Für Herzinfarkt-Patienten gibt es noch zu wenig Reha-Plätze

In Deutschland und anderen europäischen Ländern verweilen Patienten mit Herzinfarkt oft unnötig lange im Krankenhaus. Zu diesem Schluß kommt eine internationale Forschergruppe um Padma Kaul von der Universität in Albert in Kanada nach der Auswertung mehrerer großer Infarktstudien.

Von Nicola von Lutterotti Veröffentlicht:

Die Wissenschaftler wollten herausfinden, inwieweit die Empfehlungen der europäischen und amerikanischen Fachgesellschaften befolgt werden. Nach den Vorgaben der Experten sollten Infarktkranke, bei denen keine schweren Komplikationen auftreten, möglichst innerhalb von vier Tagen aus der Klinik entlassen werden.

Auf diese Gruppe von Kranken konzentrieren sich die Forscher im zweiten Teil ihrer Analyse, im ersten Teil berücksichtigen sie alle in die Studien eingeschlossenen Patienten. Dabei konnten sie auf die Daten von knapp 55 000 Betroffenen zurückgreifen. Behandelt wurden die Kranken zwischen 1990 und 1998.

Insgesamt Rückgang der Behandlungszeiten

Wie die Autoren in der Zeitschrift "Lancet" (363, 2004, 511) berichten, kam es während dieses Zeitabschnitts in allen Ländern zu einem Rückgang der stationären Behandlungszeiten - auf unterschiedlichem Niveau. Was die Dauer des Krankenhausaufenthaltes betrifft, zählt Deutschland aber immer noch zu den Spitzenreitern. Anfang der 90er Jahre verbrachten Patienten mit Herzinfarkt bei uns durchschnittlich 24 Tage im Hospital.

In Frankreich, Spanien und Belgien waren es nur zwölf Tage, in den Vereinigten Staaten, Australien, Kanada und Neuseeland lediglich sieben bis neun Tage. Ende der 90er Jahre betrug die stationäre Verweildauer von Infarktkranken hierzulande immer noch 17 Tage und bei unseren europäischen Nachbarn zehn bis elf Tage. Jenseits des Atlantiks lag sie zum selben Zeitpunkt nur bei fünf Tagen.

Die meisten Infarkt-Patienten haben kaum Komplikationen

Was jene Infarktpatienten betrifft, die aufgrund einer geringen Komplikationsrate nur vier Tage im Krankenhaus hätten bleiben müssen, ergab sich ebenfalls ein nachdenklich stimmendes Ergebnis. In Europa ließen sich 60 bis 75 Prozent aller Studienteilnehmer dieser Gruppe zuordnen, in den Vereinigten Staaten und Australien lag ihr Anteil deutlich darunter.

In den europäischen Ländern wurde nur ein verschwindend kleiner Anteil der Patienten mit unkompliziertem Krankheitsverlauf frühzeitig aus der Klinik entlassen - ein für Kenner der Verhältnisse nicht überraschender Befund. Deutschland schnitt dabei am schlechtesten ab.

In Deutschland erleiden pro Jahr 300 000 Menschen einen Infarkt

Auch Ende der 90er Jahre lagen solche Patienten noch zwei Wochen zu lang im Krankenhaus. Wieviel Geld dem Gesundheitssystem dadurch verlorenging, läßt sich nur schwer schätzen. Angesichts der großen Zahl an Betroffenen - in Deutschland erleiden jährlich etwa 300 000 Menschen einen Herzinfarkt - dürfte der Betrag erheblich sein.

Die von Padma Kaul und ihren Kollegen analysierten Daten spiegeln freilich nur einen Teil der Wirklichkeit, zumal die an den Studien beteiligten Patienten definierten Auswahlkriterien genügen mußten.

Einen guten Überblick über den Alltag an deutschen Krankenhäusern besitzen Joachim Senges und seine Mitarbeiter vom Klinikum Ludwigshafen. Seit vielen Jahren untersuchen die Kardiologen, wie Patienten mit Herzinfarkt hierzulande behandelt werden. Das von ihnen angelegte Register enthält inzwischen Daten von rund 60 000 Infarktkranken.

Wie Senges der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gegenüber bestätigte, verbrachten Patienten mit frischem Herzinfarkt 1995 20 Tage im Hospital. Im Jahr 2002 seien es dann nur noch zehn Tage gewesen. Martin Borggrefe vom Klinikum Mannheim macht für die langen Liegezeiten unter anderem strukturelle Mängel verantwortlich. Demnach muß der Kranke oft "ewig" warten, bis er einen Platz in einem geeigneten Rehabilitationszentrum erhält. Der Abstand zwischen der Entlassung aus der Klinik und dem Beginn der Rehabilitation dürfe aber nicht zu lang sein. Ansonsten riskiere man, daß die Heilbehandlung von der Krankenkasse nicht anerkannt werde.

Mit Einführung des neuen Fallpauschalesystems, das es in etwas abgewandelter Form in den Vereinigten Staaten und in etlichen anderen Ländern schon seit geraumer Zeit gibt, dürfte sich in Deutschland einiges ändern. Für jeden Patienten erhält das Hospital dabei einen festen Betrag, der sich jeweils nach der Haupterkrankung des Betroffenen richtet.

Zusätzliche Krankenhaustage oder die Pauschale überschreitende medizinische Leistungen werden nicht erstattet. Wie groß die Kostenersparnis tatsächlich sein wird, bleibt indes abzuwarten. So gibt es zum Beispiel Hinweise darauf, daß die Patienten zwar schneller aus der Klinik entlassen werden, dafür aber häufiger dorthin zurückkehren.

Dieser Beitrag ist erstmals am 15. Februar 2004 in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" erschienen.

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