Herz und Gefäße im Blick

"HDL haben gefäßprotektive Eigenschaften"

Ist die Erhöhung des HDL-Cholesterins angesichts aktueller, negativer Studiendaten als Ansatz für eine Optimierung der kardiovaskulären Prävention in Zweifel zu ziehen? Professor Ulrich Laufs vom Uniklinikum in Homburg / Saar: Auf keinen Fall!

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Ärzte Zeitung: Die Senkung des LDL-Cholesterins hat sich als erfolgreiche Strategie zu Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen bewährt. Jetzt steht in der klinischen Forschung zunehmend die HDL- Erhöhung als präventiver Therapieansatz im Blickpunkt. Warum brauchen wir überhaupt zusätzliche Optionen in der Lipidtherapie?

Prof. Dr. med. Ulrich Laufs

© Laufs

Aktuelle Position: Leiter der Arbeitsgruppe Klinisch-Experimentelle Medizin der Inneren Medizin III am Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg / Saar

Schwerpunkte: Erforschung der molekularen Mechanismen der Schädigung von Herz und Gefäßen durch Risikofaktoren; Charakterisierung neuer Ansatzpunkte zur kardiovaskulären Prävention

Professor Ulrich Laufs: Durch eine LDL-Cholesterin-Senkung mit Statinen wird das kardiovaskuläre Risiko um etwa 25 bis 30 Prozent reduziert. Dies ist erfreulich, aber der größere Teil des Risikos verbleibt auch unter Statinen. Kardiovaskuläre Erkrankungen stehen weiterhin an erster Stelle der Ursachen von Morbidität und Sterblichkeit.

Daher besteht die Notwendigkeit der Suche nach Möglichkeiten zu einer weiteren Risikoreduktion. Hier stehen Patienten mit niedrigem HDL-Cholesterin im Fokus, da niedriges HDL-C auch unter einer Behandlung mit Statinen mit einem erhöhten Risiko assoziiert ist.

Ärzte Zeitung: Vermeintliche Hoffnungsträger wie der CETP-Hemmer Torcetrapib oder auch die Fibrattherapie bei Typ-2-Diabetikern (ACCORD-Studie) haben enttäuscht. Woran hat es gelegen, dass trotz erreichter HDL-Erhöhung die protektive Wirkung ausgeblieben ist?

Laufs: Hier sind unterschiedliche Ursachen zu nennen. Die Wirkung von Fenofibrat auf die Lipide in der ACCORD-Studie war nur schwach, es wurde bei Diabetikern zusätzlich zu einer guten Statin-Therapie keine klinische Wirkung erreicht.

Weiterhin wird die Frage der Patientenauswahl diskutiert, da retrospektive Analysen darauf hinweisen, dass ACCORD-Patienten mit Diabetes, niedrigem HDL-C und hohen TG von Fibraten profitiert haben, Diabetiker mit hohem HDL und niedrigen TG dagegen nicht. Diese Beobachtung muss allerdings prospektiv überprüft werden.

Bei Torcetrapib bestand eine andere Problematik, diese Substanz hatte spezifische toxische Effekte, die etwa mit erhöhten Aldosteron-Konzentrationen und Hypertonie einhergingen. Retrospektive Analysen weisen darauf hin, dass die HDL-Erhöhung durch Torcetrapib günstig war, allerdings durch die toxischen Effekte überspielt wurde.

Die neuen CETP-Hemmer Dalcetrapib und Anacetrapib erhöhen HDL-C ohne Effekte auf Aldosteron oder Blutdruck und sind daher vielversprechend. Es reicht für neue Medikamente aber nicht mehr, Effekte auf Surrogat-Parameter (Lipide, Blutdruck, Blutzucker) zu zeigen, sondern es ist notwendig, die Wirksamkeit mit Bezug auf klinische Endpunkte zu untersuchen. Es ist daher zu begrüßen, dass die neuen CETP-Hemmer aktuell in großen Studienprogrammen geprüft werden.

Ärzte Zeitung: Der vorzeitige Abbruch der AIM-HIGH-Studie hat bei einigen jetzt auch Zweifel am Nutzen einer Behandlung mit Nikotinsäure aufkommen lassen. Sind diese Zweifel berechtigt?

Laufs: Das National Heart, Lung and Blood Institute in den USA hat die kardiovaskuläre Endpunktstudie AIM-HIGH nach 32 Monaten, also 18 Monate vor dem geplanten Ende, abgebrochen. AIM-HIGH wollte bei mehr als 3000 Patienten prüfen, ob bei Hochrisikopatienten mit einem niedrigen HDL-C und hohen Triglyzeriden, aber bereits unter Statinen sehr gut kontrolliertem LDL-C durch die Gabe von Niacin kardiovaskuläre Ereignisse verhindert werden können.

Hierbei wurde zusätzlich zu einer aggressiven LDL-Senkung auf Werte zwischen 40 und 80 mg / dl bei allen Patienten eine weitere Risikoreduktion von 25 Prozent durch Nikotinsäure erwartet.  Diese vermutlich unrealistische Erwartung scheint sich nicht erfüllt zu haben. Die AIM-HIGH-Studie wurde nun aufgrund fehlender Überlegenheit der Nikotinsäure gegenüber Placebo abgebrochen.

