfoods" sind meist exotische Lebensmittel, die größere Mengen an Vitaminen, Mineralstoffen, Proteinen, sekundären Pflanzenstoffen und essenziellen Fettsäuren enthalten. Ihnen werden antioxidative und anti-inflammatorische Effekte zugesprochen, sie sollen entgiftend wirken, die Zellreparatur und die Wundheilung fördern sowie die Sehkraft, Fitness und Belastbarkeit stärken. Beispiele für solche Produkte sind Chia-Samen, Goji- und Acaibeeren, Quinoa, Ginkgo und Ginseng sowie Weizengras und Curcuma.

Eine eher durchwachsene Bilanz zieht allerdings die Ernährungsmedizinerin Professor Yurdagül Zopf vom Hector-Center für Ernährung, Bewegung und Sport am Universitätsklinikum Erlangen. Bei der Herbsttagung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) hat sie einen Überblick gegeben.

Gegen die "Superfoods" sprechen oft ihr hoher Preis, die weiten Transportwege bis Deutschland, aber auch fehlende hygienische Vorgaben bei der Lagerung in Herkunftsländern. Zudem kann es Wechselwirkungen mit Medikamenten geben. So verstärken etwa Gojibeeren die Blutverdünner.

Erhöhte Schadstoffwerte in Superfoods

Bedenklich ist zudem, dass viele der Lebensmittel mit Schadstoffen wie Pestiziden oder Schimmel belastet sind. Zopf zitierte eine Untersuchung der Zeitschrift "Ökotest", die im vergangenen Jahr 22 solcher Produkte (18 davon Bio!) testen ließ. Ergebnis: 15 wurden als "mangelhaft" oder "ungenügend" beurteilt, vor allem auch wegen erhöhter Schadstoffwerte.

Auch die postulierten gesundheitsfördernden Effekte der "Superfoods" sind nur in einigen wenigen Studien belegt, wie Zopf weiter berichtete. Beispielhaft erläuterte sie die Evidenz zu Chia-Samen. Diese können wegen ihres hohen Anteils an Ballaststoffen, Alfa-Linolensäure und Proteinen sowie eines Appetit-zügelnden Effekts Patienten bei der Gewichtsreduktion unterstützen.

Was dabei zu erwarten ist, zeigt eine Studie mit 77 übergewichtigen Typ-2-Diabetikern (BMI 25 bis 40). Alle bekamen eine sechsmonatige Restriktionsdiät, die pro 1000 kcal entweder mit 30 g Salba Chia oder mit 36 g Haferkleie pro Tag ergänzt wurde (Nutr Metab Cardiovasc Dis 2017; 27: 138).

Leinsamen statt Superfood?

Ergebnis: Patienten der Chia-Gruppe nahmen im Schnitt um 1,9 kg ab, die Vergleichsgruppe um 0,3 kg. Vorteile ergaben sich auch beim Taillenumfang (minus 3,5 vs -1,1 cm) beim CRP-Wert (-1,1 vs -02 mg/l) sowie als Zeichen eines verbesserten Stoffwechsels beim Adiponectin (+6,5 vs +/- 0 Prozent).

Allerdings hatten Chia-Samen in anderen Studien keinen eindeutigen Effekt auf kardiovaskuläre Risikofaktoren. Das hat zumindest eine Metaanalyse von sieben Studien mit insgesamt 200 Patienten ergeben (Nutr Hosp 2015; 2:1909).

Hier punkten eher herkömmliche Leinsamen. In einer Studie mit 110 Hypertoniepatienten ging durch eine Kost mit täglich 30 g gemahlenen Leinsamen der systolische Blutdruck im Schnitt von 142 auf 136 mmHg zurück, in einer Kontrollgruppe mit Placebo stieg der Druck hingegen von 142 auf 145 mmHg an (Hypertension 2013; 62: 1081).

Interessant ist ein Vergleich von Chia-Samen mit den heimischen Leinsamen: Der Effekt der beiden Lebensmittel auf den Blutzuckeranstieg bei einer Provokation mit 50 g Glukose wurde bei 15 gesunden Probanden untersucht. Ergebnis: Beide Samen bremsten im Vergleich zu Placebo den steigenden Blutzucker ähnlich stark, wobei die Chia-Samen etwas stärker wirksam waren (Eur J Clin Nutrition 2017; 71: 234).

