VW-Skandal

Kühe schädlicher als Autos

Smog und Abgase erhöhen Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko. Allerdings ist der Straßenverkehr längst nicht die gefährlichste Schmutzquelle: Fast die Hälfte der Todesfälle lässt sich angeblich auf Feinstaub aus der Agrarindustrie zurückführen.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Gesundheitsgefahr Kuh? Gefährlicher als Autoabgase soll die Agrarindustrie sein.

Gesundheitsgefahr Kuh? Gefährlicher als Autoabgase soll die Agrarindustrie sein.

© catolla / Fotolia.com

NEU-ISENBURG. Nach dem Skandal um manipulierte Abgaswerte bei VW melden sich auch Ärzte zu Wort. "Leider wird die aktuelle Debatte überwiegend unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten geführt", kritisiert der stellvertretende Bundesvorsitzende des NAV-Virchow-Bundes, Dr. Veit Wambach.

Doch was weiß man inzwischen über die Gefahren durch Autoabgase? Hierzu hat es in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von epidemiologischen Untersuchungen gegeben.

Schlaganfallrisiko erhöht

So schnellt etwa an Tagen mit schlechter Luftqualität das Schlaganfallrisiko deutlich in die Höhe. Nach einer Metaanalyse von 94 Studien lässt sich für Feinstaub-Partikelgrößen unter 2,5 Mikrometer (PM2,5) eine Erhöhung des Schlaganfallrisikos um 1,1 Prozent pro 10 µg/m3 Luftkonzentration berechnen.

Das klingt zunächst wenig, aber bei Spitzenbelastungen um 50-100 µg/m3, wie sie auch in Deutschland möglich sind, entspräche dies bereits einer Risikoerhöhung um 5-10 Prozent.

Ebenfalls riskant ist nach Angaben der Forscher um Anoop Shah aus Edinburgh Feinstaub mit Partikelgrößen unter 10 Mikrometer (PM10). Für diese Fraktion fanden die Forscher zwar nur eine relative Risikoerhöhung um 0,3 Prozent pro 10 µg/m3.

Allerdings ist die PM10-Konzentration in der Regel höher als die von PM2,5. Bei Inversionswetterlagen kann die Belastung in deutschen Städten auf Werte über 200 µg/m3 steigen.

Varianz der Studien hoch

Solche Angaben dürfen jedoch nicht für bare Münze genommen werden, die Varianz der einzelnen Studien ist recht hoch. So kommt eine vor drei Jahren veröffentlichte Untersuchung zu dem Schluss, dass sich bei einem Anstieg des PM2,5-Wertes um 10 µg/m3 das Schlaganfallrisiko bereits um 17 Prozent erhöht, das ist also 15-mal mehr als in der genannten Metaanalyse.

Bei der Studie im Großraum Boston kam es bereits an Tagen mit mäßig guter Luft (PM2,5-Werte von 15-40 µg/m3) zu einem Drittel mehr Schlaganfällen als an Tagen mit guter Luft (PM2,5-Werte unter 15 µg/m3).

Ähnliche Berechnungen lassen sich auch für andere Luftschadstoffe anstellen. Legt man die Ergebnisse von Shah und Mitarbeitern zu Grunde, dann steigt das Schlaganfallrisiko an Tagen mit einer hohen Schwefel- und Stickoxidbelastung in deutschen Städten um 50 bis 150 Prozent.

Allerdings dürfte es schwer sein, den Einfluss der einzelnen Luftschadstoffe zu trennen: Bei schlechter Luft sind die Werte von fast allen Schadstoffen erhöht.

Wenig überraschend, dass Luftschadstoffe in ähnlichem Ausmaß auch das Herzinfarktrisiko erhöhen - darauf deutet eine ebenfalls vor drei Jahren veröffentlichte Metaanalyse von 34 Studien .

Smog hemmt zudem auch die Lungenentwicklung von Kindern und fördert das Risiko von Asthma sowie Allergien. Aufgrund solcher Studien wird diskutiert, ob die derzeitigen EU-Grenzwerte für Stickstoffdioxid (40 µg/m3 im Jahresmittel), PM2,5 (25 µg/m3) und PM10 (40 µg/m3) nicht deutlich zu locker sind. Auspuffabgase tragen jedoch nur einen gewissen Teil zur Luftbelastung bei.

So produziert der Verkehr nach Angaben des Umweltbundesamtes rund 40 Prozent der Stickoxidemissionen. Hierfür sind vor allem Dieselfahrzeuge verantwortlich. Die Feinstaubbelastung lässt sich etwa zur Hälfte auf den Straßenverkehr zurückführen. Davon entfällt aber wiederum nur etwa die Hälfte auf Abgase, der Rest entsteht durch Reifenabrieb und aufgewirbelten Staub. Würden alle nur noch mit Elektroautos fahren, ließe sich die Feinstaubbelastung demnach lediglich um ein Viertel senken.

Größter Killer: Landwirtschaft

Fasst man die gegenwärtigen Erkenntnisse zusammen, dann ist nach einer aktuellen Analyse von Mainzer Wissenschaftlern um Dr. Jos Lelieveld in Deutschland mit rund 35.000 vorzeitigen Todesfällen aufgrund von Luftschadstoffen zu rechnen (Nature 2015; 525:367-371).

Der größte Killer ist hierbei aber die Landwirtschaft: Fast die Hälfte der Todesfälle lasse sich auf sekundär erzeugten Feinstaub aus der Agrarindustrie zurückführen.

Ursache sind feinstaubbildende Ammoniakemissionen aus der Tierhaltung. Der Straßenverkehr ist nach Angaben der Forscher für rund 20 Prozent der Todesfälle verantwortlich.

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