Neben einer Erhöhung des HDL liegt der potentielle Wert von Nikotinsäure in einer Absenkung des LDL-C, von der auf diesem niedrigen LDL-Ausgangsniveau kein relevanter Zusatznutzen zu erwarten ist. Überraschenderweise traten in der Niacin-Gruppe bis zum Abbruch der Studie mehr Schlaganfälle auf (1,6 Prozent) als in der Vergleichsgruppe (0,7 Prozent). Ein Drittel dieser Ereignisse trat offenbar erst auf, nachdem die Patienten das Niacin bereits abgesetzt hatten.

Nikotinsäure ist bereits seit Jahrzehnten im Einsatz, bisherige Studien hatten keinen Hinweis auf eine erhöhte Schlaganfall-Rate erbracht. Insgesamt ist eine seriöse Beurteilung von der AIM-HIGH-Studie aufgrund der noch fehlenden genaueren Informationen aktuell schwierig. Eine andere noch laufende Studie mit Nikotinsäure, die HPS2-THRIVE-Studie, hat mit 25.000 bereits eingeschlossenen Patienten mehr als siebenmal soviel Teilnehmer wie die AIM-HIGH-Studie.

Die HPS2-THRIVE-Studie läuft planmäßig und wird wichtige Fragen zur Wirksamkeit von Nikotinsäure zusätzlich zu Statinen beantworten.

Koronare Plaque im Radiofrequenz-Ultraschall: nekrotisches (rot), fibrotisches (grün) und kalkhaltiges (weiß) Gewebe.

Koronare Plaque im Radiofrequenz-Ultraschall: nekrotisches (rot), fibrotisches (grün) und kalkhaltiges (weiß) Gewebe.

© Dr. A. König / AG IVUS

Ärzte Zeitung: Diskreditieren die bisherigen Misserfolge grundsätzlich die HDL-Erhöhung als therapeutischen Ansatz oder handelt es sich um Probleme spezifischer Therapien oder auch um studienmethodische Probleme?

Laufs: Die Medikamenten-Einnahmetreue hat bei allen Langzeit-Therapien eine entscheidende Bedeutung, aufgrund der Flush-Symptomatik stellt diesbezüglich die Nikotinsäure in der effektiven höheren Dosierung von 2 g eine besondere Herausforderung dar. Die Kombination mit Laropiprant verbessert die Flush-Symptome, aber löst nur einen Teil dieses Problems.

Die Wirkung von Fibraten auf HDL ist nicht sehr groß. Das HDL-C unter Fenofibrat lag zum Beispiel in ACCORD nur etwa 1 mg / dl über Placebo-Niveau. Es besteht daher Bedarf an besseren Medikamenten zur HDL-Erhöhung. Die wichtige Frage der klinischen Bedeutung einer medikamentösen HDL-Erhöhung ist durch die vorliegenden Studien noch unbeantwortet.

Ärzte Zeitung: Woraus schöpfen Sie Hoffnung, dass der Ansatz am HDL-Cholesterin doch ein zu Erfolg führender Weg in der Lipidtherapie sein könnte?

Laufs: Die epidemiologische Bedeutung von HDL-C als unabhängiger Risikomarker ist eindeutig. HDL sind entscheidende Mediatoren des Cholesterin-Rücktransportes aus der Gefäßwand und besitzen wichtige gefäßprotektive Eigenschaften. Aktuelle Studien zeigen, dass der Funktion der HDL eine wichtige Bedeutung zukommt, die möglicherweise durch Messung des HDL-Cholesterins nicht vollständig abgebildet wird.

Die Herausforderung liegt darin, die HDL-Funktion klinisch messbar zu machen. Eine Erhöhung des HDL-C durch Verbesserung des Lebensstils, zum Beispiel durch körperliche Aktivität, geht mit positiven Effekten einher. Zahlreiche kleinere und mechanistische Studien, etwa mit rekombinanten HDL, geben zu der Hoffnung Anlass, dass eine Steigerung der protektiven HDL-Funktionen anti-atherosklerotisch wirken kann.

Daher sind die bereits laufenden und weitere Studien wichtig, um prospektiv zu prüfen, inwieweit sich diese Beobachtungen in Patienten-relevante klinische Effekte übersetzen lassen.

Ärzte Zeitung: Welche derzeit erforschten neuen Therapieansätze könnten den erhofften Fortschritt in der HDL-Therapie bringen?

Laufs: Neben der Kombination von Nikotinsäure mit Laropiprant zur Reduktion der Flush-Symptome (HPS2- THRIVE-Studie) gibt es vielversprechende HDL-Daten zu den CETP-Hemmern Dalcetrapib (Dal-Heart Studien-Programm) und Anacetrapib (HPS3-REVEAL-Studie) sowie dem dualen PPAR-Agonisten Aleglitazar (ALECARDIO-Studie).

Das Interview führte Peter Overbeck

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