Heimische Produkte punkten

Insgesamt sieht Zopf keine dramatischen Unterschiede bei den Effekten von exotischen und heimischen Produkten. So haben zum Beispiel Haferflocken und Quinoa ein ähnlich günstiges Mikronährstoff-Profil. Die metabolischen Effekte von Haferflocken bei Typ-2-Diabetikern zeigten sich zudem in einer Metaanalyse von 14 kontrollierten Studien und zwei Beobachtungsstudien.

Der Konsum von Haferflocken ging dabei im Schnitt mit einem Rückgang von 0,43 Prozentpunkten beim HbA1c einher, ebenso mit der Reduktion von 7 mg/dl beim Nüchternblutzucker, von 19 mg/dl beim Gesamtcholesterin und von 11 mg/dl beim LDL- Cholesterin (Nutrients 2015, 7:, 10369).

Als heimische Champions unter den besonders gesunden Lebensmitteln sieht Zopf dabei Heidelbeeren, schwarze Johannisbeeren, Aroniabeeren, rote Bete, Grünkohl und Mandeln. Ein besonderes Faible hat die Ernährungsmedizinerin für Brokkoli, wegen seiner krebspräventiven Wirkung.

Die Wirksubstanzen sind dabei die Glucosinolate: Sulforaphan und Indol-3-Carbinol. Durch antioxidative und anti-inflammatorische Eigenschaften fangen sie schädliche freie Radikale ab und verhindern so die Zellschädigung und Entstehung von Tumoren.

Abwechslungsreiche Ernährung reicht aus

Mit Sulforaphan-Gabe wurde in Studien die Inzidenz von Brust-, Prostata- und Darmkrebs gesenkt (Curr Pharmacol Rep 2015; 1: 46). Schon normale Mengen des Gemüses seien wirksam, so Zopf: Vier Portionen Brokkoli à 100 g pro Woche hatten in einer Studie einen präventiven Effekt vor Prostatakrebs. Und: "Brokkoli-Sprossen enthalten die 10- bis 100-fache Menge an Wirksubstanzen".

Das Fazit von Zopf: Deutschland ist keine Vitaminmangelregion, für gesunde Menschen reicht eine normale abwechslungsreiche Ernährung aus. "Superfoods" sind eigentlich unnötig, stattdessen sollten heimische Alternativen bevorzugt werden.

Ihr Newsletter zum Thema
Lesen sie auch
Mehr zum Thema

Zwei Phase-III-Studien gescheitert

Semaglutid wirkt nicht gegen Alzheimer

Diabetes mellitus

Bempedoinsäure: Benefit für Hochrisiko-Kollektive

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Daiichi Sankyo Deutschland GmbH, München
Das könnte Sie auch interessieren
Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

© Aleksandr | colourbox.de

Fatal verkannt

Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

© polkadot - stock.adobe.com

Vitamin-B12-Mangel

Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
B12-Mangel durch PPI & Metformin

© Pixel-Shot - stock.adobe.com

Achtung Vitamin-Falle

B12-Mangel durch PPI & Metformin

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Abb. 1: Risikoreduktion durch Bempedoinsäure gegenüber Placebo in der CLEAR-Outcomes-Studie für den primären 4-Komponenten-Endpunkt (A) und den sekundären 3-Komponenten-Endpunkt (B) stratifiziert nach Diabetes-Status

© Springer Medizin Verlag

Diabetes mellitus

Bempedoinsäure: Benefit für Hochrisiko-Kollektive

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Daiichi Sankyo Deutschland GmbH, München
Mirikizumab wirksam bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn

© Oleh / stock.adobe.com

Zielgerichtete Interleukin-23p19-Inhibition

Mirikizumab wirksam bei Colitis ulcerosa und Morbus Crohn

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Lilly Deutschland GmbH, Bad Homburg v.d.H.

Ist das AMNOG bereit für HIV-Innovationen?

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Gilead Sciences GmbH, Martinsried
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Update der Studie EPIsoDE

Psilocybin hält therapieresistente Depressionen ein Jahr lang in Schach

Lesetipps
Warnschild Grippewelle

© nmann77 / stock.adobe.com

ARE in Grafiken

RKI: Grippewelle deutet sich an

Fünf Menschen im Wartezimmer.

© Tyler Olson / stock.adobe.com

Einteilung in fünf Gruppen

Diabetes: Risiken für Komorbiditäten vom Subtyp abhängig

Im Krankenhaus wird der Patient unter Aufsicht eines Radiologen einer CT-Untersuchung unterzogen.

© Valerii Apetroaiei / stock.adobe.com

Vereinfachter Diagnose-Algorithmus

Lungenembolie mit weniger Bildgebung sicher ausschließen